Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Beamte als Staatsbürger

das eine solche Anforderung an sich stellen müßte. Für die letzteren ist aber
zweifelsohne eine besondere Verpflichtung anzuerkennen. Der bekannte Bismarcksche
Beamtenerlaß vom 2. Januar 1886 hat nur die Klasse der Landräte, Regierungs¬
präsidenten, Oberpräsidenten im Auge gehabt. Wer hier sich nicht zu fügen
versteht, wird die Folgen auf sich nehmen müssen. Nun, im übrigen darf eine
Einschränkung nicht Platz greifen. In seiner Zugehörigkeit zur Partei, in seiner
Abstimmung zu Wahlen muß der Beamte die volle Freiheit genießen wie jeder
andere; er darf nicht, wie Bennigsen sich ausdrückt, "in würdeloser Weise
Agitation treiben, nicht solche Handlungen vornehmen, die mit dem Verfahren
eines anständigen Mannes nicht in Übereinstimmung zu bringen sind". Und
er darf vor allem nicht sein amtliches Ansehen für parteipolitische Zwecke ein¬
setzen, sein Amt mißbrauchen oder gar seine amtliche Stellung zum Organ einer
bestimmten politischen Partei herabwürdigen. Die Jnnehaltung dieser Grenz¬
linien sollte heutigen Tages eigentlich Schwierigkeiten nicht mehr bereiten. Bei
Einhaltung dieser Grenzlinien halte ich den Beamten wohl befugt, Schäden
aufzudecken, zu besprechen, Verbesserungen anzuregen. Ist doch auch diese außer¬
halb des Dienstes geübte Tätigkeit in: Grunde uur im Interesse des Staats¬
ganzen und soll der Wohlfahrt und dein Gedeihen des Vaterlandes dienen!

Die Auffassung über das Verhältnis des Beamten als solchen: zum Staate
scheint eben im Laufe der Jahre eine Umwandlung zu erfahren. Nicht mehr
wie früher ist die Zahl der Beamten beschränkt, nicht mehr wie früher ist die
persönliche Fühlungnahme so leicht. Die Zahl der Beamten hat sich außer¬
ordentlich vermehrt, die Geschäfte haben sich gesteigert, sind vielseitiger geworden.
Das persönliche Sich-Nähertreten ist erschwert. Nicht mehr wie früher kann
eine Hand alles leiten und lenken. Einzelne Ämter haben eine gewaltige Aus¬
dehnung genommen. Es ist erklärlich, daß an einer Stelle mit mehreren hundert
Beamten der Vorstand nicht mehr imstande ist, die untergebenen Beamten als
Instrument seines Willens zu behandeln, noch weniger kann dies über das ganze
Gebiet des Staates hin versucht werden. Damit aber sah sich jeder Beamte
auf größere Selbständigkeit angewiesen, seine Verantwortung wurde eine größere;
und mit der Steigerung des Verantwortlichkeitsgefühls hob sich das Selbst¬
bewußtsein, das alte patriarchalische Verhältnis, das in jedem Vorgesetzten
auch den geborenen Vertreter der Untergebenen erblickt, schwindet. Weil
der Beamte sich mit voller Hingebung seinem Dienst widmet, weil er
mit seinem ganzen eigenen Interesse dabei ist, will er selbst milderten,
gestaltend mitarbeiten dürfen, will gehört und beachtet werden in der vollen,
bewußten Erkenntnis, daß trotz tunlichster Zulässigkeit der Bewegungsfreiheit der
einzelnen Glieder doch der innerliche Zusammenhang des ganzen Beamtenkörpers
eines jeden Staats- und Gemeinwesens gewahrt bleiben muß. Diese veränderte
Auffassung von der Stellung des Beamten ist weit davon entfernt, eine Durch¬
brechung der als notwendig zugestandenen Disziplin zu bedeuten oder als
Folge nach sich zu ziehen. Vielmehr wird die Disziplin nur auf neue Füße


