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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Katholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens

hat, und daß die Lehren, die von der katholischen Kirche als göttlich geoffen¬
barte vorgelegt werden, in der Tat von Gott geoffenbart sind.

Daraus dürfte aber folgen, daß für denjenigen, dem dieser göttliche
Charakter der Kirche zweifelhaft ist oder zweifelhaft geworden ist, eine Glaubens¬
pflicht nicht besteht. Er verweigert ja seinen Glauben nicht Gott, sondern
Menschen. Jedenfalls haben sie ihn erst durch Beweise zu überzeugen, daß sie
göttliche Lehren verkünden. Diese Beweise aber müssen sich an seine Vernunft
wenden, müssen sich seiner Kritik gegenüber als wirklich stichhaltig bewähren;
andernfalls wird er nicht mit innerer Wahrhaftigkeit erklären können, er sei
wirklich überzeugt, daß der Kirche eine mehr als menschliche, daß ihr eine gött¬
liche Autorität zukomme. So ergibt sich die Folgerung: ein Mensch, der
über die Stufe des naiven, von keinem prinzipiellen Zweifel gestörten Glaubens
sich hinaus entwickelt hat, der insbesondere zu diesem Zweifel an dem göttlichen
Charakter der katholischen Kirche sich gedrängt fühlt, muß das Recht haben,
seine Zustimmung zu dem Glauben (die er mit innerer Wahrhaftigkeit nicht
mehr vollziehen kann) so lange zu suspendieren, bis er von den Beweisen, die
ihm die Kirche dafür vorlegt, wieder überzeugt ist.

Ich will gar nicht bezweifeln, daß mancher, der ehrlich nach Wahrheit
sucht, von diesen Beweisen überzeugt wird und nach kürzeren oder längeren
Perioden des Zweifelns und Schwankens wieder aufs neue einen festen Glauben
gewinnt. Ein solcher mag dann mit einem gewissen Recht für sich in Anspruch
nehmen, daß er nicht bloß in naiv kindlicher Weise auf die Autorität der Kirche
hin glaube, sondern daß er sich durch eigene Prüfung von deren göttlichem
Recht überzeugt habe und insofern einen "vernünftigen" Glauben hege. Aber
das möge doch nicht übersehen werden, in welch schwierige und weitgreifende
Untersuchungen diese Prüfung der Beweise der Kirche für ihren göttlichen Ursprung
und Charakter hineinführt, wenn sie wirklich eine ernsthafte und gründliche sein
soll. Es genügen nicht nur historische Untersuchungen über die angebliche Offen¬
barung in Christus und ihr Fortwirken in der katholischen Kirche -- und wie
verwickelt sind vor allem die Fragen der Evangelienkritik! --, die historische
Untersuchung treibt uns vielmehr unmittelbar weiter in philosophische Probleme;
denn ein Geschichtsforscher wird natürlich zu ganz verschiedenen Ergebnissen
kommen, je nachdem er "Wunder" für möglich hält oder die Voraussetzung
teilt, daß in der Geschichte stets alles "natürlich" zugegangen sei. Welche dieser
Voraussetzungen aber gültig sei, darüber zu befinden ist nicht Sache der Geschichte
selbst, sondern der Erkenntnistheorie und weiterhin der Metaphysik.

Angesichts der schwierigen Fragen, die so dem Wahrheit suchenden Geiste
sich entgegentürmen, wird gar manchem der Mut entsinken; auch sind es ja nur
wenige, denen das Leben mit seinen dringenderen Aufgaben Zeit läßt, so lang¬
wierigen Studien und Überlegungen sich zu widmen. Und endlich: die katholische
Kirche bietet feste Normen für das Leben im Diesseits und einen tröstlichen
Ausblick auf das Jenseits; viele aber ertragen es geradezu nicht, ohne festen


Katholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens

hat, und daß die Lehren, die von der katholischen Kirche als göttlich geoffen¬
barte vorgelegt werden, in der Tat von Gott geoffenbart sind.

Daraus dürfte aber folgen, daß für denjenigen, dem dieser göttliche
Charakter der Kirche zweifelhaft ist oder zweifelhaft geworden ist, eine Glaubens¬
pflicht nicht besteht. Er verweigert ja seinen Glauben nicht Gott, sondern
Menschen. Jedenfalls haben sie ihn erst durch Beweise zu überzeugen, daß sie
göttliche Lehren verkünden. Diese Beweise aber müssen sich an seine Vernunft
wenden, müssen sich seiner Kritik gegenüber als wirklich stichhaltig bewähren;
andernfalls wird er nicht mit innerer Wahrhaftigkeit erklären können, er sei
wirklich überzeugt, daß der Kirche eine mehr als menschliche, daß ihr eine gött¬
liche Autorität zukomme. So ergibt sich die Folgerung: ein Mensch, der
über die Stufe des naiven, von keinem prinzipiellen Zweifel gestörten Glaubens
sich hinaus entwickelt hat, der insbesondere zu diesem Zweifel an dem göttlichen
Charakter der katholischen Kirche sich gedrängt fühlt, muß das Recht haben,
seine Zustimmung zu dem Glauben (die er mit innerer Wahrhaftigkeit nicht
mehr vollziehen kann) so lange zu suspendieren, bis er von den Beweisen, die
ihm die Kirche dafür vorlegt, wieder überzeugt ist.

