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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Das Baumivollproblem

den Volksbüchern dein Zauberer Faust, wahrscheinlich einer phantastischen Um¬
schreibung des Fühl, der bei der Hexerei des ersten Buchdrucks beteiligt war --
sinnig genug, denn durch diese "Hexerei" lebte die Antike für das allgemeine
Bewußtsein wieder auf. Neben dieser mönchischen Fassung der Allegorie macht
sich aber auch die feinere geltend, eine gewisse Ehrfurcht der geheimnisvollen
Helena gegenüber, die vielleicht doch aus besseren Welten stammt und nicht nur
sinnliche Lockung, seelenverderbliche Zauberei bringen kann. Sie vermählt sich
mit Faust, wie Aphrodite sich mit Hephaistos vermählte, die Schönheit mit der
Arbeit, und schenkt ihm einen blühenden Sohn. Doch als der Zauberer dem
Teufel verfällt, verschwindet der Sohn mit der Mutter zusammen.

Es war Goethe vorbehalten, aus diesem Märchen den Deutschen eine
mystisch-allegorische Dichtung großen Stiles zu schenken. Im zweiten Teil des
"Faust" lernt die Seele des Helden auf ihrer Pilgerfahrt mannigfache psychische
Klimata kennen, die alle ihre bedeutenden Sinnbilder haben. Okzident und
Orient, Pantheismus und Christentum, Mythologie und Legende treten auf und
ringen in immer neuen Gestaltungen und Verkleidungen um die Herrschaft über
diese eine Seele. Ein blendender Reichtum symbolischer Dinge, ein Verketten
und Verschlingen kühner Gleichnisse scheint eine letzte, höchste Vollendung aller
vorangegangenen Allegorien zu sein. Aber wir können trotz der Bewunderung
für den großen Zauberer, der so vieles machtvoll zusammenfaßte, uns nicht
heimisch fühlen, unter dieser überwältigenden Fülle von Personifikationen und
ihren deutungsbedürftigen Wesenheiten. Wir haben nicht mehr das vertraute Gefühl
vergangener Generationen dem Abstrakten gegenüber. Unsere geistige Disziplin ist
auf exakte Wissenschaft gegründet, statt auf scholastischeWeisheit. Sie hat sich geändert
und verfolgt nur mit Mühe das Spiel dieser gewaltigen, rätselvollen Konzeption.

Aber Goethe krönt seinen labyrinthischen allegorischen Palast, der tausend
Schatzkammern birgt, der dem Auge Königsäle und Gefängnisse und blumen¬
geschmückte Höfe zeigt, lächelnd mit den geheimnisvollen Worten:


"Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis."


Das Vaumwollproblem
Privatdozent Dr. Zadow von

Ner Außenhandel Deutschlands, welcher noch im Jahre 1890 nur
ungefähr 7 Milliarden Mark betrug, hat sich in den letzten zwanzig
Jahren verdoppelt und beläuft sich jetzt auf etwa 15 Milliarden Mark,
von denen rund 8 Milliarden auf die Einfuhr und 7 Milliarden
auf die Ausfuhr entfallen.") Unter den eingeführten Rohstoffen



*) Vgl. hierzu "Unsere Kolonialwirtschaft in ihrer Bedeutung für Industrie, Handel
und Landwirtschaft". Nach Zusammenstellungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes heraus¬
gegeben vom Kolonialwirtschaftlichen Komitee 1910.
Das Baumivollproblem

den Volksbüchern dein Zauberer Faust, wahrscheinlich einer phantastischen Um¬
schreibung des Fühl, der bei der Hexerei des ersten Buchdrucks beteiligt war —
sinnig genug, denn durch diese „Hexerei" lebte die Antike für das allgemeine
Bewußtsein wieder auf. Neben dieser mönchischen Fassung der Allegorie macht
sich aber auch die feinere geltend, eine gewisse Ehrfurcht der geheimnisvollen
Helena gegenüber, die vielleicht doch aus besseren Welten stammt und nicht nur
sinnliche Lockung, seelenverderbliche Zauberei bringen kann. Sie vermählt sich
mit Faust, wie Aphrodite sich mit Hephaistos vermählte, die Schönheit mit der
Arbeit, und schenkt ihm einen blühenden Sohn. Doch als der Zauberer dem
Teufel verfällt, verschwindet der Sohn mit der Mutter zusammen.

Es war Goethe vorbehalten, aus diesem Märchen den Deutschen eine
mystisch-allegorische Dichtung großen Stiles zu schenken. Im zweiten Teil des
„Faust" lernt die Seele des Helden auf ihrer Pilgerfahrt mannigfache psychische
Klimata kennen, die alle ihre bedeutenden Sinnbilder haben. Okzident und
Orient, Pantheismus und Christentum, Mythologie und Legende treten auf und
ringen in immer neuen Gestaltungen und Verkleidungen um die Herrschaft über
diese eine Seele. Ein blendender Reichtum symbolischer Dinge, ein Verketten
und Verschlingen kühner Gleichnisse scheint eine letzte, höchste Vollendung aller
vorangegangenen Allegorien zu sein. Aber wir können trotz der Bewunderung
für den großen Zauberer, der so vieles machtvoll zusammenfaßte, uns nicht
heimisch fühlen, unter dieser überwältigenden Fülle von Personifikationen und
ihren deutungsbedürftigen Wesenheiten. Wir haben nicht mehr das vertraute Gefühl
vergangener Generationen dem Abstrakten gegenüber. Unsere geistige Disziplin ist
auf exakte Wissenschaft gegründet, statt auf scholastischeWeisheit. Sie hat sich geändert
und verfolgt nur mit Mühe das Spiel dieser gewaltigen, rätselvollen Konzeption.

