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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Geselligkeit, Geselligkcitsformcn und Gcselligkcitssurrogatc

Neugier, etwas von den Dessous einer zarischen Ehe und zarischer Todes-
möglichkeiten zu erfahren.

Im Laufe von hundert oder hundertfünfzig Jahren veränderte sich dann
allmählich das Wesen des französischen Salons, der französischen Geselligkeit,
wenn auch die Außenseite immer noch die gleiche blieb. In den Salons der
Precieusen war man nicht nur geistreich, literarisch, sondern auch gesellschaftlich¬
pädagogisch gewesen. Imi Hotel Rambouillet hatte man nicht nur die ver¬
wilderte Dichtung, sondern auch die verwilderten Umgangsformen einer durch
die letzten Valois und lange Bürgerkriege entsittlichten und verrohte": Gesellschaft
wieder zu feiner Gebundenheit, zu den Regeln der Courtoisie und des guten
Tones herangezogen. In den Salons nnter Ludwig dem Vierzehnten, der
Regentschaft und auch zum Teil noch unter Ludwig dem Fünfzehnten trug die
höhere Geselligkeit vorwiegend den Stempel des Litterarischen, wobei jedoch
politische Kulissenschiebereien nicht ausgeschlossen blieben. Diese Salons, die
sozusagen auf den Zukunftsgedanken der Dichter und Enzyklopädisten aufgebaut
waren, halten mit diesen Zukunftsgedanken gleichen Schritt. Sobald die Gedanken
anfangen, aus den Büchern hinauszuschreiten in die Wirklichkeit, sich in soziale
und innerpolitische Taten umzusetzen, wandelt sich auch der Salon, und die
Geselligkeit trägt nun den Stempel des Sozialismus, d. h. das allgemeine
Interesse der Salons bewegt sich nun um die großen Veränderungen, denen
Frankreich entgegengeht. Einer der ersten dieser Salons ist der Salon der Frau
des Finanzministers Necker, deren berühmte Tochter, Frau v. Stael, schon wenige
Jahre später eine Königin der Geselligkeit sein wird, bis dann unter den
Trümmern des zusammenkrachenden Königtums auch der echte Pariser Salon,
die echte französische Geselligkeit verschüttet wird. Man hat sie später zwar
wieder ausgegraben und zu einem Scheinleben galvanisiert, aber das rechte
Leben ist es nicht mehr gewesen. Die Herrschaft der Frau war unwiderbring-
lich dahin. Man huldigte ihr wohl noch, aber man gehorchte ihr nicht mehr,
und das Wort, das vom König galt, galt auch von ihr: "Sie herrscht, aber
sie regiert nicht".

Was war's nun mit der deutschen Geselligkeit während der Kein:-, Blüte-
und Verfallzeit des französischen Salons? Wo ist sie geblieben? Welche Werte
hat sie geprägt? Die Fragen lassen sich nicht mit zwei Worten beantworten. In der
Zeit freilich, da die französische Geselligkeit ihren Scheitelpunkt erreicht hatte, ist in
Deutschland nichts davon zu spüren. Die Duodez-souveraine und ihr Hof imitiere"
natürlich, sofern sie Geld haben, Versailles, Paris so gut wie möglich. Eine Gesellig¬
keit, eine wirkliche deutsche Geselligkeit ist aber niemals dabei herausgekommen. Ein
bleibendes Malzeichen, daß es auch in Deutschland Geselligkeit gab, ist uns erst
in der Zeit geworden, als die französischen Salons schon verfielen, ist uns selt¬
samerweise gerade in der Stadt geworden, die wir neuerdings gern als die
große Barbarin, die Heimat aller Unkultur verschreien -- in Berlin. Die
Berliner Salons am Ende des achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten


Geselligkeit, Geselligkcitsformcn und Gcselligkcitssurrogatc

Neugier, etwas von den Dessous einer zarischen Ehe und zarischer Todes-
möglichkeiten zu erfahren.

Im Laufe von hundert oder hundertfünfzig Jahren veränderte sich dann
allmählich das Wesen des französischen Salons, der französischen Geselligkeit,
wenn auch die Außenseite immer noch die gleiche blieb. In den Salons der
Precieusen war man nicht nur geistreich, literarisch, sondern auch gesellschaftlich¬
pädagogisch gewesen. Imi Hotel Rambouillet hatte man nicht nur die ver¬
wilderte Dichtung, sondern auch die verwilderten Umgangsformen einer durch
die letzten Valois und lange Bürgerkriege entsittlichten und verrohte«: Gesellschaft
wieder zu feiner Gebundenheit, zu den Regeln der Courtoisie und des guten
Tones herangezogen. In den Salons nnter Ludwig dem Vierzehnten, der
Regentschaft und auch zum Teil noch unter Ludwig dem Fünfzehnten trug die
höhere Geselligkeit vorwiegend den Stempel des Litterarischen, wobei jedoch
politische Kulissenschiebereien nicht ausgeschlossen blieben. Diese Salons, die
sozusagen auf den Zukunftsgedanken der Dichter und Enzyklopädisten aufgebaut
waren, halten mit diesen Zukunftsgedanken gleichen Schritt. Sobald die Gedanken
anfangen, aus den Büchern hinauszuschreiten in die Wirklichkeit, sich in soziale
und innerpolitische Taten umzusetzen, wandelt sich auch der Salon, und die
Geselligkeit trägt nun den Stempel des Sozialismus, d. h. das allgemeine
Interesse der Salons bewegt sich nun um die großen Veränderungen, denen
Frankreich entgegengeht. Einer der ersten dieser Salons ist der Salon der Frau
des Finanzministers Necker, deren berühmte Tochter, Frau v. Stael, schon wenige
Jahre später eine Königin der Geselligkeit sein wird, bis dann unter den
Trümmern des zusammenkrachenden Königtums auch der echte Pariser Salon,
die echte französische Geselligkeit verschüttet wird. Man hat sie später zwar
wieder ausgegraben und zu einem Scheinleben galvanisiert, aber das rechte
Leben ist es nicht mehr gewesen. Die Herrschaft der Frau war unwiderbring-
lich dahin. Man huldigte ihr wohl noch, aber man gehorchte ihr nicht mehr,
und das Wort, das vom König galt, galt auch von ihr: „Sie herrscht, aber
sie regiert nicht".