Der Beamte als Staatsbürger

das eine solche Anforderung an sich stellen müßte. Für die letzteren ist aber
zweifelsohne eine besondere Verpflichtung anzuerkennen. Der bekannte Bismarcksche
Beamtenerlaß vom 2. Januar 1886 hat nur die Klasse der Landräte, Regierungs¬
präsidenten, Oberpräsidenten im Auge gehabt. Wer hier sich nicht zu fügen
versteht, wird die Folgen auf sich nehmen müssen. Nun, im übrigen darf eine
Einschränkung nicht Platz greifen. In seiner Zugehörigkeit zur Partei, in seiner
Abstimmung zu Wahlen muß der Beamte die volle Freiheit genießen wie jeder
andere; er darf nicht, wie Bennigsen sich ausdrückt, „in würdeloser Weise
Agitation treiben, nicht solche Handlungen vornehmen, die mit dem Verfahren
eines anständigen Mannes nicht in Übereinstimmung zu bringen sind". Und
er darf vor allem nicht sein amtliches Ansehen für parteipolitische Zwecke ein¬
setzen, sein Amt mißbrauchen oder gar seine amtliche Stellung zum Organ einer
bestimmten politischen Partei herabwürdigen. Die Jnnehaltung dieser Grenz¬
linien sollte heutigen Tages eigentlich Schwierigkeiten nicht mehr bereiten. Bei
Einhaltung dieser Grenzlinien halte ich den Beamten wohl befugt, Schäden
aufzudecken, zu besprechen, Verbesserungen anzuregen. Ist doch auch diese außer¬
halb des Dienstes geübte Tätigkeit in: Grunde uur im Interesse des Staats¬
ganzen und soll der Wohlfahrt und dein Gedeihen des Vaterlandes dienen!

Die Auffassung über das Verhältnis des Beamten als solchen: zum Staate
scheint eben im Laufe der Jahre eine Umwandlung zu erfahren. Nicht mehr
wie früher ist die Zahl der Beamten beschränkt, nicht mehr wie früher ist die
persönliche Fühlungnahme so leicht. Die Zahl der Beamten hat sich außer¬
ordentlich vermehrt, die Geschäfte haben sich gesteigert, sind vielseitiger geworden.
Das persönliche Sich-Nähertreten ist erschwert. Nicht mehr wie früher kann
eine Hand alles leiten und lenken. Einzelne Ämter haben eine gewaltige Aus¬
dehnung genommen. Es ist erklärlich, daß an einer Stelle mit mehreren hundert
Beamten der Vorstand nicht mehr imstande ist, die untergebenen Beamten als
Instrument seines Willens zu behandeln, noch weniger kann dies über das ganze
Gebiet des Staates hin versucht werden. Damit aber sah sich jeder Beamte
auf größere Selbständigkeit angewiesen, seine Verantwortung wurde eine größere;
und mit der Steigerung des Verantwortlichkeitsgefühls hob sich das Selbst¬
bewußtsein, das alte patriarchalische Verhältnis, das in jedem Vorgesetzten
auch den geborenen Vertreter der Untergebenen erblickt, schwindet. Weil
der Beamte sich mit voller Hingebung seinem Dienst widmet, weil er
mit seinem ganzen eigenen Interesse dabei ist, will er selbst milderten,
gestaltend mitarbeiten dürfen, will gehört und beachtet werden in der vollen,
bewußten Erkenntnis, daß trotz tunlichster Zulässigkeit der Bewegungsfreiheit der
einzelnen Glieder doch der innerliche Zusammenhang des ganzen Beamtenkörpers
eines jeden Staats- und Gemeinwesens gewahrt bleiben muß. Diese veränderte
Auffassung von der Stellung des Beamten ist weit davon entfernt, eine Durch¬
brechung der als notwendig zugestandenen Disziplin zu bedeuten oder als
Folge nach sich zu ziehen. Vielmehr wird die Disziplin nur auf neue Füße


