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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Homosexualität und neuer Strafgesetzentwurf

manches "schweren Jungen" wirkt. In unserem Fall läßt sich nur empfehlen,
daß sich die "Urninge" so benehmen, wie es sich unter anständigen Leuten
geziemt, und daß das Gesetz mit rücksichtsloser Strenge gegen die Denunzianten
einschreitet, am besten mit Körperstrafen.

Wenden wir uns nun dein Z 250 selber zu. Er lautet: "Die wider¬
natürliche Unzucht mit einer Person gleichen Geschlechts wird mit Gefängnis
bestraft". Hieran weiß Eulenburg auszusetzen, daß früher nur der Mann, jetzt
auch das "schöne Geschlecht" belangt werden solle, von dessen Homosexualität
die älteren Gesetzgeber nichts gekannt hätten. Daß diese früher in glücklicher
Unkenntnis lebten, die jetzigen sich aber zur Strafe genötigt sehen, spricht dicke
Bände. Es beweist, daß die Frauen- und Mädchenwelt sich inzwischen den:
fraglichen Laster derartig zugewandt hat, daß dem Gesetzgeber die Augen auf-,
vielleicht sogar übergingen. Gerade auf das weibliche Geschlecht hat die von
Eulenburg befürwortete Freiheit in der Verwendung des eigenen Körpers ver¬
heerend gewirkt, besonders in den Großstädten, wo es nur zu oft in Ungebunden-
heit und perverser Sinnlichkeit verroht und verkommen ist, wo es sich seiner
edlen Weiblichkeit entkleidet hat und dabei glaubt, es sei dies hochmodern, wo die
Homosexualität unter Frauen wahrscheinlich stärker als bei den Männern verbreitet
ist. Da findet sie sich bei zusammen wohnenden Künstlerinnen, Studentinnen,
Konfektioneusen und Dienstmädchen; Frauenklubs und Frauenversammlungen,
selbst die für das Wahlrecht des "schönen (?) Geschlechts", dienen massenhaft zu
gegenseitig unerlaubter Annäherung. Sie entartet die einzelnen und steigert die
Zahl der "Minderwertigen". Und dem sollen wir aus ebenfalls degenerierte!
Humanität ruhig zusehen? Überall erstreben die Frauen das Prinzip des gleichen
Rechts, und wo man es ihnen gewähren will, sollen sie es nicht erhalten; hier
will man die Männer für dasselbeVergehen bestrafen, wegen dessen das Weib straflos
ausgeht, will bei ihnen verbieten, was bei diesen erlaubt ist? sonderbare Logik!

Daß das Gesetz nicht immer trifft, ist sicher; aber es gibt überhaupt kein
Gesetz, das immer, ja das auch nur durchweg richtig ist. Aber das darf nicht
abhalten, es aufzustellen und anzuwenden. Das höchste Ziel jedes Vaterlands¬
freundes soll und muß sein: die körperliche, geistige und sittliche Gesundheit
seines Volkes, und die hat bei uns schon schlimm genug gelitten. Alles, was
dazu dienen kann, die kostbaren Güter zu erhalten oder gar vielleicht sie zu
erneuern, ist mit Freude zu begrüßen. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet,
erscheint der § 250 so gerecht und milde, wie nur denkbar. Es handelt sich
trotz allen Geseiers um "widernatürliche Unzucht", und die wird "mit Gefängnis
bestraft", und zwar Gefängnis ohne Grenze nach oben und unten. Damit ist
dem Richter freie Hand gegeben, je nach der Schwere oder Leichtheit des Ver¬
gehens seine Strafe zu bemessen. Er kann sie steigern, wenn es sich um ver¬
brecherische, gewaltsame oder besonders widernatürliche Betätigung handelt; er
kann sie mildern, wenn beklagenswerte, willenlose, erblich belastete Geschöpfe
abgeurteilt werden müssen.


