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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Emile verhaeren

Diese Begeisterung, die Erkenntnis vom Wert und Sinn des Lebens sind
die großen, bedeutungsvollen Errungenschaften, die uns der Dichter Verhaeren
predigt und lehrt. Und so sieht er nun auch sein Heimatland nicht mehr mit
dem trotzigen Pessimismus wie zur Zeit der ,,^Iarimnäe3" an, jetzt, in "l'onde
la k^Ianäre", preist er seine Schönheit mit Freude und Hingabe. Gesund und
kräftig, gütevoll und verstehend -- so ist der große Belgier ein treuer Führer
und Helfer.

Es mag befremden, daß bisher von einem noch nicht geredet wurde, von
jener Empfindung und Seligkeit, die überall das höchste Glück des Dichters
kündet: von der Liebe des Mannes zum Weib. Aber in dem großen, alles
umspannenden Werke Verhaerens nimmt sie bezeichnenderweise einen nur geringen
Raum ein. Die Kämpfe des Lebens, das Ringen um seinen Inhalt hatten so
tief das Herz des Dichters bewegt, daß er nur für die Allgemeinheit Verständnis
und Interesse zeigte. Erst als die Stürme zur Ruhe gekommen sind, da findet
er jene Töne, die von Liebe reden. Er fand die Liebe zur Menschheit und
mit ihr auch die Liebe zum Weib. Und es ist wiederum von Bedeutung, daß
es Ehelieder sind, die Verhaeren singt, keine jugendlich ungestümen, werbenden
Gedichte, sondern ruhige, gütige, milde Klänge. "I^es teures Loire8" und
"I^es Hsure8 ö'^pro8-miäi", gewidmet "der, die an meiner Seite lebt". Hier
ist kein Pathos, sondern Friede und Glück. Leise und sonnig sind diese Verse,
so ganz voll germanischer Treuherzigkeit und innigster Zuneigung. Es erscheint
fast unglaublich, daß der herbe, kraftvolle Verhaeren nun so liebliche Lieder
formen konnte, die andächtig und gläubig stimmen. Beschreiben läßt sich die
Magie des Melos nicht, man muß sie sühlen und erleben. Zwei Proben in
eigener Übersetzung seien hier angeführt*):

Aus den "Lichten Stunden".
Der Nachthimmel hat sich aufgetan,
Und der Mond scheint zu wachen und zieht seine Bahn
Über dein schlafenden Schweigen. Alles ist so klar und rein,
Hat in der Luft so reinen und blassen Schein,-
Wie schrickt man auf, wenn über den Teichen
Des friedlichen Lands an unser Ohr
Ein Tropfen klingt aus Schilf und Rohr
Und dann sich in dem Wasser verlor. Aber ich hab' deine Hände, die über meinen sich falten,
Und deine sichern Blicke, die mich halten,
Und deiner Inbrunst sanftes Glück;
Und ich weiß, daß alle Dinge mit dir in Frieden sind.


*) Die Liebesgedichie sind in einer löblichen Übersetzung von Erna Rehwoldt erschienen,
die auch eine Auswahl aus den andern Dichtungen veröffentlicht hat (Verlag Axel Junker,
Berlin). Auch auf das Buch von Otto Hauser '"Die belgische Lyrik von 1880 bis 1900"
(Baumert n. Ronge, Groszenhnin i. S.) sei empfehlend hingewiesen! es enthält eine Studie
und Übersetzungen von Wert.
Emile verhaeren

Diese Begeisterung, die Erkenntnis vom Wert und Sinn des Lebens sind
die großen, bedeutungsvollen Errungenschaften, die uns der Dichter Verhaeren
predigt und lehrt. Und so sieht er nun auch sein Heimatland nicht mehr mit
dem trotzigen Pessimismus wie zur Zeit der ,,^Iarimnäe3" an, jetzt, in „l'onde
la k^Ianäre", preist er seine Schönheit mit Freude und Hingabe. Gesund und
kräftig, gütevoll und verstehend — so ist der große Belgier ein treuer Führer
und Helfer.

Es mag befremden, daß bisher von einem noch nicht geredet wurde, von
jener Empfindung und Seligkeit, die überall das höchste Glück des Dichters
kündet: von der Liebe des Mannes zum Weib. Aber in dem großen, alles
umspannenden Werke Verhaerens nimmt sie bezeichnenderweise einen nur geringen
Raum ein. Die Kämpfe des Lebens, das Ringen um seinen Inhalt hatten so
tief das Herz des Dichters bewegt, daß er nur für die Allgemeinheit Verständnis
und Interesse zeigte. Erst als die Stürme zur Ruhe gekommen sind, da findet
er jene Töne, die von Liebe reden. Er fand die Liebe zur Menschheit und
mit ihr auch die Liebe zum Weib. Und es ist wiederum von Bedeutung, daß
es Ehelieder sind, die Verhaeren singt, keine jugendlich ungestümen, werbenden
Gedichte, sondern ruhige, gütige, milde Klänge. „I^es teures Loire8" und
„I^es Hsure8 ö'^pro8-miäi", gewidmet „der, die an meiner Seite lebt". Hier
ist kein Pathos, sondern Friede und Glück. Leise und sonnig sind diese Verse,
so ganz voll germanischer Treuherzigkeit und innigster Zuneigung. Es erscheint
fast unglaublich, daß der herbe, kraftvolle Verhaeren nun so liebliche Lieder
formen konnte, die andächtig und gläubig stimmen. Beschreiben läßt sich die
Magie des Melos nicht, man muß sie sühlen und erleben. Zwei Proben in
eigener Übersetzung seien hier angeführt*):

