Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Rethcl -- Feuerbach -- Marües und falls inzwischen ein noch neueres Werk des leider sehr fruchtbaren Künstlers Das Jahrzehnt, das sein Schaffen von dem Rethels trennt, erweitert sich zu Und gerade als hätte die Muse der bildenden Künste nur auf diese beiden Rethcl — Feuerbach — Marües und falls inzwischen ein noch neueres Werk des leider sehr fruchtbaren Künstlers Das Jahrzehnt, das sein Schaffen von dem Rethels trennt, erweitert sich zu Und gerade als hätte die Muse der bildenden Künste nur auf diese beiden <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317870"/> <fw type="header" place="top"> Rethcl — Feuerbach — Marües</fw><lb/> <p xml:id="ID_1248" prev="#ID_1247"> und falls inzwischen ein noch neueres Werk des leider sehr fruchtbaren Künstlers<lb/> seinen Büßgang angetreten hatte, sogar schön". 1873 berief man Feuerbach als<lb/> Professor der Spezialschule für Historienmalerei an die Akademie nach Wien.<lb/> Wieder dauerte das gute Einvernehmen nur bis zur Ausstellung zweier großen<lb/> Bilder, „Amazonenschlacht" und „Zweites Gastmahl". Spott- und Hohnkritiken und<lb/> Karikaturen trieben ihn aus der Kaiserstadt. Zwei Jahre hatte die Freude gedauert.<lb/> Es folgten Venedig, Rom, Nürnberg. Da in einem seiner letzten Briefe aus<lb/> Venedig steht zu lesen, wörtlich: „Man hat mir die Insel Isca mit Klostergebäuden,<lb/> Garten und Weinberg für 10300 Franken zum Kauf angeboten: — wir könnten<lb/> im Notfall ein Hotel einrichten, wenn es mit der Kunst nicht mehr fort will."<lb/> Und: „Das Übermaß von Illusionen war mir bis jetzt schädlich, vielleicht ist es<lb/> ein gutes Zeichen, daß ich jetzt am Gegenteil leide." Es war nur das Zeichen<lb/> seines nahen Todes. Wien hatte ihn gereift. Mit Gelenkrheumatismus und einer<lb/> schleichenden Lungenentzündung hatte der seelisch zermürbte Mann die Stadt<lb/> Makarts verlassen. JnNürnberg wollte er die Titanen malen. Er kam nichtmehrdazu.</p><lb/> <p xml:id="ID_1249"> Das Jahrzehnt, das sein Schaffen von dem Rethels trennt, erweitert sich zu<lb/> dem vollen Abstand des reifen Mannesalters zu dem des Jünglings, wenn man<lb/> ihre Kunst miteinander vergleicht. Rethel malte und zeichnete gleichsam mit dem<lb/> genialischer Instinkt reinsten Künstlertums die Traumwelt eines Knaben, in dessen<lb/> Vorstellungen Rüstungen und Kriegsgetümmel, Reiter und Heldenkraft, Tod und<lb/> Pest ihr unheimliches Wesen treiben. Der Kampf der Geister rührte ihn nicht,<lb/> er hatte keinen Teil daran. Feuerbach ist der Philosoph, besser: eben dieser zum<lb/> innerlichen Leben des reifen Mannes entwickelte Knabenverstand. Der Philosoph<lb/> eben dieses selben Lebens, in dessen Vorstellungskreis die Seele der Medea, die<lb/> Seele Jphigenies, Plato und alle Lebensdeuter eingetreten sind. Er malt wie<lb/> ein Humanist die antiken Sagen im Lichte einer Platonischen Idee, die vornehme<lb/> Ruhe, das wirklich Adlige ihrer Seele. Vor einem Bilde Rethels werden wir<lb/> erschüttert, erregt, die Kunst Feuerbachs macht uns schweigsam und nachdenklich —<lb/> nur daß es bei beiden das Riesenforinat ihres inneren und äußeren Schaums ist,<lb/> das uns denselben Knaben in einem späteren Lebensalter wiedererkennen läßt —<lb/> und das Riesenformat ihres Könnens: die völlige Einheit von Inhalt und Form.</p><lb/> <p xml:id="ID_1250" next="#ID_1251"> Und gerade als hätte die Muse der bildenden Künste nur auf diese beiden<lb/> Jünger gewartet, die Deutschen an einen Grenzpfahl der Entwicklung zu führen,<lb/> inspiriert sie gleich darauf einen jungen deutschen Künstler, der wie alle die anderen<lb/> in Rom die Einsamkeit suchte, im Bilde selbst neue Schwierigkeiten zu überwinden,<lb/> die Malerei als Problem zu fassen, da ihre Ausdrucksformen noch nicht einmal<lb/> eigentlich verstanden, geschweige erschöpft sind. Es handelt sich nicht mehr um das<lb/> Was, weil ganz neue Fragen auftauchen über das Wie. Wieder machte die alte<lb/> Dame Kritik diesem Jüngling den Vorwurf, daß er wohl mit seiner Toilette noch<lb/> nicht ganz fertig sei, weil er sie nach seiner eigenen Mode trug, weil er Striche<lb/> und Farbe anders ansetzte, als man es gewohnt war. Man kann Hans v. Mar6es'<lb/> Kunst nicht mit einem Lebensalter vergleichen, weil die Kunst selbst, um die sich<lb/> sein Genius bewegt, kein Alter hat. Und doch ist der gleiche Kern in seinem<lb/> Künstlertum, das Feuerbach einmal treffend in folgendem Satz zusammenpreßt:<lb/> „Eine generalisierende Eitelkeit habe ich nie gehabt, und was ich nicht fühle. habe<lb/> ich nicht gemalt." Ich meine die Sachlichkeit, die das Beste unseres Wesens</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0257]
Rethcl — Feuerbach — Marües
und falls inzwischen ein noch neueres Werk des leider sehr fruchtbaren Künstlers
seinen Büßgang angetreten hatte, sogar schön". 1873 berief man Feuerbach als
Professor der Spezialschule für Historienmalerei an die Akademie nach Wien.
