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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Marokkanischer Brief

2. es sollte der englische Handel durch das Abkommen keinerlei Benach¬
teiligungen erleiden;

:;. es sollten die historischen Ansprüche Spaniens in Marokko durch ein
Sonderabkommen mit dieser Macht berücksichtigt werden.

Zur Charakterisierung des Geistes dieser Abmachung sei auf ihren Artikel 2
hingewiesen, worin es heißt:

"Daß es Frankreich, als der Macht, die auf einer weiten Strecke Marokkos
Grenznachbar ist, vor allein zukommt, über die Ruhe in diesem Lande zu wachen
und ihm seinen Beistand für alle administrativen, wirtschaftlichen, finanziellen
und militärischen Reformen zu leihen, deren es bedarf."

Artikel 4 garantierte dem englischen Handel auf dreißig Jahre völlige
Freiheit, jedoch uuter der Bedingung, daß sich Frankreich vorbehielt:

"Darüber zu wachen, daß die Konzessionen für Wege, Eisenbahnen und Häfen
nur zu solchen Bedingungen erteilt würden, daß die Staatsautorität (soll heißen:
das französische Interesse!) in diesen großen Unternehmungen von allgemeinem
Nutzen ganz gewahrt bleibt."

Nach diesen: Abkommen sollte also Marokko ohne die geringste Rücksicht¬
nahme auf die Interessen anderer Mächte und ohne daß diese überhaupt gefragt
worden waren, ein französisches Protektorat werden! Die wirtschaftliche Erschließung
des zukunftsreichen Landes war als einträgliches Monopol einer französischen
Unternehmerclique gedacht! Die in dem Abkommen vorgesehene Verständigung
mit dem spanischen Freunde wollte zwar zuerst nicht recht vorwärts kommen,
schließlich mußte sich Spanien aber doch dazu bequemen. Das französisch-spanische
Abkommen ist leider nur bruchstückweise veröffentlicht worden, man geht aber
sicher in der Annahme nicht fehl, daß einzelne Teile der marokkanischen Nordküste
darin dem spanischen Einfluß vorbehalten worden sind.

Als sich die Delcassösche Rücksichtslosigkeit im Vertrauen auf die englische
Hilfe nunmehr am Ziel ihrer Wünsche glaubte, wurde Herr Se. Reus-Taillandier,
der französische Gesandte in Tanger, eiligst nach Fes beordert, um die
marokkanische Regierung offiziell von der Sachlage in Kenntnis zu setzen und
dem Sultan ein wohldurchdachtes Programm der beabsichtigten "p^nötraticm
pacMque" oder wie sie ein Tangerer Diplomat spöttisch nannte: " paLMLation
pönLirants" zik überreichen. Hierbei fiel Herr Se. Rene aber gleich allzu stark
mit der Tür ins Halts und spielte sich vor allem als Mandatar der europäischen
Mächte auf, so daß sich der Sultan veranlaßt fühlte, bei der deutschen Negierung
anzufragen, ob ein solches Mandat erteilt sei. Jetzt kam der Stein ins Rollen,
und Deutschland mußte zu der veränderten Lage in Marokko Stellung nehmen.
Seitdem Marokko nicht mehr Zankapfel zwischen den beiden Westmächten war,
hatte sich die marokkanische Situation für uns von Grund aus geändert, denn
nun mußten wir darauf Bedacht nehmen, wie die deutschen Interessen im
Scherifenreich uuter den obwaltenden Verhältnissen am besten wahrgenommen
werden konnten. Zwei Wege gab es: entweder suchte die deutsche Regierung


Marokkanischer Brief

2. es sollte der englische Handel durch das Abkommen keinerlei Benach¬
teiligungen erleiden;

:;. es sollten die historischen Ansprüche Spaniens in Marokko durch ein
Sonderabkommen mit dieser Macht berücksichtigt werden.

Zur Charakterisierung des Geistes dieser Abmachung sei auf ihren Artikel 2
hingewiesen, worin es heißt:

„Daß es Frankreich, als der Macht, die auf einer weiten Strecke Marokkos
Grenznachbar ist, vor allein zukommt, über die Ruhe in diesem Lande zu wachen
und ihm seinen Beistand für alle administrativen, wirtschaftlichen, finanziellen
und militärischen Reformen zu leihen, deren es bedarf."

Artikel 4 garantierte dem englischen Handel auf dreißig Jahre völlige
Freiheit, jedoch uuter der Bedingung, daß sich Frankreich vorbehielt:

„Darüber zu wachen, daß die Konzessionen für Wege, Eisenbahnen und Häfen
nur zu solchen Bedingungen erteilt würden, daß die Staatsautorität (soll heißen:
das französische Interesse!) in diesen großen Unternehmungen von allgemeinem
Nutzen ganz gewahrt bleibt."

Nach diesen: Abkommen sollte also Marokko ohne die geringste Rücksicht¬
nahme auf die Interessen anderer Mächte und ohne daß diese überhaupt gefragt
worden waren, ein französisches Protektorat werden! Die wirtschaftliche Erschließung
des zukunftsreichen Landes war als einträgliches Monopol einer französischen
Unternehmerclique gedacht! Die in dem Abkommen vorgesehene Verständigung
mit dem spanischen Freunde wollte zwar zuerst nicht recht vorwärts kommen,
schließlich mußte sich Spanien aber doch dazu bequemen. Das französisch-spanische
Abkommen ist leider nur bruchstückweise veröffentlicht worden, man geht aber
sicher in der Annahme nicht fehl, daß einzelne Teile der marokkanischen Nordküste
darin dem spanischen Einfluß vorbehalten worden sind.

Als sich die Delcassösche Rücksichtslosigkeit im Vertrauen auf die englische
Hilfe nunmehr am Ziel ihrer Wünsche glaubte, wurde Herr Se. Reus-Taillandier,
der französische Gesandte in Tanger, eiligst nach Fes beordert, um die
marokkanische Regierung offiziell von der Sachlage in Kenntnis zu setzen und
dem Sultan ein wohldurchdachtes Programm der beabsichtigten „p^nötraticm
pacMque" oder wie sie ein Tangerer Diplomat spöttisch nannte: „ paLMLation
pönLirants" zik überreichen. Hierbei fiel Herr Se. Rene aber gleich allzu stark
mit der Tür ins Halts und spielte sich vor allem als Mandatar der europäischen
Mächte auf, so daß sich der Sultan veranlaßt fühlte, bei der deutschen Negierung
anzufragen, ob ein solches Mandat erteilt sei. Jetzt kam der Stein ins Rollen,
und Deutschland mußte zu der veränderten Lage in Marokko Stellung nehmen.
Seitdem Marokko nicht mehr Zankapfel zwischen den beiden Westmächten war,
hatte sich die marokkanische Situation für uns von Grund aus geändert, denn
nun mußten wir darauf Bedacht nehmen, wie die deutschen Interessen im
Scherifenreich uuter den obwaltenden Verhältnissen am besten wahrgenommen
werden konnten. Zwei Wege gab es: entweder suchte die deutsche Regierung


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/142>, abgerufen am 24.07.2024.