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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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nennen, ja, östlich der Elbe steht man der Frage durchaus teilnahmlos gegen¬
über. ---Doch der Preis, um den wir heute triumphieren, ist doch
recht hoch. Er heißt Ansehen der Regierung. Was kann denn von der Regierungs¬
autorität übrig bleiben, wenn es deren Leiter auch nicht auf einem Gebiet gelingt,
seine Absichten in die Tat umzusetzen! Sein Fiasko in der elsaß-lothringischen
Verfassungsfrage verdankt Herr v. Bethmann dem von ihm so umworbener
Zentrum, nicht auch, wie nun agrarische Blätter verbreiten, deu Nationalliberalen.
"Die einzige Partei," schreibt die Kölnische Volkszeitung (Ur. 144), "welche
grundsätzlich der Forderung widersprach, das Reichsland zu einem selbständigen
Bundesstaat zu erheben, war die nationalliberale, während die Konservativen
grundsätzlich mit der Verleihung der Autonomie sich einverstanden erklärten, aber
dafür einen späteren Zeitpunkt wünschten." Wie kann ein Reichskanzler sich
das Vertrauen der Nation erringen -- und dessen bedarf er --, wenn er die
vorhandenen politischen Faktoren immer und überall falsch einschätzt. Zur
Sache selbst ist folgendes zu berichten: Paragraph 1 sowie Paragraph 2 Absatz 1
des Gesetzentwurfs hatten in der Kommission die Fassung erhalten: "Elsaß-
Lothringen bildet einen selbständigen Bundesstaat des Deutschen Reichs. Im
Bundesrat wird Elsaß-Lothringen durch drei Stimmen vertreten", und: "An
der Spitze des Bundesstaats steht ein Statthalter, der auf Vorschlags des
Bundesrath vom Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers auf Lebenszeit
ernannt wird und nur durch Bundesratsbeschluß abberufen werden kann."
Damit war der in der Vorlage der verbündeten Regierungen enthaltene Satz:
"die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen übt der Kaiser aus" in Fortfall gebracht
und das in der Vorlage vorgeschlagene Recht des Kaisers auf Ernennung und
Abberufung des Statthalters durch entsprechende Befugnisse des Bundesrath
beschränkt. "Der Kernpunkt des Paragraph 1 des Kommissionsbeschlusses",
so schreibt die Germania (Ur. 40, 2. Bl.) "liegt in der Gewährung von drei
Bundesratsstimmen an Elsaß-Lothringen. Mit ihr steht in untrennbaren
Zusammenhange die Frage der Instruktion dieser Stimmen zu den einzelnen
Vorlagen im Bundesrate. Soll die Instruktion dieser Stimmen von Straßburg
aus . . . erfolgen, so muß der Statthalter unabhängig gestellt sein, und dazu
gehört, daß er nicht willkürlich abberufen werden kann." Die schweren Ge¬
fahren einer solchen Möglichkeit sind unseren Lesern aus den ausführlichen
Darstellungen von Klemens (s. Ur. 26 von 1910 und Ur. 5 d. I.) bekannt.

Auch der am 16. d. M. plötzlich eingetretene Bruch zwischen National¬
liberalen und Konservativen dürfte nicht dazu beitragen, die Autorität des
Reichskanzlers im Lande zu stärken. Der Überfall des Herrn v. Heydebrand
auf die Nationalliberalen war nicht uur eine Überraschung für die betroffene
Partei, sondern auch eine solche für die Regierung. An eine Versöhnung, wie
sie die norddeutsche Allgemeine Zeitung vor dem Beginn der Wahlen noch
für möglich hält, vermögen wir zu unseren: größten Bedauern nicht zu glauben.
Vor dem Sieg eines der streitenden Teile scheint uns der Friede ausgeschlossen.


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nennen, ja, östlich der Elbe steht man der Frage durchaus teilnahmlos gegen¬
über. ---Doch der Preis, um den wir heute triumphieren, ist doch
recht hoch. Er heißt Ansehen der Regierung. Was kann denn von der Regierungs¬
autorität übrig bleiben, wenn es deren Leiter auch nicht auf einem Gebiet gelingt,
seine Absichten in die Tat umzusetzen! Sein Fiasko in der elsaß-lothringischen
Verfassungsfrage verdankt Herr v. Bethmann dem von ihm so umworbener
Zentrum, nicht auch, wie nun agrarische Blätter verbreiten, deu Nationalliberalen.
„Die einzige Partei," schreibt die Kölnische Volkszeitung (Ur. 144), „welche
grundsätzlich der Forderung widersprach, das Reichsland zu einem selbständigen
Bundesstaat zu erheben, war die nationalliberale, während die Konservativen
grundsätzlich mit der Verleihung der Autonomie sich einverstanden erklärten, aber
dafür einen späteren Zeitpunkt wünschten." Wie kann ein Reichskanzler sich
das Vertrauen der Nation erringen — und dessen bedarf er —, wenn er die
vorhandenen politischen Faktoren immer und überall falsch einschätzt. Zur
Sache selbst ist folgendes zu berichten: Paragraph 1 sowie Paragraph 2 Absatz 1
des Gesetzentwurfs hatten in der Kommission die Fassung erhalten: „Elsaß-
Lothringen bildet einen selbständigen Bundesstaat des Deutschen Reichs. Im
Bundesrat wird Elsaß-Lothringen durch drei Stimmen vertreten", und: „An
der Spitze des Bundesstaats steht ein Statthalter, der auf Vorschlags des
Bundesrath vom Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers auf Lebenszeit
ernannt wird und nur durch Bundesratsbeschluß abberufen werden kann."
Damit war der in der Vorlage der verbündeten Regierungen enthaltene Satz:
„die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen übt der Kaiser aus" in Fortfall gebracht
und das in der Vorlage vorgeschlagene Recht des Kaisers auf Ernennung und
Abberufung des Statthalters durch entsprechende Befugnisse des Bundesrath
beschränkt. „Der Kernpunkt des Paragraph 1 des Kommissionsbeschlusses",
so schreibt die Germania (Ur. 40, 2. Bl.) „liegt in der Gewährung von drei
Bundesratsstimmen an Elsaß-Lothringen. Mit ihr steht in untrennbaren
Zusammenhange die Frage der Instruktion dieser Stimmen zu den einzelnen
Vorlagen im Bundesrate. Soll die Instruktion dieser Stimmen von Straßburg
aus . . . erfolgen, so muß der Statthalter unabhängig gestellt sein, und dazu
gehört, daß er nicht willkürlich abberufen werden kann." Die schweren Ge¬
fahren einer solchen Möglichkeit sind unseren Lesern aus den ausführlichen
Darstellungen von Klemens (s. Ur. 26 von 1910 und Ur. 5 d. I.) bekannt.