Wieder dauerte das gute Einvernehmen nur bis zur Ausstellung zweier großen
Bilder, „Amazonenschlacht" und „Zweites Gastmahl". Spott- und Hohnkritiken und
Karikaturen trieben ihn aus der Kaiserstadt. Zwei Jahre hatte die Freude gedauert.
Es folgten Venedig, Rom, Nürnberg. Da in einem seiner letzten Briefe aus
Venedig steht zu lesen, wörtlich: „Man hat mir die Insel Isca mit Klostergebäuden,
Garten und Weinberg für 10300 Franken zum Kauf angeboten: — wir könnten
im Notfall ein Hotel einrichten, wenn es mit der Kunst nicht mehr fort will."
Und: „Das Übermaß von Illusionen war mir bis jetzt schädlich, vielleicht ist es
ein gutes Zeichen, daß ich jetzt am Gegenteil leide." Es war nur das Zeichen
seines nahen Todes. Wien hatte ihn gereift. Mit Gelenkrheumatismus und einer
schleichenden Lungenentzündung hatte der seelisch zermürbte Mann die Stadt
Makarts verlassen. JnNürnberg wollte er die Titanen malen. Er kam nichtmehrdazu.
Das Jahrzehnt, das sein Schaffen von dem Rethels trennt, erweitert sich zu
dem vollen Abstand des reifen Mannesalters zu dem des Jünglings, wenn man
ihre Kunst miteinander vergleicht. Rethel malte und zeichnete gleichsam mit dem
genialischer Instinkt reinsten Künstlertums die Traumwelt eines Knaben, in dessen
Vorstellungen Rüstungen und Kriegsgetümmel, Reiter und Heldenkraft, Tod und
Pest ihr unheimliches Wesen treiben. Der Kampf der Geister rührte ihn nicht,
er hatte keinen Teil daran. Feuerbach ist der Philosoph, besser: eben dieser zum
innerlichen Leben des reifen Mannes entwickelte Knabenverstand. Der Philosoph
eben dieses selben Lebens, in dessen Vorstellungskreis die Seele der Medea, die
Seele Jphigenies, Plato und alle Lebensdeuter eingetreten sind. Er malt wie
ein Humanist die antiken Sagen im Lichte einer Platonischen Idee, die vornehme
Ruhe, das wirklich Adlige ihrer Seele. Vor einem Bilde Rethels werden wir
erschüttert, erregt, die Kunst Feuerbachs macht uns schweigsam und nachdenklich —
nur daß es bei beiden das Riesenforinat ihres inneren und äußeren Schaums ist,
das uns denselben Knaben in einem späteren Lebensalter wiedererkennen läßt —
und das Riesenformat ihres Könnens: die völlige Einheit von Inhalt und Form.
Und gerade als hätte die Muse der bildenden Künste nur auf diese beiden
Jünger gewartet, die Deutschen an einen Grenzpfahl der Entwicklung zu führen,
inspiriert sie gleich darauf einen jungen deutschen Künstler, der wie alle die anderen
in Rom die Einsamkeit suchte, im Bilde selbst neue Schwierigkeiten zu überwinden,
die Malerei als Problem zu fassen, da ihre Ausdrucksformen noch nicht einmal
eigentlich verstanden, geschweige erschöpft sind. Es handelt sich nicht mehr um das
Was, weil ganz neue Fragen auftauchen über das Wie. Wieder machte die alte
Dame Kritik diesem Jüngling den Vorwurf, daß er wohl mit seiner Toilette noch
nicht ganz fertig sei, weil er sie nach seiner eigenen Mode trug, weil er Striche
und Farbe anders ansetzte, als man es gewohnt war. Man kann Hans v. Mar6es'
Kunst nicht mit einem Lebensalter vergleichen, weil die Kunst selbst, um die sich
sein Genius bewegt, kein Alter hat. Und doch ist der gleiche Kern in seinem
Künstlertum, das Feuerbach einmal treffend in folgendem Satz zusammenpreßt:
„Eine generalisierende Eitelkeit habe ich nie gehabt, und was ich nicht fühle. habe
ich nicht gemalt." Ich meine die Sachlichkeit, die das Beste unseres Wesens
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