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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Das sächsische Gesetz über Gcmeindevcrbände

Verfügung, das auch sonst im Leben die wirtschaftlich Schwächeren sehr oft mit
Erfolg anwenden: der Zusammenschluß zu einem größeren Ganzen. Die Bildung
von Gemeindeverbänden ermöglicht den Gemeinden ein Arbeiten mit höherem
Wirkungsgrad, sie verteilt die Gefahr wirtschaftlicher Unternehmungen auf breite
und tragfähige Schultern, sie gewährleistet ihre Ertragsfähigkeit durch einen
größeren Wirkungskreis, den sie ihnen gibt.

Wie amtlich festgestellt wird, wächst denn auch die Zahl der sächsischen
Gemeindeverbände von Jahr zu Jahr. Ihre Aufgaben sind nahezu ebenso
zahlreich wie die Aufgaben der Gemeinden überhaupt. Von den kleinsten Ver¬
bänden zur gemeinsamen Anstellung eines Nachtwächters oder einer Hebamme,
über die Wege- und Brückenbauverbäude bis zu den Verbänden für Straßen¬
bahnen, Elektrizitätswerke und neuestens den Haftpflichtverbänden, dem Giro¬
verbande und dem geplanten Landespensionsverbande ist diese Form den mannig¬
faltigsten Zwecken dienstbar gemacht worden, und man nimmt regierungsseitig
wohl mit Recht an, daß es sich hier erst um die Anfänge einer Entwicklung
handelt, deren weiterer Verlauf heute noch nicht abzusehen ist.

Die Staatsregierung hält die bisherige Entwicklung des Verbandswesens
für wirtschaftlich richtig und gesund und bezeichnet es als einen unerwünschten
Zustand, daß die großen Städte immer kräftiger emporblühen, während das
übrige Land die Befriedigung von Bedürfnissen, die von den Genreindemitgliedern
oder von Industrie oder Landwirtschaft lebhaft empfunden werden, zurückstellen
muß, weil die einzelne Gemeinde zu schwach ist. Sie will daher zu ihrem Teil
die Bildung von Gemeindeverbänden erleichtern und fördern.

Nach Ansicht der Regierung haben die Bestimmungen der Gemeindeordnungen,
die bisher die Bildung von Gemeindeverbänden gesetzlich regelten, die Entwicklung
keineswegs gehemmt, vielmehr haben hier wie in anderen Punkten die Städte¬
ordnung und die Landgemeindeordnung eine Elastizität bewiesen, die die Vor¬
trefflichkeit jener Gesetzgebung im hellsten Lichte erscheinen läßt. Aber es läßt
sich doch nicht verkennen, daß die Verhältnisse weit über den Nahmen hinaus¬
gewachsen sind, den die W 89 bis 92 der Revidierten Landgemeindeordnung
und H 7 der Revidierten Städteordnung ursprünglich bilden sollten. Bei ihrer
Verabschiedung hatte man nur an Verbände zur Erleichterung und Vereinfachung
derjenigen Aufgaben, die die Gemeindeordnungen selbst den Gemeinden stellen,
gedacht. Fast alle größeren Verbände aber stehen heute außerhalb dieses Nahmens.

Nun hatten sich neuerdings auch Schwierigkeiten ergeben, die auf der
Unzulänglichkeit jener gesetzlichen Bestimmungen beruhen. Gemeindeverbünde
bedürfen, um ihren Aufgaben gerecht werden zu können, der juristischen Per¬
sönlichkeit; für ihre Eigenschaft als Körperschaften des öffentlichen Rechts muß
eine sichere Rechtsgrundlage vorhanden sein. Daß es in dieser Beziehung an
der nötigen Klarheit fehlte, haben die bei Gerichten und anderen Behörden in
einzelnen Fällen entstandenen Zweifel ergeben. Ihre Beseitigung erforderte
dringend das gesetzgeberische Eingreifen. Dazu kam, daß die Bestimmungen


