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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Geselligkeit, Geselligkeitsformcn und Gcselligkeitssurrogcitc

Menagerie" sagte. Neben seiner Gründlichkeit ist der Deutsche aber anch
durchaus kein "animal 80ciable". Er kann allein sein und er will allein sein.
Die Sucht des Franzosen, um jeden Preis die Nähe eines andern Menschen
zu spüren, ist ihm völlig fremd; der andere ist ihm zunächst nicht ein Kamerad,
sondern eine Störung. Die Fliegenden Blätter haben vor Jahren einmal
ein Bild gebracht, das nicht nur einen Witz, sondern ein Stückchen deutscher
Psychologie darstellte. Das Bild zeigte ein weites Restaurant mit großen,
runden Tischen. An jeden: dieser Tische, die für zehn bis zwölf Personen Raum
boten, saß ein Mensch, und man fror ordentlich, wenn man sich die Leere und
Öde des Lokals vorstellte. Da trat ein neuer Gast ein, blieb entsetzt auf der
Schwelle stehen, rief wütend aus: "Was, schon wieder alles besetzt?" und zog
entrüstet ab. Menschen, die immer einen Tisch allein haben wollen, sind nicht
zur Geselligkeit vorbestimmt. . .

Noch ein anderer Wesenszug des Deutschen ist es, der ihn von vornherein
zur Geselligkeit wenig tauglich macht: der Deutsche ist ein Mystiker. Der
Mystizismus aber macht ungesellig. Der Mystiker sucht keine Gesellschaft, sondern
den Gott. Oder wenn er Gesellschaft aufsucht, dann ist es wieder ein Zirkel
der Eingeweihten, der Gleichgesinnten, der übersinnlichen Freier. In solchen
Zirkeln trägt jeder ein unsichtbares Erkennungszeichen an der Stirn, das nur
dem Auch-Mystiker verständlich wird. Die Interessen, Ansichten und Worte des
Profanen werden in mystischen Kreisen mit dem nachsichtigen Lächeln quittiert,
das man für Kinder oder Schwachsinnige hat, -- es liegt auf der Hand, daß
solcher Art keine Geselligkeit entstehen kann, sondern nur ein Zirkel, in dem
wieder der alte deutsche Kastengeist herrscht. Es ergibt keinen wesentlichen
Unterschied, daß der Geist diesmal nicht vorschriftsmäßig Honneurs macht oder
vor einem Würdenträger zusammenknickt, sondern sich mit Gesundbeten, Tisch¬
rücken und Geisterbeschwörung befaßt oder einem meo-neoromantischen Dichter in
magisch beleuchteten, blumenbestreuten Zimmern absurde Huldigungen darbringt.

Im engsten Zusammenhang mit seiner mystischen steht auch die musi¬
kalische Veranlagung des Deutschen. Wen die geheimnisvolle Stimme, die
in singenden und klingenden Tönen zum Menschen spricht, in ihr Tabernakel
entboten hat, der ist für andere Weltlichkeiten verloren. Dem stärksten
Mysterium anheimgegeben, hat er naturgemäß kein anderes Ausdrucks- oder
Mitteilungsbedürfnis mehr als Musik. Die Bedeutung des Wortes, des
an den Buchstaben gebundenen Gedankens, erscheint ihn: lächerlich arm neben
dem Weltchorus, der in Tönen zu ihm spricht. Darum gibt es einen Musiker¬
hochmut, genau so wie einen Mystikerhochmut, und beide sind Feinde der
Geselligkeit. Das hindert natürlich nicht, daß sogenannte musikalische Abende
oder Tees, vorausgesetzt, daß die künstlerischen Kosten von Künstlern und nicht
von Dilettanten bestritten werden, für die Erwählten eine wertvolle Sache sein
mögen, aber eben nur für die Erwählten, die der klingende Gott zu sich
berufen hat; mit der Geselligkeit, nach der heute so viel gerufen und gejammert


