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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Zwischen Alt- und Neu-Wien

hab' drei Kathi'n braucht!" -- -- die Wiener Gemütlichkeit triumphiert. Und
wenn ihr selbst dieser österreichische Krieg nichts Wesentliches anhaben kann,
wie gänzlich müssen dann erst die Ereignisse des siebziger Jahres von ihr ab¬
prallen. Da ist es denn freilich zu verstehen, wie sehr sich die männliche Natur
Friedrich Schlögls an den Ereignissen des ungemütlichsten Wiener Jahres
erquickte, wie sehr ihn gleichzeitig der Anblick eines tatkräftig straffen Truppen¬
körpers aufrichtete, in dessen Adern doch schließlich auch das vielgeliebte "Wiener
Blut" floß. ,

Will man den Unterschied zwischen schlüge und dem ihm literarisch wie
persönlich nahestehenden Mncenz Chiavacci eilig erfassen, so braucht man sich
nur vorzustellen, wie der gleiche Vorgang, eben der Durchmarsch der Deutsch¬
meister, auf den jüngeren Schriftsteller wirken würde. Auch ihm wäre der
Anblick gewiß erfreulich, insofern er blühend gesunde Jugend sähe und sich die
Freude zärtlicher Mütter und Bräute vorstellte. Aber als straffe Truppe erregten
ihm die Deutschmeister zum mindesten ein leises philosophisches Unbehagen, denn
seinen humanen und sozialen Idealen widerstrebt alles Kriegerische. Chiavacci,
der heute noch in rüstiger Kraft und bei hohem Ansehen in Wien tätig schafft,
ist um fast sechsundzwanzig Jahre jünger als schlüge; daran liegt vieles. Als
Metternich floh, als Windischgrätz die Hauptstadt niederwarf, war Chiavacci,
wie er das in seinein Wienerisch nennt, noch ein "Bambaletsch", und was den:
Älteren prägendes Erlebnis war, bedeutete dem Jüngeren späterhin nur ein
Geschichtsfaktum unter vielen. Dafür geriet Chiavacci mit empfänglichster
Jugendlichkeit in die soziale Strömung und mußte um so stärker durch sie
beeinflußt werden, als Güte und Mitleid den Grundzug seines Wesens aus¬
machen. So ist es trotz der großen Verwandtschaft ihres Stoffgebietes kaum
angängig, in Chiavacci, wie man das gern tut, den Schüler Schlögls zu sehen.
Weiter wirkt unterscheidend, daß Chiavacci (der ebenfalls Beamter war, ehe er
Schriftsteller und Journalist wurde) fast immer als Dichter und manchmal als
Philosoph und Literarhistoriker auftritt, während Schlögl seinen Beruf als einen
kulturhistorischen auffaßte und nur bisweilen und wie unwillkürlich aus dem
dichterischen Schildern ins wirkliche Fabulieren geriet. Chiavacci hat (freilich
mit gediegenen Helfern) die Werke Nestrons und Anzengrubers herausgegeben,
er hat in anmutiger Weise den Lebenslauf seines Freundes Ganghofer beschrieben.
Er legt Wert auf eine kleine "Moloch" betitelte Abhandlung, in der er, große
Vertrautheit mit den Gedankengängen moderner Philosophie und Naturwissen-
schaft verratend, gegen alles Kulturwidrige und wahrhaft Verderbliche plaudernd
zu Felde zieht und warmherzig für sittliche Läuterung und reine Menschlichkeit
eintritt. Ähnliches bildet schließlich auch den Kern seiner phantastischen Novelle
"Der Weltuntergang", die das von den Menschen bisher umsonst erstrebte
goldene Zeitalter auf dem Mars von den kultivierten Bewohnern dieses Sterns
verwirklicht sein läßt. Doch wirkt die Phantastik der Novelle etwas zusammen¬
gelesen, auch fehlt es ihren Schilderungen oft an Greifbarkeit, so daß man bei


