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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Zwischen Alt- und Neu-Wien

bedauernswerter Armut, obwohl er die armen Leute seiner Vaterstadt gründlich
kannte. Man könnte das vielleicht auch und Schlögls erfreulicher Abneigung
gegen alle Sentimentalität erklären, in der er ein besonderes Wiener Übel sieht.
Schilt er doch mehrfach heftig auf "jenes obligate Rührei, für das der .gemüat-
liche' Wiener auch in der .gehobenst-lautesten' Stimmung immer ein Faible
hat". Der eigentliche Grund für Schlögls geringere Beachtung der Armen
liegt aber doch wohl in jenem mangelnden sozialen Interesse, denn so ganz
asketische Enthaltung von allem Rührseligen ist schließlich auch diesem Hasser der
Sentimentalität nicht geglückt; so hat die seinen Eltern gewidmete Erzählung
etwa ("Ein paar alte Leute") ein gutes Teil von dem peinlichen Gewürz der
Wiener Gemütlichkeit abbekommen.

Wenn Schlögl Armut schildert, hat man oft das Gefühl, er erhole sich
umherschlendernd von dem, was er als seine eigentliche Aufgabe betrachtet.
Manchmal ist es freilich eine recht grimmige Erholung. Dann zeichnet er wohl
allerhand Nichtsnutzes Gesindel, wie es in jeder Großstadt zu Haus ist: den
arbeitsscheuen Bettler, der betrügerisch das Mitleid der Vorübergehenden zu
erregen weiß, die "Manöverschanis", die unbedingt jeder Wacheablösung bei¬
wohnen müssen, usw. Eine bessere Erholung aber bietet das Betrachten ehrlicher
und doch vergnügter Armut. So schwelgt er im Ausmalen des "Faschings der
Armen". Es ist "Ball in der Krautkammer des Greißlers", und zu den Gästen
zählen unter andern: "der Werkelmann vom .hintern Hof', der nicht nur sein
.Instrument', sondern auch .elf lebendige Kinder' mitgebracht, die älteste Tochter
sogar in der Maske; der Herr Jakob, der Holzhacker; Herr Wenzel, der Flick¬
schneider aus der Dachwohnung, und Herr Peter, der Zettelanpapver, der nicht
lange bleiben kann, weil er .ins G'Schaft' muß----" Man ißt Gullasch und
Krapfen ("solide, kompakte Masse"), Herr Wenzel Challan, der böhmische Flick¬
schneider, spielt abwechselnd Gitarre oder bläst Klarinette, der Werkelmanu
gibt sein Repertoire zum besten, und trotz Überfüllung des "Saals" findet man
"doch Platz, um einen ehrsam gemäßigten Walzer zu je vier oder fünf Paaren
durchzumachen." Und jedenfalls ist man durchaus beglückt, und Friedrich
Schlögl ist es auch über diese gutartige Wiener Gemütlichkeit. Und er ist auch
nicht allzu böse, wenn er im "Schnackerlball" das etwas zweifelhaftere Gegen¬
stück der harmlosen Faschingsbelustigung ausmalt: das Tanzvergnügen kleiner
Leute, das erst durch die drollig unverschämte Ruvfuug eines zahlungsfähigen
und ahnungslosen Mitgeladenen in rechten Gang kommt.

Aber, wie gesagt, solche Schilderungen der notleidenden wie der vergnügten,
der sittsamen und der verkommenen Armen sind bei Schlögl nur das Nebenbei.
Seine ganze Seele hängt an etwas anderem: er zeichnet unermüdlich das
behäbige, von keiner Geldsorge umengte Kleinbürgertum Wiens, von dem der
wesentliche Teil der Wiener Gemütlichkeit ausströme, der größte und verwerflichste.
Immer und immer wieder malt er den engherzigen, stumpfsinnigen, bildungs¬
feindlichen Philister, den Schlemmer und Zeitvergeuder, den Rührseligen, dessen


