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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der Leanite als Staatsbürger

ist schwierig zu entscheiden und wird zu großen Meinungsverschiedenheiten
Anlaß geben. Eine starke, feste Verwaltung kann einen unliebsamen Einfluß
aus den Ausfall der Wahl ausüben, und allzu unbedeutende Persönlichkeiten
in einem solchen Ausschuß würden bald dessen Ansehen heruntergewirtschaftet
haben. Man kann doch erwägen, ob unter diesen Umständen nicht die Vereine
und Verbände sich wirksamer der Interessen annehmen können, welche den: Aus¬
schuß anvertraut werden sollen. Allerdings ist einzuwenden, daß immer ein
Teil der Beamten diesen nicht angeschlossen ist und somit durch sie eine Ver¬
tretung nicht hat.

Zu dem Recht, sich mit anderen Berufs- und Standesgenossen in Vereine
und Verbände zusammenzuschließen, zu dem Recht, mit einzelnen Abgeordneten
in Verkehr zu treten, soweit -- diese Einschränkung muß selbstverständlich
gemacht werden -- dadurch ein Amtsgeheimnis nicht verletzt wird, kommt das
Recht, sich mit Petitionen an die Parlamente zu wenden. Dieses Recht darf in
keiner Hinsicht geschmälert werden. Die Beamten, welche das zu tun für nötig
befinden, werden sicherlich nicht verfehlen, ihrer vorgesetzten Behörde davon
Kenntnis zu geben; sie werden Ton und Anstand wahren und gut daran tun,
vorher in der Regel den gesetzten Instanzenzug zu erschöpfen.

Ich habe am Eingang ausgeführt, wie eigenartig das Rechtsverhültnis
gebildet ist, das zwischen Staat, Kommune einerseits und dein Beamten ander¬
seits abgeschlossen wird. Der Staat und auch die Kommune setzen selbst die
Bedingungen fest, uuter denen die Annahme erfolgen kann,- sie verlangen die
restlose Einsetzung der körperlichen und geistigen Kraft und beanspruchen darüber
hinaus für das Verhalten ihrer Beamten im Dienst und außerhalb desselben eine
stete Rücksichtnahme auf das, was sie als Beamtenpflicht erklären. Dafür gewähren
sie eine Anstellung auf Lebenszeit, ein bestimmtes, in festgesetzten Stufen
aufsteigendes Gehalt, einen Pensionsanspruch, eine Witwen- und Waisenversorgung
und eröffnen ihren Beamten die Aussicht des Vorwärtskommens in höhere
und besser bewertete Stellungen. Darin liegt ein erhöhter Schutz ihres Daseins,
darin liegt aber auch der Anspruch an eine weitgehende Hingabe, die den
Beamten in eine gewisse Abhängigkeit bringt, auf der die Macht des Arbeit¬
gebers lastet und die viele Klippen birgt, an welchen der Beamte Gefahr läuft
aus dem Schiff hinausgeworfen zu werden. Der Zwang darf nur so weit
gehen, als es der Zweck des Staates und die Sorge für den geordneten Gang
der Staatsmaschine erfordert; er darf nicht die ganze individuelle Persönlichkeit
ersticken, nicht ausarten in eine Bevormundung in allen Dingen und in jeder
Hinsicht. Sonst müßte man auch dem Beamten eine Art Modernisteneid ab¬
nehmen. Darum muß seine Anstellung, seine daraus hervorgehende Ver¬
pflichtung und sein daraus hervorgehendes Recht genau durch gesetzlich fest¬
gelegte beamtenrechtliche Grundsätze umschrieben und abgegrenzt sein; er muß
gesichert sein durch das Recht der Beschwerde, er muß Eröffnung erhalten von
Bemängelungen seiner Dienstführung; das Disziplinarverfahren muß ihn? die


Grenzboten l 1911 L4
Der Leanite als Staatsbürger

ist schwierig zu entscheiden und wird zu großen Meinungsverschiedenheiten
Anlaß geben. Eine starke, feste Verwaltung kann einen unliebsamen Einfluß
aus den Ausfall der Wahl ausüben, und allzu unbedeutende Persönlichkeiten
in einem solchen Ausschuß würden bald dessen Ansehen heruntergewirtschaftet
haben. Man kann doch erwägen, ob unter diesen Umständen nicht die Vereine
und Verbände sich wirksamer der Interessen annehmen können, welche den: Aus¬
schuß anvertraut werden sollen. Allerdings ist einzuwenden, daß immer ein
Teil der Beamten diesen nicht angeschlossen ist und somit durch sie eine Ver¬
tretung nicht hat.

Zu dem Recht, sich mit anderen Berufs- und Standesgenossen in Vereine
und Verbände zusammenzuschließen, zu dem Recht, mit einzelnen Abgeordneten
in Verkehr zu treten, soweit — diese Einschränkung muß selbstverständlich
gemacht werden — dadurch ein Amtsgeheimnis nicht verletzt wird, kommt das
Recht, sich mit Petitionen an die Parlamente zu wenden. Dieses Recht darf in
keiner Hinsicht geschmälert werden. Die Beamten, welche das zu tun für nötig
befinden, werden sicherlich nicht verfehlen, ihrer vorgesetzten Behörde davon
Kenntnis zu geben; sie werden Ton und Anstand wahren und gut daran tun,
vorher in der Regel den gesetzten Instanzenzug zu erschöpfen.

