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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Rcichsspiegel

Die nächsten Folgen des parteiamtlich vollzogenen Bruches werden wohl in
einer weiteren Verschärfung des Wahlkampfes hüben und drüben zum Ausdruck
kommen. Bisher, da man noch mit der Möglichkeit einer Aussöhnung rechnen
konnte, galt es den derzeitigen Gegner zu schonen. Nun, da der Kampf aufs
Messer angesagt ist, müssen wir uns darauf gefaßt machen, daß von beiden
Seiten die stärksten Register gezogen werden, um den Gegner niederzuwerfen.
Ein ekles Schauspiel der Selbstzerfleischung. -- Wir wollen hier nicht den
Erörterungen der Presse folgen, die darauf hinzielen, den einzelnen Parteien
das Horoskop zu stellen. Denn es handelt sich hier letzten Endes nicht
um den Kampf zwischen zwei politischen Parteien, sondern um den Kampf
des Egoismus einer kleinen, doch einflußreichen Wirtschaftsgruppe
gegen die Träger des nationalen Staatsprinzips. Nicht kämpfen "Konservative"
gegen "Liberale", wie es den Anschein hat, es kämpft vielmehr agrarischer Feuda¬
lismus gegen das nationale Bürgertum. Die beiden in Frage kommenden Parteien
stellen eigentlich nur die Flaggen dar, unter denen sich der Kampf mangels
anderer Organisationen vollzieht. Das sollten die Konservativen, die nicht
Großgrundbesitzer sind oder deren wirtschaftliche Existenz nicht auf dem Gro߬
grundbesitz beruht, während der gegenwärtigen politischen Kämpfe im Auge
behalten. Siege das durch den Bund der Landwirte getragene Klassenprinzip
bei den bevorstehenden Wahlkämpfen, so würde nicht die konservative Welt¬
anschauung triumphieren, sondern die demokratische, und in unserem gesamten
politischen Leben bereitete sich eine Revolution vor, deren Ausgang gegenwärtig
noch nicht zu übersehen ist. So viel läßt sich indessen schon heute in Aussicht
stellen: geht der Bund der Landwirte aus dem Kampfe als Sieger hervor, dann
werden alle die wirtschaftlichen Organisationen, die heute noch politische Anlehnung
an die Konservativen und Nationalliberalen suchen, gezwungen sein, sich politisch
auf den Boden der Demokratie zu stellen, wenn sie -- und das gilt in erster
Linie von der sich rapide vergrößernden Schicht der verschiedenen Beamten¬
kategorien -- nicht zwischen den wirtschaftlichen Interessen des landwirtschaft¬
lichen und industriellen Großkapitals von der einen Seite und denen des
Arbeiterproletariats zermalmt werden wollen. Kommen wir aber erst dahin,
dann mögen die Anhänger einer konservativen Weltanschauung zusehen, wie
viele von ihren Idealen im nationalen und politischen Leben noch Geltung
behalten werden. Einem solchen Zusammenbruch gilt es vorzubeugen. Denn,
wenn auch der Liberalismus der Träger des Fortschritts ist, -- ein Staat, der
sich nicht mehr auf das konservative Kulturelement stützen könnte, gliche einem
Luftschiff, das ohne Ballast in die Lüfte stiege, es wäre verloren.

Mit dieser Erkenntnis aber verlassen wir den Boden der reinen Tages¬
politik und geraten in die private, der öffentlichen Kontrolle entzogene Gedanken¬
welt der Nation. Die Begriffe konservativ und liberal, wie sie als
Parteibezeichnungen bei uns gelten, decken sich nicht mit den Lebensanschauungen
der einzelnen Parteiangehörigen. Der überwiegende Teil des deutschen Volks


Rcichsspiegel

Die nächsten Folgen des parteiamtlich vollzogenen Bruches werden wohl in
einer weiteren Verschärfung des Wahlkampfes hüben und drüben zum Ausdruck
kommen. Bisher, da man noch mit der Möglichkeit einer Aussöhnung rechnen
konnte, galt es den derzeitigen Gegner zu schonen. Nun, da der Kampf aufs
Messer angesagt ist, müssen wir uns darauf gefaßt machen, daß von beiden
Seiten die stärksten Register gezogen werden, um den Gegner niederzuwerfen.
Ein ekles Schauspiel der Selbstzerfleischung. — Wir wollen hier nicht den
Erörterungen der Presse folgen, die darauf hinzielen, den einzelnen Parteien
das Horoskop zu stellen. Denn es handelt sich hier letzten Endes nicht
um den Kampf zwischen zwei politischen Parteien, sondern um den Kampf
des Egoismus einer kleinen, doch einflußreichen Wirtschaftsgruppe
gegen die Träger des nationalen Staatsprinzips. Nicht kämpfen „Konservative"
gegen „Liberale", wie es den Anschein hat, es kämpft vielmehr agrarischer Feuda¬
lismus gegen das nationale Bürgertum. Die beiden in Frage kommenden Parteien
stellen eigentlich nur die Flaggen dar, unter denen sich der Kampf mangels
anderer Organisationen vollzieht. Das sollten die Konservativen, die nicht
Großgrundbesitzer sind oder deren wirtschaftliche Existenz nicht auf dem Gro߬
grundbesitz beruht, während der gegenwärtigen politischen Kämpfe im Auge
behalten. Siege das durch den Bund der Landwirte getragene Klassenprinzip
bei den bevorstehenden Wahlkämpfen, so würde nicht die konservative Welt¬
anschauung triumphieren, sondern die demokratische, und in unserem gesamten
politischen Leben bereitete sich eine Revolution vor, deren Ausgang gegenwärtig
noch nicht zu übersehen ist. So viel läßt sich indessen schon heute in Aussicht
stellen: geht der Bund der Landwirte aus dem Kampfe als Sieger hervor, dann
werden alle die wirtschaftlichen Organisationen, die heute noch politische Anlehnung
an die Konservativen und Nationalliberalen suchen, gezwungen sein, sich politisch
auf den Boden der Demokratie zu stellen, wenn sie — und das gilt in erster
Linie von der sich rapide vergrößernden Schicht der verschiedenen Beamten¬
kategorien — nicht zwischen den wirtschaftlichen Interessen des landwirtschaft¬
lichen und industriellen Großkapitals von der einen Seite und denen des
Arbeiterproletariats zermalmt werden wollen. Kommen wir aber erst dahin,
dann mögen die Anhänger einer konservativen Weltanschauung zusehen, wie
viele von ihren Idealen im nationalen und politischen Leben noch Geltung
behalten werden. Einem solchen Zusammenbruch gilt es vorzubeugen. Denn,
wenn auch der Liberalismus der Träger des Fortschritts ist, — ein Staat, der
sich nicht mehr auf das konservative Kulturelement stützen könnte, gliche einem
Luftschiff, das ohne Ballast in die Lüfte stiege, es wäre verloren.

