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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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sollte! Wie denn überhaupt der Humor in der Politik ein ernstliches, wichtiges
Kapitel ist, das die Führer aller Parteien, aber auch die Negierungsmänner
mehr studieren sollten. Ein Hinweis darauf dürfte wohl am Platze sein in der
Gegenwart, da wir den ärgerlichsten Wahlkämpfen entgegengehen.

Die andere Macht, die Shakespeare als Gegenspieler gegen das überspannte
aristokratische Selbstbewußtsein Koriolans aufruft, ist die Weiblichkeit. Sie geht
in der Tat im Drama als die Siegerin, als die gefeierte Retterin des Staats¬
lebens hervor. "Seht unsere Schutzgöttin, das Leben Roms!" ruft der erste
Senator angesichts der Frauen, als sie nach ihrem Siege über den rachsüchtigen
Zorn des Koriolan in die Stadt zurückkehren. Und die Weiblichkeit ist es auch,
der die Demokratie der Volkstribunen und der Plebejer bei dieser selben
Gelegenheit huldigt.

Shakespeare ist weit davon entfernt, der Emanzipation der Frauen das
Wort zu reden. Die weiblichen Charaktere des Dramas sind Hausfrauen im
besten Sinne des Wortes. Das erste, was sie der Dichter im Drama tun läßt,
da er sie mit den Zuschauern bekannt macht, ist die Näharbeit. Um nach¬
drücklich zu betonen, wie Virgilia im Hauswesen aufgeht, läßt er Valeria in
einem leisen Hauch von Emanzipation spöttisch zu jener sagen: "Du möchtest
auch so eine Penelope sein! Aber sie sagen, all das Garn, das die in Ulysses'
Abwesenheit spann, hat Ithaka nur mit Motten angefüllt." (Akt I, Sz. 3.)

Die Wirkungsstätte der Frau also ist nach Shakespeare das Haus, und
das um so mehr, je stärker er den aristokratischen Charakter des Weibes hervor¬
hebt. Je vornehmer der Charakter einer Frau ist, um so mehr wird sie sich
zurückziehen vor der Berührung mit der Außenwelt und ihren Beruf finden als
Ehefrau und Mutter.

Und doch läßt der Dichter die Aristokratinnen reinsten Blutes Volumina
und Virgilia sich mitten hineinstürzen in den Strudel der Politik? Allerdings!
Aber erst dann, als alle anderen Kräfte zur Rettung des Vaterlandes versagen.
Und erst dann läßt er Volumina die Beraterin ihres Sohnes sein, als er von
Männern keinen Rat annehmen will.

In der Tat hat auch die Frau ihren Beruf in der Gemeinschaft. Sie
soll eintreten in den Dienst des Volkes, wo Manneskraft nicht mehr ausreicht,
oder vielmehr, wo sie unzulänglich ist. Ihr schmiegsames Wesen, ihre kluge
Erkenntnis dessen, was das Nächstliegende ist, macht sie sähig, Fäden zu ent¬
wirren, die sonst nur mit dem Schwert zu durchhauen sind. Ihre Vorurteils¬
losigkeit, die sie sich dadurch gewonnen hat, daß sie im Hauswesen zurückgezogen
bleibt und nur von fern dem wilden Getriebe der Außenwelt als unparteiischer
Beobachter zusieht, läßt sie ein klares Urteil über Sachen und Menschen fällen,
die der weitsehende und in die Weite schweifende Geist des Mannes nicht mehr
überblicken kann. Sie kann und soll das versöhnende Element in der Sozietät
bilden, in der so viele ungleichmäßige Kräfte widereinander streiten.


Grenzboten I 1911 2
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sollte! Wie denn überhaupt der Humor in der Politik ein ernstliches, wichtiges
Kapitel ist, das die Führer aller Parteien, aber auch die Negierungsmänner
mehr studieren sollten. Ein Hinweis darauf dürfte wohl am Platze sein in der
Gegenwart, da wir den ärgerlichsten Wahlkämpfen entgegengehen.

Die andere Macht, die Shakespeare als Gegenspieler gegen das überspannte
aristokratische Selbstbewußtsein Koriolans aufruft, ist die Weiblichkeit. Sie geht
in der Tat im Drama als die Siegerin, als die gefeierte Retterin des Staats¬
lebens hervor. „Seht unsere Schutzgöttin, das Leben Roms!" ruft der erste
Senator angesichts der Frauen, als sie nach ihrem Siege über den rachsüchtigen
Zorn des Koriolan in die Stadt zurückkehren. Und die Weiblichkeit ist es auch,
der die Demokratie der Volkstribunen und der Plebejer bei dieser selben
Gelegenheit huldigt.

Shakespeare ist weit davon entfernt, der Emanzipation der Frauen das
Wort zu reden. Die weiblichen Charaktere des Dramas sind Hausfrauen im
besten Sinne des Wortes. Das erste, was sie der Dichter im Drama tun läßt,
da er sie mit den Zuschauern bekannt macht, ist die Näharbeit. Um nach¬
drücklich zu betonen, wie Virgilia im Hauswesen aufgeht, läßt er Valeria in
einem leisen Hauch von Emanzipation spöttisch zu jener sagen: „Du möchtest
auch so eine Penelope sein! Aber sie sagen, all das Garn, das die in Ulysses'
Abwesenheit spann, hat Ithaka nur mit Motten angefüllt." (Akt I, Sz. 3.)

Die Wirkungsstätte der Frau also ist nach Shakespeare das Haus, und
das um so mehr, je stärker er den aristokratischen Charakter des Weibes hervor¬
hebt. Je vornehmer der Charakter einer Frau ist, um so mehr wird sie sich
zurückziehen vor der Berührung mit der Außenwelt und ihren Beruf finden als
Ehefrau und Mutter.

Und doch läßt der Dichter die Aristokratinnen reinsten Blutes Volumina
und Virgilia sich mitten hineinstürzen in den Strudel der Politik? Allerdings!
Aber erst dann, als alle anderen Kräfte zur Rettung des Vaterlandes versagen.
Und erst dann läßt er Volumina die Beraterin ihres Sohnes sein, als er von
Männern keinen Rat annehmen will.

In der Tat hat auch die Frau ihren Beruf in der Gemeinschaft. Sie
soll eintreten in den Dienst des Volkes, wo Manneskraft nicht mehr ausreicht,
oder vielmehr, wo sie unzulänglich ist. Ihr schmiegsames Wesen, ihre kluge
Erkenntnis dessen, was das Nächstliegende ist, macht sie sähig, Fäden zu ent¬
wirren, die sonst nur mit dem Schwert zu durchhauen sind. Ihre Vorurteils¬
losigkeit, die sie sich dadurch gewonnen hat, daß sie im Hauswesen zurückgezogen
bleibt und nur von fern dem wilden Getriebe der Außenwelt als unparteiischer
Beobachter zusieht, läßt sie ein klares Urteil über Sachen und Menschen fällen,
die der weitsehende und in die Weite schweifende Geist des Mannes nicht mehr
überblicken kann. Sie kann und soll das versöhnende Element in der Sozietät
bilden, in der so viele ungleichmäßige Kräfte widereinander streiten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/23>, abgerufen am 24.07.2024.