Aber Goethe krönt seinen labyrinthischen allegorischen Palast, der tausend
Schatzkammern birgt, der dem Auge Königsäle und Gefängnisse und blumen¬
geschmückte Höfe zeigt, lächelnd mit den geheimnisvollen Worten:


„Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis."


Das Vaumwollproblem
Privatdozent Dr. Zadow von

Ner Außenhandel Deutschlands, welcher noch im Jahre 1890 nur
ungefähr 7 Milliarden Mark betrug, hat sich in den letzten zwanzig
Jahren verdoppelt und beläuft sich jetzt auf etwa 15 Milliarden Mark,
von denen rund 8 Milliarden auf die Einfuhr und 7 Milliarden
auf die Ausfuhr entfallen.") Unter den eingeführten Rohstoffen



*) Vgl. hierzu „Unsere Kolonialwirtschaft in ihrer Bedeutung für Industrie, Handel
und Landwirtschaft". Nach Zusammenstellungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes heraus¬
gegeben vom Kolonialwirtschaftlichen Komitee 1910.
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[0386] Das Baumivollproblem den Volksbüchern dein Zauberer Faust, wahrscheinlich einer phantastischen Um¬ schreibung des Fühl, der bei der Hexerei des ersten Buchdrucks beteiligt war — sinnig genug, denn durch diese „Hexerei" lebte die Antike für das allgemeine Bewußtsein wieder auf. Neben dieser mönchischen Fassung der Allegorie macht sich aber auch die feinere geltend, eine gewisse Ehrfurcht der geheimnisvollen Helena gegenüber, die vielleicht doch aus besseren Welten stammt und nicht nur sinnliche Lockung, seelenverderbliche Zauberei bringen kann. Sie vermählt sich mit Faust, wie Aphrodite sich mit Hephaistos vermählte, die Schönheit mit der Arbeit, und schenkt ihm einen blühenden Sohn. Doch als der Zauberer dem Teufel verfällt, verschwindet der Sohn mit der Mutter zusammen. Es war Goethe vorbehalten, aus diesem Märchen den Deutschen eine mystisch-allegorische Dichtung großen Stiles zu schenken. Im zweiten Teil des „Faust" lernt die Seele des Helden auf ihrer Pilgerfahrt mannigfache psychische Klimata kennen, die alle ihre bedeutenden Sinnbilder haben. Okzident und Orient, Pantheismus und Christentum, Mythologie und Legende treten auf und ringen in immer neuen Gestaltungen und Verkleidungen um die Herrschaft über diese eine Seele. Ein blendender Reichtum symbolischer Dinge, ein Verketten und Verschlingen kühner Gleichnisse scheint eine letzte, höchste Vollendung aller vorangegangenen Allegorien zu sein. Aber wir können trotz der Bewunderung für den großen Zauberer, der so vieles machtvoll zusammenfaßte, uns nicht heimisch fühlen, unter dieser überwältigenden Fülle von Personifikationen und ihren deutungsbedürftigen Wesenheiten. Wir haben nicht mehr das vertraute Gefühl vergangener Generationen dem Abstrakten gegenüber. Unsere geistige Disziplin ist auf exakte Wissenschaft gegründet, statt auf scholastischeWeisheit. Sie hat sich geändert und verfolgt nur mit Mühe das Spiel dieser gewaltigen, rätselvollen Konzeption. Aber Goethe krönt seinen labyrinthischen allegorischen Palast, der tausend Schatzkammern birgt, der dem Auge Königsäle und Gefängnisse und blumen¬ geschmückte Höfe zeigt, lächelnd mit den geheimnisvollen Worten: „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis." Das Vaumwollproblem Privatdozent Dr. Zadow von Ner Außenhandel Deutschlands, welcher noch im Jahre 1890 nur ungefähr 7 Milliarden Mark betrug, hat sich in den letzten zwanzig Jahren verdoppelt und beläuft sich jetzt auf etwa 15 Milliarden Mark, von denen rund 8 Milliarden auf die Einfuhr und 7 Milliarden auf die Ausfuhr entfallen.") Unter den eingeführten Rohstoffen *) Vgl. hierzu „Unsere Kolonialwirtschaft in ihrer Bedeutung für Industrie, Handel und Landwirtschaft". Nach Zusammenstellungen des Kaiserlichen Statistischen Amtes heraus¬ gegeben vom Kolonialwirtschaftlichen Komitee 1910.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/386>, abgerufen am 04.07.2024.