Ich habe am Eingang ausgeführt, wie eigenartig das Rechtsverhültnis
gebildet ist, das zwischen Staat, Kommune einerseits und dein Beamten ander¬
seits abgeschlossen wird. Der Staat und auch die Kommune setzen selbst die
Bedingungen fest, uuter denen die Annahme erfolgen kann,- sie verlangen die
restlose Einsetzung der körperlichen und geistigen Kraft und beanspruchen darüber
hinaus für das Verhalten ihrer Beamten im Dienst und außerhalb desselben eine
stete Rücksichtnahme auf das, was sie als Beamtenpflicht erklären. Dafür gewähren
sie eine Anstellung auf Lebenszeit, ein bestimmtes, in festgesetzten Stufen
aufsteigendes Gehalt, einen Pensionsanspruch, eine Witwen- und Waisenversorgung
und eröffnen ihren Beamten die Aussicht des Vorwärtskommens in höhere
und besser bewertete Stellungen. Darin liegt ein erhöhter Schutz ihres Daseins,
darin liegt aber auch der Anspruch an eine weitgehende Hingabe, die den
Beamten in eine gewisse Abhängigkeit bringt, auf der die Macht des Arbeit¬
gebers lastet und die viele Klippen birgt, an welchen der Beamte Gefahr läuft
aus dem Schiff hinausgeworfen zu werden. Der Zwang darf nur so weit
gehen, als es der Zweck des Staates und die Sorge für den geordneten Gang
der Staatsmaschine erfordert; er darf nicht die ganze individuelle Persönlichkeit
ersticken, nicht ausarten in eine Bevormundung in allen Dingen und in jeder
Hinsicht. Sonst müßte man auch dem Beamten eine Art Modernisteneid ab¬
nehmen. Darum muß seine Anstellung, seine daraus hervorgehende Ver¬
pflichtung und sein daraus hervorgehendes Recht genau durch gesetzlich fest¬
gelegte beamtenrechtliche Grundsätze umschrieben und abgegrenzt sein; er muß
gesichert sein durch das Recht der Beschwerde, er muß Eröffnung erhalten von
Bemängelungen seiner Dienstführung; das Disziplinarverfahren muß ihn? die


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[0279] Der Leanite als Staatsbürger ist schwierig zu entscheiden und wird zu großen Meinungsverschiedenheiten Anlaß geben. Eine starke, feste Verwaltung kann einen unliebsamen Einfluß aus den Ausfall der Wahl ausüben, und allzu unbedeutende Persönlichkeiten in einem solchen Ausschuß würden bald dessen Ansehen heruntergewirtschaftet haben. Man kann doch erwägen, ob unter diesen Umständen nicht die Vereine und Verbände sich wirksamer der Interessen annehmen können, welche den: Aus¬ schuß anvertraut werden sollen. Allerdings ist einzuwenden, daß immer ein Teil der Beamten diesen nicht angeschlossen ist und somit durch sie eine Ver¬ tretung nicht hat. Zu dem Recht, sich mit anderen Berufs- und Standesgenossen in Vereine und Verbände zusammenzuschließen, zu dem Recht, mit einzelnen Abgeordneten in Verkehr zu treten, soweit — diese Einschränkung muß selbstverständlich gemacht werden — dadurch ein Amtsgeheimnis nicht verletzt wird, kommt das Recht, sich mit Petitionen an die Parlamente zu wenden. Dieses Recht darf in keiner Hinsicht geschmälert werden. Die Beamten, welche das zu tun für nötig befinden, werden sicherlich nicht verfehlen, ihrer vorgesetzten Behörde davon Kenntnis zu geben; sie werden Ton und Anstand wahren und gut daran tun, vorher in der Regel den gesetzten Instanzenzug zu erschöpfen. Ich habe am Eingang ausgeführt, wie eigenartig das Rechtsverhültnis gebildet ist, das zwischen Staat, Kommune einerseits und dein Beamten ander¬ seits abgeschlossen wird. Der Staat und auch die Kommune setzen selbst die Bedingungen fest, uuter denen die Annahme erfolgen kann,- sie verlangen die restlose Einsetzung der körperlichen und geistigen Kraft und beanspruchen darüber hinaus für das Verhalten ihrer Beamten im Dienst und außerhalb desselben eine stete Rücksichtnahme auf das, was sie als Beamtenpflicht erklären. Dafür gewähren sie eine Anstellung auf Lebenszeit, ein bestimmtes, in festgesetzten Stufen aufsteigendes Gehalt, einen Pensionsanspruch, eine Witwen- und Waisenversorgung und eröffnen ihren Beamten die Aussicht des Vorwärtskommens in höhere und besser bewertete Stellungen. Darin liegt ein erhöhter Schutz ihres Daseins, darin liegt aber auch der Anspruch an eine weitgehende Hingabe, die den Beamten in eine gewisse Abhängigkeit bringt, auf der die Macht des Arbeit¬ gebers lastet und die viele Klippen birgt, an welchen der Beamte Gefahr läuft aus dem Schiff hinausgeworfen zu werden. Der Zwang darf nur so weit gehen, als es der Zweck des Staates und die Sorge für den geordneten Gang der Staatsmaschine erfordert; er darf nicht die ganze individuelle Persönlichkeit ersticken, nicht ausarten in eine Bevormundung in allen Dingen und in jeder Hinsicht. Sonst müßte man auch dem Beamten eine Art Modernisteneid ab¬ nehmen. Darum muß seine Anstellung, seine daraus hervorgehende Ver¬ pflichtung und sein daraus hervorgehendes Recht genau durch gesetzlich fest¬ gelegte beamtenrechtliche Grundsätze umschrieben und abgegrenzt sein; er muß gesichert sein durch das Recht der Beschwerde, er muß Eröffnung erhalten von Bemängelungen seiner Dienstführung; das Disziplinarverfahren muß ihn? die Grenzboten l 1911 L4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/279>, abgerufen am 24.07.2024.