Geselligkeit, Geselligkeitsformcn und Gcselligkeitssurrogcitc

Menagerie" sagte. Neben seiner Gründlichkeit ist der Deutsche aber anch
durchaus kein „animal 80ciable". Er kann allein sein und er will allein sein.
Die Sucht des Franzosen, um jeden Preis die Nähe eines andern Menschen
zu spüren, ist ihm völlig fremd; der andere ist ihm zunächst nicht ein Kamerad,
sondern eine Störung. Die Fliegenden Blätter haben vor Jahren einmal
ein Bild gebracht, das nicht nur einen Witz, sondern ein Stückchen deutscher
Psychologie darstellte. Das Bild zeigte ein weites Restaurant mit großen,
runden Tischen. An jeden: dieser Tische, die für zehn bis zwölf Personen Raum
boten, saß ein Mensch, und man fror ordentlich, wenn man sich die Leere und
Öde des Lokals vorstellte. Da trat ein neuer Gast ein, blieb entsetzt auf der
Schwelle stehen, rief wütend aus: „Was, schon wieder alles besetzt?" und zog
entrüstet ab. Menschen, die immer einen Tisch allein haben wollen, sind nicht
zur Geselligkeit vorbestimmt. . .

Noch ein anderer Wesenszug des Deutschen ist es, der ihn von vornherein
zur Geselligkeit wenig tauglich macht: der Deutsche ist ein Mystiker. Der
Mystizismus aber macht ungesellig. Der Mystiker sucht keine Gesellschaft, sondern
den Gott. Oder wenn er Gesellschaft aufsucht, dann ist es wieder ein Zirkel
der Eingeweihten, der Gleichgesinnten, der übersinnlichen Freier. In solchen
Zirkeln trägt jeder ein unsichtbares Erkennungszeichen an der Stirn, das nur
dem Auch-Mystiker verständlich wird. Die Interessen, Ansichten und Worte des
Profanen werden in mystischen Kreisen mit dem nachsichtigen Lächeln quittiert,
das man für Kinder oder Schwachsinnige hat, — es liegt auf der Hand, daß
solcher Art keine Geselligkeit entstehen kann, sondern nur ein Zirkel, in dem
wieder der alte deutsche Kastengeist herrscht. Es ergibt keinen wesentlichen
Unterschied, daß der Geist diesmal nicht vorschriftsmäßig Honneurs macht oder
vor einem Würdenträger zusammenknickt, sondern sich mit Gesundbeten, Tisch¬
rücken und Geisterbeschwörung befaßt oder einem meo-neoromantischen Dichter in
magisch beleuchteten, blumenbestreuten Zimmern absurde Huldigungen darbringt.

Im engsten Zusammenhang mit seiner mystischen steht auch die musi¬
kalische Veranlagung des Deutschen. Wen die geheimnisvolle Stimme, die
in singenden und klingenden Tönen zum Menschen spricht, in ihr Tabernakel
entboten hat, der ist für andere Weltlichkeiten verloren. Dem stärksten
Mysterium anheimgegeben, hat er naturgemäß kein anderes Ausdrucks- oder
Mitteilungsbedürfnis mehr als Musik. Die Bedeutung des Wortes, des
an den Buchstaben gebundenen Gedankens, erscheint ihn: lächerlich arm neben
dem Weltchorus, der in Tönen zu ihm spricht. Darum gibt es einen Musiker¬
hochmut, genau so wie einen Mystikerhochmut, und beide sind Feinde der
Geselligkeit. Das hindert natürlich nicht, daß sogenannte musikalische Abende
oder Tees, vorausgesetzt, daß die künstlerischen Kosten von Künstlern und nicht
von Dilettanten bestritten werden, für die Erwählten eine wertvolle Sache sein
mögen, aber eben nur für die Erwählten, die der klingende Gott zu sich
berufen hat; mit der Geselligkeit, nach der heute so viel gerufen und gejammert