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0276" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317889"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Beamte als Staatsbürger</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1320" prev="#ID_1319"> das eine solche Anforderung an sich stellen müßte. Für die letzteren ist aber<lb/>
zweifelsohne eine besondere Verpflichtung anzuerkennen. Der bekannte Bismarcksche<lb/>
Beamtenerlaß vom 2. Januar 1886 hat nur die Klasse der Landräte, Regierungs¬<lb/>
präsidenten, Oberpräsidenten im Auge gehabt. Wer hier sich nicht zu fügen<lb/>
versteht, wird die Folgen auf sich nehmen müssen. Nun, im übrigen darf eine<lb/>
Einschränkung nicht Platz greifen. In seiner Zugehörigkeit zur Partei, in seiner<lb/>
Abstimmung zu Wahlen muß der Beamte die volle Freiheit genießen wie jeder<lb/>
andere; er darf nicht, wie Bennigsen sich ausdrückt, &#x201E;in würdeloser Weise<lb/>
Agitation treiben, nicht solche Handlungen vornehmen, die mit dem Verfahren<lb/>
eines anständigen Mannes nicht in Übereinstimmung zu bringen sind". Und<lb/>
er darf vor allem nicht sein amtliches Ansehen für parteipolitische Zwecke ein¬<lb/>
setzen, sein Amt mißbrauchen oder gar seine amtliche Stellung zum Organ einer<lb/>
bestimmten politischen Partei herabwürdigen. Die Jnnehaltung dieser Grenz¬<lb/>
linien sollte heutigen Tages eigentlich Schwierigkeiten nicht mehr bereiten. Bei<lb/>
Einhaltung dieser Grenzlinien halte ich den Beamten wohl befugt, Schäden<lb/>
aufzudecken, zu besprechen, Verbesserungen anzuregen. Ist doch auch diese außer¬<lb/>
halb des Dienstes geübte Tätigkeit in: Grunde uur im Interesse des Staats¬<lb/>
ganzen und soll der Wohlfahrt und dein Gedeihen des Vaterlandes dienen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1321" next="#ID_1322"> Die Auffassung über das Verhältnis des Beamten als solchen: zum Staate<lb/>
scheint eben im Laufe der Jahre eine Umwandlung zu erfahren. Nicht mehr<lb/>
wie früher ist die Zahl der Beamten beschränkt, nicht mehr wie früher ist die<lb/>
persönliche Fühlungnahme so leicht. Die Zahl der Beamten hat sich außer¬<lb/>
ordentlich vermehrt, die Geschäfte haben sich gesteigert, sind vielseitiger geworden.<lb/>
Das persönliche Sich-Nähertreten ist erschwert. Nicht mehr wie früher kann<lb/>
eine Hand alles leiten und lenken. Einzelne Ämter haben eine gewaltige Aus¬<lb/>
dehnung genommen. Es ist erklärlich, daß an einer Stelle mit mehreren hundert<lb/>
Beamten der Vorstand nicht mehr imstande ist, die untergebenen Beamten als<lb/>
Instrument seines Willens zu behandeln, noch weniger kann dies über das ganze<lb/>
Gebiet des Staates hin versucht werden. Damit aber sah sich jeder Beamte<lb/>
auf größere Selbständigkeit angewiesen, seine Verantwortung wurde eine größere;<lb/>
und mit der Steigerung des Verantwortlichkeitsgefühls hob sich das Selbst¬<lb/>
bewußtsein, das alte patriarchalische Verhältnis, das in jedem Vorgesetzten<lb/>
auch den geborenen Vertreter der Untergebenen erblickt, schwindet. Weil<lb/>
der Beamte sich mit voller Hingebung seinem Dienst widmet, weil er<lb/>
mit seinem ganzen eigenen Interesse dabei ist, will er selbst milderten,<lb/>
gestaltend mitarbeiten dürfen, will gehört und beachtet werden in der vollen,<lb/>
bewußten Erkenntnis, daß trotz tunlichster Zulässigkeit der Bewegungsfreiheit der<lb/>
einzelnen Glieder doch der innerliche Zusammenhang des ganzen Beamtenkörpers<lb/>
eines jeden Staats- und Gemeinwesens gewahrt bleiben muß. Diese veränderte<lb/>
Auffassung von der Stellung des Beamten ist weit davon entfernt, eine Durch¬<lb/>