Ich will gar nicht bezweifeln, daß mancher, der ehrlich nach Wahrheit
sucht, von diesen Beweisen überzeugt wird und nach kürzeren oder längeren
Perioden des Zweifelns und Schwankens wieder aufs neue einen festen Glauben
gewinnt. Ein solcher mag dann mit einem gewissen Recht für sich in Anspruch
nehmen, daß er nicht bloß in naiv kindlicher Weise auf die Autorität der Kirche
hin glaube, sondern daß er sich durch eigene Prüfung von deren göttlichem
Recht überzeugt habe und insofern einen „vernünftigen" Glauben hege. Aber
das möge doch nicht übersehen werden, in welch schwierige und weitgreifende
Untersuchungen diese Prüfung der Beweise der Kirche für ihren göttlichen Ursprung
und Charakter hineinführt, wenn sie wirklich eine ernsthafte und gründliche sein
soll. Es genügen nicht nur historische Untersuchungen über die angebliche Offen¬
barung in Christus und ihr Fortwirken in der katholischen Kirche — und wie
verwickelt sind vor allem die Fragen der Evangelienkritik! —, die historische
Untersuchung treibt uns vielmehr unmittelbar weiter in philosophische Probleme;
denn ein Geschichtsforscher wird natürlich zu ganz verschiedenen Ergebnissen
kommen, je nachdem er „Wunder" für möglich hält oder die Voraussetzung
teilt, daß in der Geschichte stets alles „natürlich" zugegangen sei. Welche dieser
Voraussetzungen aber gültig sei, darüber zu befinden ist nicht Sache der Geschichte
selbst, sondern der Erkenntnistheorie und weiterhin der Metaphysik.

Angesichts der schwierigen Fragen, die so dem Wahrheit suchenden Geiste
sich entgegentürmen, wird gar manchem der Mut entsinken; auch sind es ja nur
wenige, denen das Leben mit seinen dringenderen Aufgaben Zeit läßt, so lang¬
wierigen Studien und Überlegungen sich zu widmen. Und endlich: die katholische
Kirche bietet feste Normen für das Leben im Diesseits und einen tröstlichen
Ausblick auf das Jenseits; viele aber ertragen es geradezu nicht, ohne festen


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[0371] Katholische Kirche und Freiheit des Denkens und Forschens hat, und daß die Lehren, die von der katholischen Kirche als göttlich geoffen¬ barte vorgelegt werden, in der Tat von Gott geoffenbart sind. Daraus dürfte aber folgen, daß für denjenigen, dem dieser göttliche Charakter der Kirche zweifelhaft ist oder zweifelhaft geworden ist, eine Glaubens¬ pflicht nicht besteht. Er verweigert ja seinen Glauben nicht Gott, sondern Menschen. Jedenfalls haben sie ihn erst durch Beweise zu überzeugen, daß sie göttliche Lehren verkünden. Diese Beweise aber müssen sich an seine Vernunft wenden, müssen sich seiner Kritik gegenüber als wirklich stichhaltig bewähren; andernfalls wird er nicht mit innerer Wahrhaftigkeit erklären können, er sei wirklich überzeugt, daß der Kirche eine mehr als menschliche, daß ihr eine gött¬ liche Autorität zukomme. So ergibt sich die Folgerung: ein Mensch, der über die Stufe des naiven, von keinem prinzipiellen Zweifel gestörten Glaubens sich hinaus entwickelt hat, der insbesondere zu diesem Zweifel an dem göttlichen Charakter der katholischen Kirche sich gedrängt fühlt, muß das Recht haben, seine Zustimmung zu dem Glauben (die er mit innerer Wahrhaftigkeit nicht mehr vollziehen kann) so lange zu suspendieren, bis er von den Beweisen, die ihm die Kirche dafür vorlegt, wieder überzeugt ist. Ich will gar nicht bezweifeln, daß mancher, der ehrlich nach Wahrheit sucht, von diesen Beweisen überzeugt wird und nach kürzeren oder längeren Perioden des Zweifelns und Schwankens wieder aufs neue einen festen Glauben gewinnt. Ein solcher mag dann mit einem gewissen Recht für sich in Anspruch nehmen, daß er nicht bloß in naiv kindlicher Weise auf die Autorität der Kirche hin glaube, sondern daß er sich durch eigene Prüfung von deren göttlichem Recht überzeugt habe und insofern einen „vernünftigen" Glauben hege. Aber das möge doch nicht übersehen werden, in welch schwierige und weitgreifende Untersuchungen diese Prüfung der Beweise der Kirche für ihren göttlichen Ursprung und Charakter hineinführt, wenn sie wirklich eine ernsthafte und gründliche sein soll. Es genügen nicht nur historische Untersuchungen über die angebliche Offen¬ barung in Christus und ihr Fortwirken in der katholischen Kirche — und wie verwickelt sind vor allem die Fragen der Evangelienkritik! —, die historische Untersuchung treibt uns vielmehr unmittelbar weiter in philosophische Probleme; denn ein Geschichtsforscher wird natürlich zu ganz verschiedenen Ergebnissen kommen, je nachdem er „Wunder" für möglich hält oder die Voraussetzung teilt, daß in der Geschichte stets alles „natürlich" zugegangen sei. Welche dieser Voraussetzungen aber gültig sei, darüber zu befinden ist nicht Sache der Geschichte selbst, sondern der Erkenntnistheorie und weiterhin der Metaphysik. Angesichts der schwierigen Fragen, die so dem Wahrheit suchenden Geiste sich entgegentürmen, wird gar manchem der Mut entsinken; auch sind es ja nur wenige, denen das Leben mit seinen dringenderen Aufgaben Zeit läßt, so lang¬ wierigen Studien und Überlegungen sich zu widmen. Und endlich: die katholische Kirche bietet feste Normen für das Leben im Diesseits und einen tröstlichen Ausblick auf das Jenseits; viele aber ertragen es geradezu nicht, ohne festen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/371>, abgerufen am 24.07.2024.