Zwischen Alt- und Neu-Wien

bedauernswerter Armut, obwohl er die armen Leute seiner Vaterstadt gründlich
kannte. Man könnte das vielleicht auch und Schlögls erfreulicher Abneigung
gegen alle Sentimentalität erklären, in der er ein besonderes Wiener Übel sieht.
Schilt er doch mehrfach heftig auf „jenes obligate Rührei, für das der .gemüat-
liche' Wiener auch in der .gehobenst-lautesten' Stimmung immer ein Faible
hat". Der eigentliche Grund für Schlögls geringere Beachtung der Armen
liegt aber doch wohl in jenem mangelnden sozialen Interesse, denn so ganz
asketische Enthaltung von allem Rührseligen ist schließlich auch diesem Hasser der
Sentimentalität nicht geglückt; so hat die seinen Eltern gewidmete Erzählung
etwa („Ein paar alte Leute") ein gutes Teil von dem peinlichen Gewürz der
Wiener Gemütlichkeit abbekommen.

Wenn Schlögl Armut schildert, hat man oft das Gefühl, er erhole sich
umherschlendernd von dem, was er als seine eigentliche Aufgabe betrachtet.
Manchmal ist es freilich eine recht grimmige Erholung. Dann zeichnet er wohl
allerhand Nichtsnutzes Gesindel, wie es in jeder Großstadt zu Haus ist: den
arbeitsscheuen Bettler, der betrügerisch das Mitleid der Vorübergehenden zu
erregen weiß, die „Manöverschanis", die unbedingt jeder Wacheablösung bei¬
wohnen müssen, usw. Eine bessere Erholung aber bietet das Betrachten ehrlicher
und doch vergnügter Armut. So schwelgt er im Ausmalen des „Faschings der
Armen". Es ist „Ball in der Krautkammer des Greißlers", und zu den Gästen
zählen unter andern: „der Werkelmann vom .hintern Hof', der nicht nur sein
.Instrument', sondern auch .elf lebendige Kinder' mitgebracht, die älteste Tochter
sogar in der Maske; der Herr Jakob, der Holzhacker; Herr Wenzel, der Flick¬
schneider aus der Dachwohnung, und Herr Peter, der Zettelanpapver, der nicht
lange bleiben kann, weil er .ins G'Schaft' muß----" Man ißt Gullasch und
Krapfen („solide, kompakte Masse"), Herr Wenzel Challan, der böhmische Flick¬
schneider, spielt abwechselnd Gitarre oder bläst Klarinette, der Werkelmanu
gibt sein Repertoire zum besten, und trotz Überfüllung des „Saals" findet man
„doch Platz, um einen ehrsam gemäßigten Walzer zu je vier oder fünf Paaren
durchzumachen." Und jedenfalls ist man durchaus beglückt, und Friedrich
Schlögl ist es auch über diese gutartige Wiener Gemütlichkeit. Und er ist auch
nicht allzu böse, wenn er im „Schnackerlball" das etwas zweifelhaftere Gegen¬
stück der harmlosen Faschingsbelustigung ausmalt: das Tanzvergnügen kleiner
Leute, das erst durch die drollig unverschämte Ruvfuug eines zahlungsfähigen
und ahnungslosen Mitgeladenen in rechten Gang kommt.

Aber, wie gesagt, solche Schilderungen der notleidenden wie der vergnügten,
der sittsamen und der verkommenen Armen sind bei Schlögl nur das Nebenbei.
Seine ganze Seele hängt an etwas anderem: er zeichnet unermüdlich das
behäbige, von keiner Geldsorge umengte Kleinbürgertum Wiens, von dem der
wesentliche Teil der Wiener Gemütlichkeit ausströme, der größte und verwerflichste.
Immer und immer wieder malt er den engherzigen, stumpfsinnigen, bildungs¬
feindlichen Philister, den Schlemmer und Zeitvergeuder, den Rührseligen, dessen


