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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Deutsche Bühnenkunst i" den letzten zwanzig Jahren

Natürlich hat auch er, der das deutsche Theaterleben des letzten Jahrzehnts
beherrscht hat und zum größten Teile noch beherrscht, wie alle vorragenden
Erscheinungen viel Beifall, aber auch viel Gegnerschaft gefunden. Daß seine
Anregungen auf fruchtbaren Boden gefallen sind, beweist der unverkennbar
frischere Zug, der seit seinem Auftreten durch die größeren deutschen Theater
geht. Wir nennen in diesem Zusammenhang die Theater in Düsseldorf (Luise
Dumont), Köln (Martersteig), Mannheim (Gregori), Dresden (Graf Seebach)
und Hamburg (Hagemann). In allen diesen Städten wird mit einer früher
nicht gekannten Konzentriertheit und mit bewunderungswürdigem Ernst an der
Hebung des Theaterniveaus gearbeitet. Und die Spuren der Reinhardtschen
Anregungen ließen sich überall mit Leichtigkeit aufzeigen.

Auf ^>er anderen Seite ist natürlich auch die Gegenwirkung nicht ausgeblieben.
Dem "Napoleon des Theaters", wie man Reinhardt halb ernsthaft, halb spöttisch
nannte, wurde seine Pietätlosigkeit von Philisterseelen angekreidet. Sein Tasten
nach allem, was ungewöhnlich war und aus der Schablone herausfiel, wurde
als Sensationslust und Snobtum gedeutet. Angesichts feiner immer mehr in
den Vordergrund rückender dekorativen Künste zeigte man mit warnendem Finger
auf das im zirkusmäßigen Ausstattungsstück versandende englische und amerikanische
Theater (die grotesken Shakespeare-Aufführungen Beerb oben-Trees, die man in
Berlin sah, gaben diesen Befürchtungen neue Nahrung), und man witterte --
zum Teil nicht mit Unrecht -- in dem fessellosen Wuchern des Koloristischen
auf der Bühne eine Gefahr für das ernsthafte Drama. Man hatte nachgerade
genug Farbe und genug Stimmung auf der Bühne und verlangte -- vielleicht
aus einer gewissen Übersättigung heraus -- nach Ursprünglichkeit und großen
einfachen Linien.

Die Ergebnisse dieser Reaktion sind bis auf den heutigen Tag ziemlich
kläglich geblieben. Der erste Anstoß ging von München ans. Hier gründete
im Jahre 1908 ein Häuflein theoretisierender Kaffeehausliteraten*) die viel
besprochene Reliefbühne des Künstlertheaters, mit einer pathetisch "erfochtenen,
gegen Berlin im allgemeinen und gegen Reinhardt im besonderen gerichteten
Tendenz. Puritanische Schlichtheit im Bühnenbilde wurde diesmal als Losung
ausgegeben. Auf der Szene, die kaum ein paar Meter in die Tiefe ging,
beschränkte man sich auf die allernotwendigsten Andeutungen des dekorativen
Elements. Die Perspektive wurde durch einfache Vorhänge oder auch durch
grotesk stilisierte Bilder Münchener Sezessionisten erzielt. Im übrigen lag die
künstlerische Arbeit ausschließlich in den Händen mittelmäßiger Schauspieler;
denn die Aufmerksamkeit sollte um keinen Preis von der Hauptsache, dem



*) An ihrer Spitze stand Georg Fuchs, der spätere Direktor des Künstlertheaters. Bon
seinen Schriften nennen wir hier: "Die Schaubühne der Zukunft" und "Die Rebolutionierung
des Theaters" (München, bei Georg Müller). Im Zusammenhang damit sei gleichzeitig auf
das tüchtige Buch des Münchener Regisseurs Jocza Snwits "Bon der Absicht des Dramas",
(bei Etzold u. Co., München 1908) verwiesen.
Deutsche Bühnenkunst i» den letzten zwanzig Jahren

Natürlich hat auch er, der das deutsche Theaterleben des letzten Jahrzehnts
beherrscht hat und zum größten Teile noch beherrscht, wie alle vorragenden
Erscheinungen viel Beifall, aber auch viel Gegnerschaft gefunden. Daß seine
Anregungen auf fruchtbaren Boden gefallen sind, beweist der unverkennbar
frischere Zug, der seit seinem Auftreten durch die größeren deutschen Theater
geht. Wir nennen in diesem Zusammenhang die Theater in Düsseldorf (Luise
Dumont), Köln (Martersteig), Mannheim (Gregori), Dresden (Graf Seebach)
und Hamburg (Hagemann). In allen diesen Städten wird mit einer früher
nicht gekannten Konzentriertheit und mit bewunderungswürdigem Ernst an der
Hebung des Theaterniveaus gearbeitet. Und die Spuren der Reinhardtschen
Anregungen ließen sich überall mit Leichtigkeit aufzeigen.