Mit dieser Erkenntnis aber verlassen wir den Boden der reinen Tages¬
politik und geraten in die private, der öffentlichen Kontrolle entzogene Gedanken¬
welt der Nation. Die Begriffe konservativ und liberal, wie sie als
Parteibezeichnungen bei uns gelten, decken sich nicht mit den Lebensanschauungen
der einzelnen Parteiangehörigen. Der überwiegende Teil des deutschen Volks


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[0410] Rcichsspiegel Die nächsten Folgen des parteiamtlich vollzogenen Bruches werden wohl in einer weiteren Verschärfung des Wahlkampfes hüben und drüben zum Ausdruck kommen. Bisher, da man noch mit der Möglichkeit einer Aussöhnung rechnen konnte, galt es den derzeitigen Gegner zu schonen. Nun, da der Kampf aufs Messer angesagt ist, müssen wir uns darauf gefaßt machen, daß von beiden Seiten die stärksten Register gezogen werden, um den Gegner niederzuwerfen. Ein ekles Schauspiel der Selbstzerfleischung. — Wir wollen hier nicht den Erörterungen der Presse folgen, die darauf hinzielen, den einzelnen Parteien das Horoskop zu stellen. Denn es handelt sich hier letzten Endes nicht um den Kampf zwischen zwei politischen Parteien, sondern um den Kampf des Egoismus einer kleinen, doch einflußreichen Wirtschaftsgruppe gegen die Träger des nationalen Staatsprinzips. Nicht kämpfen „Konservative" gegen „Liberale", wie es den Anschein hat, es kämpft vielmehr agrarischer Feuda¬ lismus gegen das nationale Bürgertum. Die beiden in Frage kommenden Parteien stellen eigentlich nur die Flaggen dar, unter denen sich der Kampf mangels anderer Organisationen vollzieht. Das sollten die Konservativen, die nicht Großgrundbesitzer sind oder deren wirtschaftliche Existenz nicht auf dem Gro߬ grundbesitz beruht, während der gegenwärtigen politischen Kämpfe im Auge behalten. Siege das durch den Bund der Landwirte getragene Klassenprinzip bei den bevorstehenden Wahlkämpfen, so würde nicht die konservative Welt¬ anschauung triumphieren, sondern die demokratische, und in unserem gesamten politischen Leben bereitete sich eine Revolution vor, deren Ausgang gegenwärtig noch nicht zu übersehen ist. So viel läßt sich indessen schon heute in Aussicht stellen: geht der Bund der Landwirte aus dem Kampfe als Sieger hervor, dann werden alle die wirtschaftlichen Organisationen, die heute noch politische Anlehnung an die Konservativen und Nationalliberalen suchen, gezwungen sein, sich politisch auf den Boden der Demokratie zu stellen, wenn sie — und das gilt in erster Linie von der sich rapide vergrößernden Schicht der verschiedenen Beamten¬ kategorien — nicht zwischen den wirtschaftlichen Interessen des landwirtschaft¬ lichen und industriellen Großkapitals von der einen Seite und denen des Arbeiterproletariats zermalmt werden wollen. Kommen wir aber erst dahin, dann mögen die Anhänger einer konservativen Weltanschauung zusehen, wie viele von ihren Idealen im nationalen und politischen Leben noch Geltung behalten werden. Einem solchen Zusammenbruch gilt es vorzubeugen. Denn, wenn auch der Liberalismus der Träger des Fortschritts ist, — ein Staat, der sich nicht mehr auf das konservative Kulturelement stützen könnte, gliche einem Luftschiff, das ohne Ballast in die Lüfte stiege, es wäre verloren. Mit dieser Erkenntnis aber verlassen wir den Boden der reinen Tages¬ politik und geraten in die private, der öffentlichen Kontrolle entzogene Gedanken¬ welt der Nation. Die Begriffe konservativ und liberal, wie sie als Parteibezeichnungen bei uns gelten, decken sich nicht mit den Lebensanschauungen der einzelnen Parteiangehörigen. Der überwiegende Teil des deutschen Volks

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/410>, abgerufen am 24.07.2024.