Auch der am 16. d. M. plötzlich eingetretene Bruch zwischen National¬
liberalen und Konservativen dürfte nicht dazu beitragen, die Autorität des
Reichskanzlers im Lande zu stärken. Der Überfall des Herrn v. Heydebrand
auf die Nationalliberalen war nicht uur eine Überraschung für die betroffene
Partei, sondern auch eine solche für die Regierung. An eine Versöhnung, wie
sie die norddeutsche Allgemeine Zeitung vor dem Beginn der Wahlen noch
für möglich hält, vermögen wir zu unseren: größten Bedauern nicht zu glauben.
Vor dem Sieg eines der streitenden Teile scheint uns der Friede ausgeschlossen.


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[0409] Rcichsspiegcl nennen, ja, östlich der Elbe steht man der Frage durchaus teilnahmlos gegen¬ über. ---Doch der Preis, um den wir heute triumphieren, ist doch recht hoch. Er heißt Ansehen der Regierung. Was kann denn von der Regierungs¬ autorität übrig bleiben, wenn es deren Leiter auch nicht auf einem Gebiet gelingt, seine Absichten in die Tat umzusetzen! Sein Fiasko in der elsaß-lothringischen Verfassungsfrage verdankt Herr v. Bethmann dem von ihm so umworbener Zentrum, nicht auch, wie nun agrarische Blätter verbreiten, deu Nationalliberalen. „Die einzige Partei," schreibt die Kölnische Volkszeitung (Ur. 144), „welche grundsätzlich der Forderung widersprach, das Reichsland zu einem selbständigen Bundesstaat zu erheben, war die nationalliberale, während die Konservativen grundsätzlich mit der Verleihung der Autonomie sich einverstanden erklärten, aber dafür einen späteren Zeitpunkt wünschten." Wie kann ein Reichskanzler sich das Vertrauen der Nation erringen — und dessen bedarf er —, wenn er die vorhandenen politischen Faktoren immer und überall falsch einschätzt. Zur Sache selbst ist folgendes zu berichten: Paragraph 1 sowie Paragraph 2 Absatz 1 des Gesetzentwurfs hatten in der Kommission die Fassung erhalten: „Elsaß- Lothringen bildet einen selbständigen Bundesstaat des Deutschen Reichs. Im Bundesrat wird Elsaß-Lothringen durch drei Stimmen vertreten", und: „An der Spitze des Bundesstaats steht ein Statthalter, der auf Vorschlags des Bundesrath vom Kaiser unter Gegenzeichnung des Reichskanzlers auf Lebenszeit ernannt wird und nur durch Bundesratsbeschluß abberufen werden kann." Damit war der in der Vorlage der verbündeten Regierungen enthaltene Satz: „die Staatsgewalt in Elsaß-Lothringen übt der Kaiser aus" in Fortfall gebracht und das in der Vorlage vorgeschlagene Recht des Kaisers auf Ernennung und Abberufung des Statthalters durch entsprechende Befugnisse des Bundesrath beschränkt. „Der Kernpunkt des Paragraph 1 des Kommissionsbeschlusses", so schreibt die Germania (Ur. 40, 2. Bl.) „liegt in der Gewährung von drei Bundesratsstimmen an Elsaß-Lothringen. Mit ihr steht in untrennbaren Zusammenhange die Frage der Instruktion dieser Stimmen zu den einzelnen Vorlagen im Bundesrate. Soll die Instruktion dieser Stimmen von Straßburg aus . . . erfolgen, so muß der Statthalter unabhängig gestellt sein, und dazu gehört, daß er nicht willkürlich abberufen werden kann." Die schweren Ge¬ fahren einer solchen Möglichkeit sind unseren Lesern aus den ausführlichen Darstellungen von Klemens (s. Ur. 26 von 1910 und Ur. 5 d. I.) bekannt. Auch der am 16. d. M. plötzlich eingetretene Bruch zwischen National¬ liberalen und Konservativen dürfte nicht dazu beitragen, die Autorität des Reichskanzlers im Lande zu stärken. Der Überfall des Herrn v. Heydebrand auf die Nationalliberalen war nicht uur eine Überraschung für die betroffene Partei, sondern auch eine solche für die Regierung. An eine Versöhnung, wie sie die norddeutsche Allgemeine Zeitung vor dem Beginn der Wahlen noch für möglich hält, vermögen wir zu unseren: größten Bedauern nicht zu glauben. Vor dem Sieg eines der streitenden Teile scheint uns der Friede ausgeschlossen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/409>, abgerufen am 24.07.2024.