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[0179] Geselligkeit, Geselligkeitsformcn und Gcselligkeitssurrogcitc Menagerie" sagte. Neben seiner Gründlichkeit ist der Deutsche aber anch durchaus kein „animal 80ciable". Er kann allein sein und er will allein sein. Die Sucht des Franzosen, um jeden Preis die Nähe eines andern Menschen zu spüren, ist ihm völlig fremd; der andere ist ihm zunächst nicht ein Kamerad, sondern eine Störung. Die Fliegenden Blätter haben vor Jahren einmal ein Bild gebracht, das nicht nur einen Witz, sondern ein Stückchen deutscher Psychologie darstellte. Das Bild zeigte ein weites Restaurant mit großen, runden Tischen. An jeden: dieser Tische, die für zehn bis zwölf Personen Raum boten, saß ein Mensch, und man fror ordentlich, wenn man sich die Leere und Öde des Lokals vorstellte. Da trat ein neuer Gast ein, blieb entsetzt auf der Schwelle stehen, rief wütend aus: „Was, schon wieder alles besetzt?" und zog entrüstet ab. Menschen, die immer einen Tisch allein haben wollen, sind nicht zur Geselligkeit vorbestimmt. . . Noch ein anderer Wesenszug des Deutschen ist es, der ihn von vornherein zur Geselligkeit wenig tauglich macht: der Deutsche ist ein Mystiker. Der Mystizismus aber macht ungesellig. Der Mystiker sucht keine Gesellschaft, sondern den Gott. Oder wenn er Gesellschaft aufsucht, dann ist es wieder ein Zirkel der Eingeweihten, der Gleichgesinnten, der übersinnlichen Freier. In solchen Zirkeln trägt jeder ein unsichtbares Erkennungszeichen an der Stirn, das nur dem Auch-Mystiker verständlich wird. Die Interessen, Ansichten und Worte des Profanen werden in mystischen Kreisen mit dem nachsichtigen Lächeln quittiert, das man für Kinder oder Schwachsinnige hat, — es liegt auf der Hand, daß solcher Art keine Geselligkeit entstehen kann, sondern nur ein Zirkel, in dem wieder der alte deutsche Kastengeist herrscht. Es ergibt keinen wesentlichen Unterschied, daß der Geist diesmal nicht vorschriftsmäßig Honneurs macht oder vor einem Würdenträger zusammenknickt, sondern sich mit Gesundbeten, Tisch¬ rücken und Geisterbeschwörung befaßt oder einem meo-neoromantischen Dichter in magisch beleuchteten, blumenbestreuten Zimmern absurde Huldigungen darbringt. Im engsten Zusammenhang mit seiner mystischen steht auch die musi¬ kalische Veranlagung des Deutschen. Wen die geheimnisvolle Stimme, die in singenden und klingenden Tönen zum Menschen spricht, in ihr Tabernakel entboten hat, der ist für andere Weltlichkeiten verloren. Dem stärksten Mysterium anheimgegeben, hat er naturgemäß kein anderes Ausdrucks- oder Mitteilungsbedürfnis mehr als Musik. Die Bedeutung des Wortes, des an den Buchstaben gebundenen Gedankens, erscheint ihn: lächerlich arm neben dem Weltchorus, der in Tönen zu ihm spricht. Darum gibt es einen Musiker¬ hochmut, genau so wie einen Mystikerhochmut, und beide sind Feinde der Geselligkeit. Das hindert natürlich nicht, daß sogenannte musikalische Abende oder Tees, vorausgesetzt, daß die künstlerischen Kosten von Künstlern und nicht von Dilettanten bestritten werden, für die Erwählten eine wertvolle Sache sein mögen, aber eben nur für die Erwählten, die der klingende Gott zu sich berufen hat; mit der Geselligkeit, nach der heute so viel gerufen und gejammert

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/179>, abgerufen am 30.12.2024.