Zwischen Alt- und Neu-Wien

hab' drei Kathi'n braucht!" — — die Wiener Gemütlichkeit triumphiert. Und
wenn ihr selbst dieser österreichische Krieg nichts Wesentliches anhaben kann,
wie gänzlich müssen dann erst die Ereignisse des siebziger Jahres von ihr ab¬
prallen. Da ist es denn freilich zu verstehen, wie sehr sich die männliche Natur
Friedrich Schlögls an den Ereignissen des ungemütlichsten Wiener Jahres
erquickte, wie sehr ihn gleichzeitig der Anblick eines tatkräftig straffen Truppen¬
körpers aufrichtete, in dessen Adern doch schließlich auch das vielgeliebte „Wiener
Blut" floß. ,

Will man den Unterschied zwischen schlüge und dem ihm literarisch wie
persönlich nahestehenden Mncenz Chiavacci eilig erfassen, so braucht man sich
nur vorzustellen, wie der gleiche Vorgang, eben der Durchmarsch der Deutsch¬
meister, auf den jüngeren Schriftsteller wirken würde. Auch ihm wäre der
Anblick gewiß erfreulich, insofern er blühend gesunde Jugend sähe und sich die
Freude zärtlicher Mütter und Bräute vorstellte. Aber als straffe Truppe erregten
ihm die Deutschmeister zum mindesten ein leises philosophisches Unbehagen, denn
seinen humanen und sozialen Idealen widerstrebt alles Kriegerische. Chiavacci,
der heute noch in rüstiger Kraft und bei hohem Ansehen in Wien tätig schafft,
ist um fast sechsundzwanzig Jahre jünger als schlüge; daran liegt vieles. Als
Metternich floh, als Windischgrätz die Hauptstadt niederwarf, war Chiavacci,
wie er das in seinein Wienerisch nennt, noch ein „Bambaletsch", und was den:
Älteren prägendes Erlebnis war, bedeutete dem Jüngeren späterhin nur ein
Geschichtsfaktum unter vielen. Dafür geriet Chiavacci mit empfänglichster
Jugendlichkeit in die soziale Strömung und mußte um so stärker durch sie
beeinflußt werden, als Güte und Mitleid den Grundzug seines Wesens aus¬
machen. So ist es trotz der großen Verwandtschaft ihres Stoffgebietes kaum
angängig, in Chiavacci, wie man das gern tut, den Schüler Schlögls zu sehen.
Weiter wirkt unterscheidend, daß Chiavacci (der ebenfalls Beamter war, ehe er
Schriftsteller und Journalist wurde) fast immer als Dichter und manchmal als
Philosoph und Literarhistoriker auftritt, während Schlögl seinen Beruf als einen
kulturhistorischen auffaßte und nur bisweilen und wie unwillkürlich aus dem
dichterischen Schildern ins wirkliche Fabulieren geriet. Chiavacci hat (freilich
mit gediegenen Helfern) die Werke Nestrons und Anzengrubers herausgegeben,
er hat in anmutiger Weise den Lebenslauf seines Freundes Ganghofer beschrieben.
Er legt Wert auf eine kleine „Moloch" betitelte Abhandlung, in der er, große
Vertrautheit mit den Gedankengängen moderner Philosophie und Naturwissen-
schaft verratend, gegen alles Kulturwidrige und wahrhaft Verderbliche plaudernd
zu Felde zieht und warmherzig für sittliche Läuterung und reine Menschlichkeit
eintritt. Ähnliches bildet schließlich auch den Kern seiner phantastischen Novelle
„Der Weltuntergang", die das von den Menschen bisher umsonst erstrebte
goldene Zeitalter auf dem Mars von den kultivierten Bewohnern dieses Sterns
verwirklicht sein läßt. Doch wirkt die Phantastik der Novelle etwas zusammen¬
gelesen, auch fehlt es ihren Schilderungen oft an Greifbarkeit, so daß man bei


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/235>, abgerufen am 24.07.2024.