Was war's nun mit der deutschen Geselligkeit während der Kein:-, Blüte-
und Verfallzeit des französischen Salons? Wo ist sie geblieben? Welche Werte
hat sie geprägt? Die Fragen lassen sich nicht mit zwei Worten beantworten. In der
Zeit freilich, da die französische Geselligkeit ihren Scheitelpunkt erreicht hatte, ist in
Deutschland nichts davon zu spüren. Die Duodez-souveraine und ihr Hof imitiere»
natürlich, sofern sie Geld haben, Versailles, Paris so gut wie möglich. Eine Gesellig¬
keit, eine wirkliche deutsche Geselligkeit ist aber niemals dabei herausgekommen. Ein
bleibendes Malzeichen, daß es auch in Deutschland Geselligkeit gab, ist uns erst
in der Zeit geworden, als die französischen Salons schon verfielen, ist uns selt¬
samerweise gerade in der Stadt geworden, die wir neuerdings gern als die
große Barbarin, die Heimat aller Unkultur verschreien — in Berlin. Die
Berliner Salons am Ende des achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten


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[0177] Geselligkeit, Geselligkcitsformcn und Gcselligkcitssurrogatc Neugier, etwas von den Dessous einer zarischen Ehe und zarischer Todes- möglichkeiten zu erfahren. Im Laufe von hundert oder hundertfünfzig Jahren veränderte sich dann allmählich das Wesen des französischen Salons, der französischen Geselligkeit, wenn auch die Außenseite immer noch die gleiche blieb. In den Salons der Precieusen war man nicht nur geistreich, literarisch, sondern auch gesellschaftlich¬ pädagogisch gewesen. Imi Hotel Rambouillet hatte man nicht nur die ver¬ wilderte Dichtung, sondern auch die verwilderten Umgangsformen einer durch die letzten Valois und lange Bürgerkriege entsittlichten und verrohte«: Gesellschaft wieder zu feiner Gebundenheit, zu den Regeln der Courtoisie und des guten Tones herangezogen. In den Salons nnter Ludwig dem Vierzehnten, der Regentschaft und auch zum Teil noch unter Ludwig dem Fünfzehnten trug die höhere Geselligkeit vorwiegend den Stempel des Litterarischen, wobei jedoch politische Kulissenschiebereien nicht ausgeschlossen blieben. Diese Salons, die sozusagen auf den Zukunftsgedanken der Dichter und Enzyklopädisten aufgebaut waren, halten mit diesen Zukunftsgedanken gleichen Schritt. Sobald die Gedanken anfangen, aus den Büchern hinauszuschreiten in die Wirklichkeit, sich in soziale und innerpolitische Taten umzusetzen, wandelt sich auch der Salon, und die Geselligkeit trägt nun den Stempel des Sozialismus, d. h. das allgemeine Interesse der Salons bewegt sich nun um die großen Veränderungen, denen Frankreich entgegengeht. Einer der ersten dieser Salons ist der Salon der Frau des Finanzministers Necker, deren berühmte Tochter, Frau v. Stael, schon wenige Jahre später eine Königin der Geselligkeit sein wird, bis dann unter den Trümmern des zusammenkrachenden Königtums auch der echte Pariser Salon, die echte französische Geselligkeit verschüttet wird. Man hat sie später zwar wieder ausgegraben und zu einem Scheinleben galvanisiert, aber das rechte Leben ist es nicht mehr gewesen. Die Herrschaft der Frau war unwiderbring- lich dahin. Man huldigte ihr wohl noch, aber man gehorchte ihr nicht mehr, und das Wort, das vom König galt, galt auch von ihr: „Sie herrscht, aber sie regiert nicht". Was war's nun mit der deutschen Geselligkeit während der Kein:-, Blüte- und Verfallzeit des französischen Salons? Wo ist sie geblieben? Welche Werte hat sie geprägt? Die Fragen lassen sich nicht mit zwei Worten beantworten. In der Zeit freilich, da die französische Geselligkeit ihren Scheitelpunkt erreicht hatte, ist in Deutschland nichts davon zu spüren. Die Duodez-souveraine und ihr Hof imitiere» natürlich, sofern sie Geld haben, Versailles, Paris so gut wie möglich. Eine Gesellig¬ keit, eine wirkliche deutsche Geselligkeit ist aber niemals dabei herausgekommen. Ein bleibendes Malzeichen, daß es auch in Deutschland Geselligkeit gab, ist uns erst in der Zeit geworden, als die französischen Salons schon verfielen, ist uns selt¬ samerweise gerade in der Stadt geworden, die wir neuerdings gern als die große Barbarin, die Heimat aller Unkultur verschreien — in Berlin. Die Berliner Salons am Ende des achtzehnten und zu Beginn des neunzehnten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/177>, abgerufen am 04.07.2024.