Das sächsische Gesetz über Gcmeindevcrbände

Verfügung, das auch sonst im Leben die wirtschaftlich Schwächeren sehr oft mit
Erfolg anwenden: der Zusammenschluß zu einem größeren Ganzen. Die Bildung
von Gemeindeverbänden ermöglicht den Gemeinden ein Arbeiten mit höherem
Wirkungsgrad, sie verteilt die Gefahr wirtschaftlicher Unternehmungen auf breite
und tragfähige Schultern, sie gewährleistet ihre Ertragsfähigkeit durch einen
größeren Wirkungskreis, den sie ihnen gibt.

Wie amtlich festgestellt wird, wächst denn auch die Zahl der sächsischen
Gemeindeverbände von Jahr zu Jahr. Ihre Aufgaben sind nahezu ebenso
zahlreich wie die Aufgaben der Gemeinden überhaupt. Von den kleinsten Ver¬
bänden zur gemeinsamen Anstellung eines Nachtwächters oder einer Hebamme,
über die Wege- und Brückenbauverbäude bis zu den Verbänden für Straßen¬
bahnen, Elektrizitätswerke und neuestens den Haftpflichtverbänden, dem Giro¬
verbande und dem geplanten Landespensionsverbande ist diese Form den mannig¬
faltigsten Zwecken dienstbar gemacht worden, und man nimmt regierungsseitig
wohl mit Recht an, daß es sich hier erst um die Anfänge einer Entwicklung
handelt, deren weiterer Verlauf heute noch nicht abzusehen ist.

Die Staatsregierung hält die bisherige Entwicklung des Verbandswesens
für wirtschaftlich richtig und gesund und bezeichnet es als einen unerwünschten
Zustand, daß die großen Städte immer kräftiger emporblühen, während das
übrige Land die Befriedigung von Bedürfnissen, die von den Genreindemitgliedern
oder von Industrie oder Landwirtschaft lebhaft empfunden werden, zurückstellen
muß, weil die einzelne Gemeinde zu schwach ist. Sie will daher zu ihrem Teil
die Bildung von Gemeindeverbänden erleichtern und fördern.

Nach Ansicht der Regierung haben die Bestimmungen der Gemeindeordnungen,
die bisher die Bildung von Gemeindeverbänden gesetzlich regelten, die Entwicklung
keineswegs gehemmt, vielmehr haben hier wie in anderen Punkten die Städte¬
ordnung und die Landgemeindeordnung eine Elastizität bewiesen, die die Vor¬
trefflichkeit jener Gesetzgebung im hellsten Lichte erscheinen läßt. Aber es läßt
sich doch nicht verkennen, daß die Verhältnisse weit über den Nahmen hinaus¬
gewachsen sind, den die W 89 bis 92 der Revidierten Landgemeindeordnung
und H 7 der Revidierten Städteordnung ursprünglich bilden sollten. Bei ihrer
Verabschiedung hatte man nur an Verbände zur Erleichterung und Vereinfachung
derjenigen Aufgaben, die die Gemeindeordnungen selbst den Gemeinden stellen,
gedacht. Fast alle größeren Verbände aber stehen heute außerhalb dieses Nahmens.

Nun hatten sich neuerdings auch Schwierigkeiten ergeben, die auf der
Unzulänglichkeit jener gesetzlichen Bestimmungen beruhen. Gemeindeverbünde
bedürfen, um ihren Aufgaben gerecht werden zu können, der juristischen Per¬
sönlichkeit; für ihre Eigenschaft als Körperschaften des öffentlichen Rechts muß
eine sichere Rechtsgrundlage vorhanden sein. Daß es in dieser Beziehung an
der nötigen Klarheit fehlte, haben die bei Gerichten und anderen Behörden in
einzelnen Fällen entstandenen Zweifel ergeben. Ihre Beseitigung erforderte
dringend das gesetzgeberische Eingreifen. Dazu kam, daß die Bestimmungen