brechung der als notwendig zugestandenen Disziplin zu bedeuten oder als<lb/>
Folge nach sich zu ziehen.  Vielmehr wird die Disziplin nur auf neue Füße</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0276] Der Beamte als Staatsbürger das eine solche Anforderung an sich stellen müßte. Für die letzteren ist aber zweifelsohne eine besondere Verpflichtung anzuerkennen. Der bekannte Bismarcksche Beamtenerlaß vom 2. Januar 1886 hat nur die Klasse der Landräte, Regierungs¬ präsidenten, Oberpräsidenten im Auge gehabt. Wer hier sich nicht zu fügen versteht, wird die Folgen auf sich nehmen müssen. Nun, im übrigen darf eine Einschränkung nicht Platz greifen. In seiner Zugehörigkeit zur Partei, in seiner Abstimmung zu Wahlen muß der Beamte die volle Freiheit genießen wie jeder andere; er darf nicht, wie Bennigsen sich ausdrückt, „in würdeloser Weise Agitation treiben, nicht solche Handlungen vornehmen, die mit dem Verfahren eines anständigen Mannes nicht in Übereinstimmung zu bringen sind". Und er darf vor allem nicht sein amtliches Ansehen für parteipolitische Zwecke ein¬ setzen, sein Amt mißbrauchen oder gar seine amtliche Stellung zum Organ einer bestimmten politischen Partei herabwürdigen. Die Jnnehaltung dieser Grenz¬ linien sollte heutigen Tages eigentlich Schwierigkeiten nicht mehr bereiten. Bei Einhaltung dieser Grenzlinien halte ich den Beamten wohl befugt, Schäden aufzudecken, zu besprechen, Verbesserungen anzuregen. Ist doch auch diese außer¬ halb des Dienstes geübte Tätigkeit in: Grunde uur im Interesse des Staats¬ ganzen und soll der Wohlfahrt und dein Gedeihen des Vaterlandes dienen! Die Auffassung über das Verhältnis des Beamten als solchen: zum Staate scheint eben im Laufe der Jahre eine Umwandlung zu erfahren. Nicht mehr wie früher ist die Zahl der Beamten beschränkt, nicht mehr wie früher ist die persönliche Fühlungnahme so leicht. Die Zahl der Beamten hat sich außer¬ ordentlich vermehrt, die Geschäfte haben sich gesteigert, sind vielseitiger geworden. Das persönliche Sich-Nähertreten ist erschwert. Nicht mehr wie früher kann eine Hand alles leiten und lenken. Einzelne Ämter haben eine gewaltige Aus¬ dehnung genommen. Es ist erklärlich, daß an einer Stelle mit mehreren hundert Beamten der Vorstand nicht mehr imstande ist, die untergebenen Beamten als Instrument seines Willens zu behandeln, noch weniger kann dies über das ganze Gebiet des Staates hin versucht werden. Damit aber sah sich jeder Beamte auf größere Selbständigkeit angewiesen, seine Verantwortung wurde eine größere; und mit der Steigerung des Verantwortlichkeitsgefühls hob sich das Selbst¬ bewußtsein, das alte patriarchalische Verhältnis, das in jedem Vorgesetzten auch den geborenen Vertreter der Untergebenen erblickt, schwindet. Weil der Beamte sich mit voller Hingebung seinem Dienst widmet, weil er mit seinem ganzen eigenen Interesse dabei ist, will er selbst milderten, gestaltend mitarbeiten dürfen, will gehört und beachtet werden in der vollen, bewußten Erkenntnis, daß trotz tunlichster Zulässigkeit der Bewegungsfreiheit der einzelnen Glieder doch der innerliche Zusammenhang des ganzen Beamtenkörpers eines jeden Staats- und Gemeinwesens gewahrt bleiben muß. Diese veränderte Auffassung von der Stellung des Beamten ist weit davon entfernt, eine Durch¬ brechung der als notwendig zugestandenen Disziplin zu bedeuten oder als Folge nach sich zu ziehen. Vielmehr wird die Disziplin nur auf neue Füße

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/276
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/276>, abgerufen am 24.07.2024.