Homosexualität und neuer Strafgesetzentwurf

manches „schweren Jungen" wirkt. In unserem Fall läßt sich nur empfehlen,
daß sich die „Urninge" so benehmen, wie es sich unter anständigen Leuten
geziemt, und daß das Gesetz mit rücksichtsloser Strenge gegen die Denunzianten
einschreitet, am besten mit Körperstrafen.

Wenden wir uns nun dein Z 250 selber zu. Er lautet: „Die wider¬
natürliche Unzucht mit einer Person gleichen Geschlechts wird mit Gefängnis
bestraft". Hieran weiß Eulenburg auszusetzen, daß früher nur der Mann, jetzt
auch das „schöne Geschlecht" belangt werden solle, von dessen Homosexualität
die älteren Gesetzgeber nichts gekannt hätten. Daß diese früher in glücklicher
Unkenntnis lebten, die jetzigen sich aber zur Strafe genötigt sehen, spricht dicke
Bände. Es beweist, daß die Frauen- und Mädchenwelt sich inzwischen den:
fraglichen Laster derartig zugewandt hat, daß dem Gesetzgeber die Augen auf-,
vielleicht sogar übergingen. Gerade auf das weibliche Geschlecht hat die von
Eulenburg befürwortete Freiheit in der Verwendung des eigenen Körpers ver¬
heerend gewirkt, besonders in den Großstädten, wo es nur zu oft in Ungebunden-
heit und perverser Sinnlichkeit verroht und verkommen ist, wo es sich seiner
edlen Weiblichkeit entkleidet hat und dabei glaubt, es sei dies hochmodern, wo die
Homosexualität unter Frauen wahrscheinlich stärker als bei den Männern verbreitet
ist. Da findet sie sich bei zusammen wohnenden Künstlerinnen, Studentinnen,
Konfektioneusen und Dienstmädchen; Frauenklubs und Frauenversammlungen,
selbst die für das Wahlrecht des „schönen (?) Geschlechts", dienen massenhaft zu
gegenseitig unerlaubter Annäherung. Sie entartet die einzelnen und steigert die
Zahl der „Minderwertigen". Und dem sollen wir aus ebenfalls degenerierte!
Humanität ruhig zusehen? Überall erstreben die Frauen das Prinzip des gleichen
Rechts, und wo man es ihnen gewähren will, sollen sie es nicht erhalten; hier
will man die Männer für dasselbeVergehen bestrafen, wegen dessen das Weib straflos
ausgeht, will bei ihnen verbieten, was bei diesen erlaubt ist? sonderbare Logik!

Daß das Gesetz nicht immer trifft, ist sicher; aber es gibt überhaupt kein
Gesetz, das immer, ja das auch nur durchweg richtig ist. Aber das darf nicht
abhalten, es aufzustellen und anzuwenden. Das höchste Ziel jedes Vaterlands¬
freundes soll und muß sein: die körperliche, geistige und sittliche Gesundheit
seines Volkes, und die hat bei uns schon schlimm genug gelitten. Alles, was
dazu dienen kann, die kostbaren Güter zu erhalten oder gar vielleicht sie zu
erneuern, ist mit Freude zu begrüßen. Von diesem Gesichtspunkte aus betrachtet,
erscheint der § 250 so gerecht und milde, wie nur denkbar. Es handelt sich
trotz allen Geseiers um „widernatürliche Unzucht", und die wird „mit Gefängnis
bestraft", und zwar Gefängnis ohne Grenze nach oben und unten. Damit ist
dem Richter freie Hand gegeben, je nach der Schwere oder Leichtheit des Ver¬
gehens seine Strafe zu bemessen. Er kann sie steigern, wenn es sich um ver¬
brecherische, gewaltsame oder besonders widernatürliche Betätigung handelt; er
kann sie mildern, wenn beklagenswerte, willenlose, erblich belastete Geschöpfe
abgeurteilt werden müssen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/246>, abgerufen am 24.07.2024.