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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Elsaß-lothringische Fragen

Staatswesen umgestaltet und die Rechte des Kaisers, der jetzt die Staatsgewalt
in Elsaß-Lothringen ausübt, auf den Herrscher dieses neu zu bildenden Staates
durch ein besonderes Gesetz übertragen würden. -- Aber was wäre damit
gewonnen? -- Glaubt wirklich irgend jemand, daß die Wortführer der elsa߬
lothringischen Autonomisten dann ihren Kampf um die Macht -- um einen
solchen handelt es sich, nicht um einen Kampf ums Recht -- einstellen, daß sie
sich damit begnügen würden, daß nun an Stelle des Kaisers ein anderer in
Elsaß-Lothringen regierte, wenn nicht gleichzeitig dessen Regierungsgewalt derart
beschnitten würde, daß der Landesausschuß, das Parlament des neuen autonomen
Elsaß-Lothringen, den ausschlaggebenden Einfluß erhielte, -- so wie etwa in
Belgien?

Daß dies das eigentliche Ziel der elsässischen Autonomisten ist, unterliegt
für den Kenner der Personen und Verhältnisse keinem Zweifel; wenn erst die
Notabeln des Landes die Macht erhalten, in dem erträumten souveränen par¬
lamentarisch regierten Lande -- mag es dann Herzogtum, Großherzogtum oder
Erbstatthalterei heißen -- unabhängig von jedem Einfluß der Reichsregierung
die Ministerstellen zu besetzen und die Posten der Bezirkspräsidenten, Kreis¬
direktoren usw. unter ihre Anhänger zur Belohnung für treue Dienste zu ver¬
teilen, -- ja dann wird voraussichtlich auch das Gezeter über Knechtung und
Bedrückung des Landes verstummen. Solange aber der maßgebende Einfluß
des Kaisers oder eines Monarchen des Landes auf die elsaß-lothringische Politik
bestehen bleibt, solange werden auch -- darüber täusche man sich nicht --- die
heuchlerischen Klagen über Zurücksetzung und Vergewaltigung des guten elsa߬
lothringischen Volks nicht aufhören.

Auch eine Reform des geltenden Rechts auf den: Gebiete der Legislative
wird das nicht bewirken. Auch in dieser so wichtigen Frage hat das Reich
dem Lande ein Entgegenkommen bewiesen, wie es vielleicht noch niemals in
der Geschichte einer eroberten Provinz von der Größe Elsaß-Lothringens, und
selbst größeren einst selbständigen Staaten wie z. B. Hannover, zuteil geworden
ist, -- ganz zu schweigen von Irland, dem England auch heute nach viel¬
hundertjähriger Herrschaft noch nicht annähernd das Maß von Rechten und
Freiheiten eingeräumt hat, dessen sich Elsaß-Lothringen schon seit über dreißig
Jahren erfreut. Denn auf die Reichsgesetzgebung hat die elsaß-lothringische
Bevölkerung relativ genau den gleichen Einfluß wie die aller anderen Bundes¬
staaten; alsbald nach Gründung des Reichs hat es das Recht erhalten, fünf¬
zehn Abgeordnete in den Reichstag zu entsenden (einen auf je 120000 Ein¬
wohner, in Preußen einen auf 155000 Einwohner). Daß die elsaß-lothrin¬
gische Regierung nicht Sitz und Stimme im Bundesrat hat, ist freilich richtig;
aber der Bundesrat, d. i. die Gesamtheit der Oberhäupter der das Deutsche
Reich bildenden Staaten, ist ja gerade selbst Träger der Neichssouveränität
über Elsaß-Lothringen; seine Rechte sind durch Gesetz dem Kaiser übertragen
worden, mit dem Vorbehalt, daß seine Zustimmung zu elsaß-lothringischen


Elsaß-lothringische Fragen

Staatswesen umgestaltet und die Rechte des Kaisers, der jetzt die Staatsgewalt
in Elsaß-Lothringen ausübt, auf den Herrscher dieses neu zu bildenden Staates
durch ein besonderes Gesetz übertragen würden. — Aber was wäre damit
gewonnen? — Glaubt wirklich irgend jemand, daß die Wortführer der elsa߬
lothringischen Autonomisten dann ihren Kampf um die Macht — um einen
solchen handelt es sich, nicht um einen Kampf ums Recht — einstellen, daß sie
sich damit begnügen würden, daß nun an Stelle des Kaisers ein anderer in
Elsaß-Lothringen regierte, wenn nicht gleichzeitig dessen Regierungsgewalt derart
beschnitten würde, daß der Landesausschuß, das Parlament des neuen autonomen
Elsaß-Lothringen, den ausschlaggebenden Einfluß erhielte, — so wie etwa in
Belgien?

Daß dies das eigentliche Ziel der elsässischen Autonomisten ist, unterliegt
für den Kenner der Personen und Verhältnisse keinem Zweifel; wenn erst die
Notabeln des Landes die Macht erhalten, in dem erträumten souveränen par¬
lamentarisch regierten Lande — mag es dann Herzogtum, Großherzogtum oder
Erbstatthalterei heißen — unabhängig von jedem Einfluß der Reichsregierung
die Ministerstellen zu besetzen und die Posten der Bezirkspräsidenten, Kreis¬
direktoren usw. unter ihre Anhänger zur Belohnung für treue Dienste zu ver¬
teilen, — ja dann wird voraussichtlich auch das Gezeter über Knechtung und
Bedrückung des Landes verstummen. Solange aber der maßgebende Einfluß
des Kaisers oder eines Monarchen des Landes auf die elsaß-lothringische Politik
bestehen bleibt, solange werden auch — darüber täusche man sich nicht —- die
heuchlerischen Klagen über Zurücksetzung und Vergewaltigung des guten elsa߬
lothringischen Volks nicht aufhören.

Auch eine Reform des geltenden Rechts auf den: Gebiete der Legislative
wird das nicht bewirken. Auch in dieser so wichtigen Frage hat das Reich
dem Lande ein Entgegenkommen bewiesen, wie es vielleicht noch niemals in
der Geschichte einer eroberten Provinz von der Größe Elsaß-Lothringens, und
selbst größeren einst selbständigen Staaten wie z. B. Hannover, zuteil geworden
ist, — ganz zu schweigen von Irland, dem England auch heute nach viel¬
hundertjähriger Herrschaft noch nicht annähernd das Maß von Rechten und
Freiheiten eingeräumt hat, dessen sich Elsaß-Lothringen schon seit über dreißig
Jahren erfreut. Denn auf die Reichsgesetzgebung hat die elsaß-lothringische
Bevölkerung relativ genau den gleichen Einfluß wie die aller anderen Bundes¬
staaten; alsbald nach Gründung des Reichs hat es das Recht erhalten, fünf¬
zehn Abgeordnete in den Reichstag zu entsenden (einen auf je 120000 Ein¬
wohner, in Preußen einen auf 155000 Einwohner). Daß die elsaß-lothrin¬
gische Regierung nicht Sitz und Stimme im Bundesrat hat, ist freilich richtig;
aber der Bundesrat, d. i. die Gesamtheit der Oberhäupter der das Deutsche
Reich bildenden Staaten, ist ja gerade selbst Träger der Neichssouveränität
über Elsaß-Lothringen; seine Rechte sind durch Gesetz dem Kaiser übertragen
worden, mit dem Vorbehalt, daß seine Zustimmung zu elsaß-lothringischen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/220>, abgerufen am 24.07.2024.