Aus den „Lichten Stunden".
Der Nachthimmel hat sich aufgetan,
Und der Mond scheint zu wachen und zieht seine Bahn
Über dein schlafenden Schweigen. Alles ist so klar und rein,
Hat in der Luft so reinen und blassen Schein,-
Wie schrickt man auf, wenn über den Teichen
Des friedlichen Lands an unser Ohr
Ein Tropfen klingt aus Schilf und Rohr
Und dann sich in dem Wasser verlor. Aber ich hab' deine Hände, die über meinen sich falten,
Und deine sichern Blicke, die mich halten,
Und deiner Inbrunst sanftes Glück;
Und ich weiß, daß alle Dinge mit dir in Frieden sind.


*) Die Liebesgedichie sind in einer löblichen Übersetzung von Erna Rehwoldt erschienen,
die auch eine Auswahl aus den andern Dichtungen veröffentlicht hat (Verlag Axel Junker,
Berlin). Auch auf das Buch von Otto Hauser '„Die belgische Lyrik von 1880 bis 1900"
(Baumert n. Ronge, Groszenhnin i. S.) sei empfehlend hingewiesen! es enthält eine Studie
und Übersetzungen von Wert.
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[0337] Emile verhaeren Diese Begeisterung, die Erkenntnis vom Wert und Sinn des Lebens sind die großen, bedeutungsvollen Errungenschaften, die uns der Dichter Verhaeren predigt und lehrt. Und so sieht er nun auch sein Heimatland nicht mehr mit dem trotzigen Pessimismus wie zur Zeit der ,,^Iarimnäe3" an, jetzt, in „l'onde la k^Ianäre", preist er seine Schönheit mit Freude und Hingabe. Gesund und kräftig, gütevoll und verstehend — so ist der große Belgier ein treuer Führer und Helfer. Es mag befremden, daß bisher von einem noch nicht geredet wurde, von jener Empfindung und Seligkeit, die überall das höchste Glück des Dichters kündet: von der Liebe des Mannes zum Weib. Aber in dem großen, alles umspannenden Werke Verhaerens nimmt sie bezeichnenderweise einen nur geringen Raum ein. Die Kämpfe des Lebens, das Ringen um seinen Inhalt hatten so tief das Herz des Dichters bewegt, daß er nur für die Allgemeinheit Verständnis und Interesse zeigte. Erst als die Stürme zur Ruhe gekommen sind, da findet er jene Töne, die von Liebe reden. Er fand die Liebe zur Menschheit und mit ihr auch die Liebe zum Weib. Und es ist wiederum von Bedeutung, daß es Ehelieder sind, die Verhaeren singt, keine jugendlich ungestümen, werbenden Gedichte, sondern ruhige, gütige, milde Klänge. „I^es teures Loire8" und „I^es Hsure8 ö'^pro8-miäi", gewidmet „der, die an meiner Seite lebt". Hier ist kein Pathos, sondern Friede und Glück. Leise und sonnig sind diese Verse, so ganz voll germanischer Treuherzigkeit und innigster Zuneigung. Es erscheint fast unglaublich, daß der herbe, kraftvolle Verhaeren nun so liebliche Lieder formen konnte, die andächtig und gläubig stimmen. Beschreiben läßt sich die Magie des Melos nicht, man muß sie sühlen und erleben. Zwei Proben in eigener Übersetzung seien hier angeführt*): Aus den „Lichten Stunden". Der Nachthimmel hat sich aufgetan, Und der Mond scheint zu wachen und zieht seine Bahn Über dein schlafenden Schweigen. Alles ist so klar und rein, Hat in der Luft so reinen und blassen Schein,- Wie schrickt man auf, wenn über den Teichen Des friedlichen Lands an unser Ohr Ein Tropfen klingt aus Schilf und Rohr Und dann sich in dem Wasser verlor. Aber ich hab' deine Hände, die über meinen sich falten, Und deine sichern Blicke, die mich halten, Und deiner Inbrunst sanftes Glück; Und ich weiß, daß alle Dinge mit dir in Frieden sind. *) Die Liebesgedichie sind in einer löblichen Übersetzung von Erna Rehwoldt erschienen, die auch eine Auswahl aus den andern Dichtungen veröffentlicht hat (Verlag Axel Junker, Berlin). Auch auf das Buch von Otto Hauser '„Die belgische Lyrik von 1880 bis 1900" (Baumert n. Ronge, Groszenhnin i. S.) sei empfehlend hingewiesen! es enthält eine Studie und Übersetzungen von Wert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/337>, abgerufen am 30.12.2024.