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[0168] Das sächsische Gesetz über Gcmeindevcrbände Verfügung, das auch sonst im Leben die wirtschaftlich Schwächeren sehr oft mit Erfolg anwenden: der Zusammenschluß zu einem größeren Ganzen. Die Bildung von Gemeindeverbänden ermöglicht den Gemeinden ein Arbeiten mit höherem Wirkungsgrad, sie verteilt die Gefahr wirtschaftlicher Unternehmungen auf breite und tragfähige Schultern, sie gewährleistet ihre Ertragsfähigkeit durch einen größeren Wirkungskreis, den sie ihnen gibt. Wie amtlich festgestellt wird, wächst denn auch die Zahl der sächsischen Gemeindeverbände von Jahr zu Jahr. Ihre Aufgaben sind nahezu ebenso zahlreich wie die Aufgaben der Gemeinden überhaupt. Von den kleinsten Ver¬ bänden zur gemeinsamen Anstellung eines Nachtwächters oder einer Hebamme, über die Wege- und Brückenbauverbäude bis zu den Verbänden für Straßen¬ bahnen, Elektrizitätswerke und neuestens den Haftpflichtverbänden, dem Giro¬ verbande und dem geplanten Landespensionsverbande ist diese Form den mannig¬ faltigsten Zwecken dienstbar gemacht worden, und man nimmt regierungsseitig wohl mit Recht an, daß es sich hier erst um die Anfänge einer Entwicklung handelt, deren weiterer Verlauf heute noch nicht abzusehen ist. Die Staatsregierung hält die bisherige Entwicklung des Verbandswesens für wirtschaftlich richtig und gesund und bezeichnet es als einen unerwünschten Zustand, daß die großen Städte immer kräftiger emporblühen, während das übrige Land die Befriedigung von Bedürfnissen, die von den Genreindemitgliedern oder von Industrie oder Landwirtschaft lebhaft empfunden werden, zurückstellen muß, weil die einzelne Gemeinde zu schwach ist. Sie will daher zu ihrem Teil die Bildung von Gemeindeverbänden erleichtern und fördern. Nach Ansicht der Regierung haben die Bestimmungen der Gemeindeordnungen, die bisher die Bildung von Gemeindeverbänden gesetzlich regelten, die Entwicklung keineswegs gehemmt, vielmehr haben hier wie in anderen Punkten die Städte¬ ordnung und die Landgemeindeordnung eine Elastizität bewiesen, die die Vor¬ trefflichkeit jener Gesetzgebung im hellsten Lichte erscheinen läßt. Aber es läßt sich doch nicht verkennen, daß die Verhältnisse weit über den Nahmen hinaus¬ gewachsen sind, den die W 89 bis 92 der Revidierten Landgemeindeordnung und H 7 der Revidierten Städteordnung ursprünglich bilden sollten. Bei ihrer Verabschiedung hatte man nur an Verbände zur Erleichterung und Vereinfachung derjenigen Aufgaben, die die Gemeindeordnungen selbst den Gemeinden stellen, gedacht. Fast alle größeren Verbände aber stehen heute außerhalb dieses Nahmens. Nun hatten sich neuerdings auch Schwierigkeiten ergeben, die auf der Unzulänglichkeit jener gesetzlichen Bestimmungen beruhen. Gemeindeverbünde bedürfen, um ihren Aufgaben gerecht werden zu können, der juristischen Per¬ sönlichkeit; für ihre Eigenschaft als Körperschaften des öffentlichen Rechts muß eine sichere Rechtsgrundlage vorhanden sein. Daß es in dieser Beziehung an der nötigen Klarheit fehlte, haben die bei Gerichten und anderen Behörden in einzelnen Fällen entstandenen Zweifel ergeben. Ihre Beseitigung erforderte dringend das gesetzgeberische Eingreifen. Dazu kam, daß die Bestimmungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/168>, abgerufen am 29.12.2024.