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[0232] Zwischen Alt- und Neu-Wien bedauernswerter Armut, obwohl er die armen Leute seiner Vaterstadt gründlich kannte. Man könnte das vielleicht auch und Schlögls erfreulicher Abneigung gegen alle Sentimentalität erklären, in der er ein besonderes Wiener Übel sieht. Schilt er doch mehrfach heftig auf „jenes obligate Rührei, für das der .gemüat- liche' Wiener auch in der .gehobenst-lautesten' Stimmung immer ein Faible hat". Der eigentliche Grund für Schlögls geringere Beachtung der Armen liegt aber doch wohl in jenem mangelnden sozialen Interesse, denn so ganz asketische Enthaltung von allem Rührseligen ist schließlich auch diesem Hasser der Sentimentalität nicht geglückt; so hat die seinen Eltern gewidmete Erzählung etwa („Ein paar alte Leute") ein gutes Teil von dem peinlichen Gewürz der Wiener Gemütlichkeit abbekommen. Wenn Schlögl Armut schildert, hat man oft das Gefühl, er erhole sich umherschlendernd von dem, was er als seine eigentliche Aufgabe betrachtet. Manchmal ist es freilich eine recht grimmige Erholung. Dann zeichnet er wohl allerhand Nichtsnutzes Gesindel, wie es in jeder Großstadt zu Haus ist: den arbeitsscheuen Bettler, der betrügerisch das Mitleid der Vorübergehenden zu erregen weiß, die „Manöverschanis", die unbedingt jeder Wacheablösung bei¬ wohnen müssen, usw. Eine bessere Erholung aber bietet das Betrachten ehrlicher und doch vergnügter Armut. So schwelgt er im Ausmalen des „Faschings der Armen". Es ist „Ball in der Krautkammer des Greißlers", und zu den Gästen zählen unter andern: „der Werkelmann vom .hintern Hof', der nicht nur sein .Instrument', sondern auch .elf lebendige Kinder' mitgebracht, die älteste Tochter sogar in der Maske; der Herr Jakob, der Holzhacker; Herr Wenzel, der Flick¬ schneider aus der Dachwohnung, und Herr Peter, der Zettelanpapver, der nicht lange bleiben kann, weil er .ins G'Schaft' muß----" Man ißt Gullasch und Krapfen („solide, kompakte Masse"), Herr Wenzel Challan, der böhmische Flick¬ schneider, spielt abwechselnd Gitarre oder bläst Klarinette, der Werkelmanu gibt sein Repertoire zum besten, und trotz Überfüllung des „Saals" findet man „doch Platz, um einen ehrsam gemäßigten Walzer zu je vier oder fünf Paaren durchzumachen." Und jedenfalls ist man durchaus beglückt, und Friedrich Schlögl ist es auch über diese gutartige Wiener Gemütlichkeit. Und er ist auch nicht allzu böse, wenn er im „Schnackerlball" das etwas zweifelhaftere Gegen¬ stück der harmlosen Faschingsbelustigung ausmalt: das Tanzvergnügen kleiner Leute, das erst durch die drollig unverschämte Ruvfuug eines zahlungsfähigen und ahnungslosen Mitgeladenen in rechten Gang kommt. Aber, wie gesagt, solche Schilderungen der notleidenden wie der vergnügten, der sittsamen und der verkommenen Armen sind bei Schlögl nur das Nebenbei. Seine ganze Seele hängt an etwas anderem: er zeichnet unermüdlich das behäbige, von keiner Geldsorge umengte Kleinbürgertum Wiens, von dem der wesentliche Teil der Wiener Gemütlichkeit ausströme, der größte und verwerflichste. Immer und immer wieder malt er den engherzigen, stumpfsinnigen, bildungs¬ feindlichen Philister, den Schlemmer und Zeitvergeuder, den Rührseligen, dessen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/232>, abgerufen am 24.07.2024.