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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Schöne Literatur (Grientalia)

Daß die Nachdichtungen chinesischer Verse,
die Huus Bcthgc in seiner "Chinesischen
Flöte" (Leipzig, Inselverlag) zu geben suchte,
bereits in zweiter Auflage vorliegen, bezeugt
ein an und für sich gewiß erfreuliches Interesse
an diesen "fremdartigen Blumen", dem Kenner
chinesischer Originaldichtung aber zugleich, daß
hier gar manches geschehen sein muß, um sie
dem westeuropäischen Geschmack anzupassen.
Denn der Reiz chinesischer Dichtung liegt
weitab von dem der unseren. Haus Bethge
versteht selbst nicht Chinesisch und war darum
nuf Übersetzungen angewiesen. Die Quellen,
die er nennt, sind wenig vertmnenerweckend:
Judith Gürtler machte aus einem Vierzeiler
schärfster Prägnanz ein ganzes berboses
"Stimmungsbild" nach der Manier ihres
Vaters Thöophile; Hans Heilmanns "Chine¬
sische Lyrik" paraphrasiert in ähnlicher Weise
Paraphrasen fremder Herkunft noch einmal,
und die "englischen Prosaquellen", die Hans
Bethge für die Dichter des neunzehnten Jahr¬
hunderts benutzte, verraten in Namen¬
schreibungen wie Sang-Su-Po und La-Ksu-
Feng so wenig Kenntnis des Chinesischen, daß
es schwer hält, um ihre Existenz überhaupt zu
glaube". Daneben wird noch der Marquis
Hervey de Saint-Denis genannt (der, nebenbei
bemerkt, zum Grafen gemacht wird), ein
allerdings trefflicher Kenner chinesischer Dich¬
tung, dessen (freilich mich zumeist etwas 'sehr
weitläufige) Paraphrasen zum Verständnis der
Originale noch immer mit Nutzen gebraucht
werden können. Wenn schon die Quellen
Hans Bethges den Blumen chinesischer Dich¬
tung nach europäischen Begriffen etwas mehr
Duft zu geben suchten, so wiederholt die dritte
("ut manchmal vierte) Hand dies noch ein¬
mal. Aber die Meisterschaft der Chinesen

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besteht gerade darin, immer den sachlichsten,
dabei suggestivsten Ausdruck zu finden. Das
bekannteste Beispiel dafür ist Li-Tui-Pos Vier¬
zeiler aus der Verbannung:

Zu deutsch:

Dies wird bei Bethge:

Dabei ist dies eines jener Gedichte, die sich
(bei der Allbekanntheit der Verse nnr natürlich)
dem Original noch ziemlich enge anschließen.

Auch Persisch versteht Hans Bethge nicht,
und so darf es nicht wundernehmen, daß er
hier dasselbe Verfahren beobachtet. Er hält
die "Nachdichtungen" des "Hafis" (Leipzig,
Inselverlag) in den gleichen indifferenten reim¬
losen Jamben oder Trochäen, die er nicht
selten zu dem hübschen Satzbild von Terzinen
anordnet. Schon das verwischt den Geist des
Originals, den Charakter der "Aneinander¬
reihung von Perlen", jede von eigenem Glanz
und mit dem Lichtpunkt des ungesucht wieder¬
kehrenden Reimwertes. Der "Geliebte" der
hafisischen Lyrik, der so leicht als der himm¬
lische Freund zu deuten war und an so vielen
Stellen auch diesen meint, wurde (fast möchte

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Schöne Literatur (Grientalia)

Daß die Nachdichtungen chinesischer Verse,
die Huus Bcthgc in seiner „Chinesischen
Flöte" (Leipzig, Inselverlag) zu geben suchte,
bereits in zweiter Auflage vorliegen, bezeugt
ein an und für sich gewiß erfreuliches Interesse
an diesen „fremdartigen Blumen", dem Kenner
chinesischer Originaldichtung aber zugleich, daß
hier gar manches geschehen sein muß, um sie
dem westeuropäischen Geschmack anzupassen.
Denn der Reiz chinesischer Dichtung liegt
weitab von dem der unseren. Haus Bethge
versteht selbst nicht Chinesisch und war darum
nuf Übersetzungen angewiesen. Die Quellen,
die er nennt, sind wenig vertmnenerweckend:
Judith Gürtler machte aus einem Vierzeiler
schärfster Prägnanz ein ganzes berboses
„Stimmungsbild" nach der Manier ihres
Vaters Thöophile; Hans Heilmanns „Chine¬
sische Lyrik" paraphrasiert in ähnlicher Weise
Paraphrasen fremder Herkunft noch einmal,
und die „englischen Prosaquellen", die Hans
Bethge für die Dichter des neunzehnten Jahr¬
hunderts benutzte, verraten in Namen¬
schreibungen wie Sang-Su-Po und La-Ksu-
Feng so wenig Kenntnis des Chinesischen, daß
es schwer hält, um ihre Existenz überhaupt zu
glaube». Daneben wird noch der Marquis
Hervey de Saint-Denis genannt (der, nebenbei
bemerkt, zum Grafen gemacht wird), ein
allerdings trefflicher Kenner chinesischer Dich¬
tung, dessen (freilich mich zumeist etwas 'sehr
weitläufige) Paraphrasen zum Verständnis der
Originale noch immer mit Nutzen gebraucht
werden können. Wenn schon die Quellen
Hans Bethges den Blumen chinesischer Dich¬
tung nach europäischen Begriffen etwas mehr
Duft zu geben suchten, so wiederholt die dritte
(»ut manchmal vierte) Hand dies noch ein¬
mal. Aber die Meisterschaft der Chinesen

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besteht gerade darin, immer den sachlichsten,
dabei suggestivsten Ausdruck zu finden. Das
bekannteste Beispiel dafür ist Li-Tui-Pos Vier¬
zeiler aus der Verbannung:

Zu deutsch:

Dies wird bei Bethge:

Dabei ist dies eines jener Gedichte, die sich
(bei der Allbekanntheit der Verse nnr natürlich)
dem Original noch ziemlich enge anschließen.

Auch Persisch versteht Hans Bethge nicht,
und so darf es nicht wundernehmen, daß er
hier dasselbe Verfahren beobachtet. Er hält
die „Nachdichtungen" des „Hafis" (Leipzig,
Inselverlag) in den gleichen indifferenten reim¬
losen Jamben oder Trochäen, die er nicht
selten zu dem hübschen Satzbild von Terzinen
anordnet. Schon das verwischt den Geist des
Originals, den Charakter der „Aneinander¬
reihung von Perlen", jede von eigenem Glanz
und mit dem Lichtpunkt des ungesucht wieder¬
kehrenden Reimwertes. Der „Geliebte" der
hafisischen Lyrik, der so leicht als der himm¬
lische Freund zu deuten war und an so vielen
Stellen auch diesen meint, wurde (fast möchte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/403>, abgerufen am 24.07.2024.