Auf ^>er anderen Seite ist natürlich auch die Gegenwirkung nicht ausgeblieben.
Dem „Napoleon des Theaters", wie man Reinhardt halb ernsthaft, halb spöttisch
nannte, wurde seine Pietätlosigkeit von Philisterseelen angekreidet. Sein Tasten
nach allem, was ungewöhnlich war und aus der Schablone herausfiel, wurde
als Sensationslust und Snobtum gedeutet. Angesichts feiner immer mehr in
den Vordergrund rückender dekorativen Künste zeigte man mit warnendem Finger
auf das im zirkusmäßigen Ausstattungsstück versandende englische und amerikanische
Theater (die grotesken Shakespeare-Aufführungen Beerb oben-Trees, die man in
Berlin sah, gaben diesen Befürchtungen neue Nahrung), und man witterte —
zum Teil nicht mit Unrecht — in dem fessellosen Wuchern des Koloristischen
auf der Bühne eine Gefahr für das ernsthafte Drama. Man hatte nachgerade
genug Farbe und genug Stimmung auf der Bühne und verlangte — vielleicht
aus einer gewissen Übersättigung heraus — nach Ursprünglichkeit und großen
einfachen Linien.

Die Ergebnisse dieser Reaktion sind bis auf den heutigen Tag ziemlich
kläglich geblieben. Der erste Anstoß ging von München ans. Hier gründete
im Jahre 1908 ein Häuflein theoretisierender Kaffeehausliteraten*) die viel
besprochene Reliefbühne des Künstlertheaters, mit einer pathetisch »erfochtenen,
gegen Berlin im allgemeinen und gegen Reinhardt im besonderen gerichteten
Tendenz. Puritanische Schlichtheit im Bühnenbilde wurde diesmal als Losung
ausgegeben. Auf der Szene, die kaum ein paar Meter in die Tiefe ging,
beschränkte man sich auf die allernotwendigsten Andeutungen des dekorativen
Elements. Die Perspektive wurde durch einfache Vorhänge oder auch durch
grotesk stilisierte Bilder Münchener Sezessionisten erzielt. Im übrigen lag die
künstlerische Arbeit ausschließlich in den Händen mittelmäßiger Schauspieler;
denn die Aufmerksamkeit sollte um keinen Preis von der Hauptsache, dem



*) An ihrer Spitze stand Georg Fuchs, der spätere Direktor des Künstlertheaters. Bon
seinen Schriften nennen wir hier: „Die Schaubühne der Zukunft" und „Die Rebolutionierung
des Theaters" (München, bei Georg Müller). Im Zusammenhang damit sei gleichzeitig auf
das tüchtige Buch des Münchener Regisseurs Jocza Snwits „Bon der Absicht des Dramas",
(bei Etzold u. Co., München 1908) verwiesen.
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[0136] Deutsche Bühnenkunst i» den letzten zwanzig Jahren Natürlich hat auch er, der das deutsche Theaterleben des letzten Jahrzehnts beherrscht hat und zum größten Teile noch beherrscht, wie alle vorragenden Erscheinungen viel Beifall, aber auch viel Gegnerschaft gefunden. Daß seine Anregungen auf fruchtbaren Boden gefallen sind, beweist der unverkennbar frischere Zug, der seit seinem Auftreten durch die größeren deutschen Theater geht. Wir nennen in diesem Zusammenhang die Theater in Düsseldorf (Luise Dumont), Köln (Martersteig), Mannheim (Gregori), Dresden (Graf Seebach) und Hamburg (Hagemann). In allen diesen Städten wird mit einer früher nicht gekannten Konzentriertheit und mit bewunderungswürdigem Ernst an der Hebung des Theaterniveaus gearbeitet. Und die Spuren der Reinhardtschen Anregungen ließen sich überall mit Leichtigkeit aufzeigen. Auf ^>er anderen Seite ist natürlich auch die Gegenwirkung nicht ausgeblieben. Dem „Napoleon des Theaters", wie man Reinhardt halb ernsthaft, halb spöttisch nannte, wurde seine Pietätlosigkeit von Philisterseelen angekreidet. Sein Tasten nach allem, was ungewöhnlich war und aus der Schablone herausfiel, wurde als Sensationslust und Snobtum gedeutet. Angesichts feiner immer mehr in den Vordergrund rückender dekorativen Künste zeigte man mit warnendem Finger auf das im zirkusmäßigen Ausstattungsstück versandende englische und amerikanische Theater (die grotesken Shakespeare-Aufführungen Beerb oben-Trees, die man in Berlin sah, gaben diesen Befürchtungen neue Nahrung), und man witterte — zum Teil nicht mit Unrecht — in dem fessellosen Wuchern des Koloristischen auf der Bühne eine Gefahr für das ernsthafte Drama. Man hatte nachgerade genug Farbe und genug Stimmung auf der Bühne und verlangte — vielleicht aus einer gewissen Übersättigung heraus — nach Ursprünglichkeit und großen einfachen Linien. Die Ergebnisse dieser Reaktion sind bis auf den heutigen Tag ziemlich kläglich geblieben. Der erste Anstoß ging von München ans. Hier gründete im Jahre 1908 ein Häuflein theoretisierender Kaffeehausliteraten*) die viel besprochene Reliefbühne des Künstlertheaters, mit einer pathetisch »erfochtenen, gegen Berlin im allgemeinen und gegen Reinhardt im besonderen gerichteten Tendenz. Puritanische Schlichtheit im Bühnenbilde wurde diesmal als Losung ausgegeben. Auf der Szene, die kaum ein paar Meter in die Tiefe ging, beschränkte man sich auf die allernotwendigsten Andeutungen des dekorativen Elements. Die Perspektive wurde durch einfache Vorhänge oder auch durch grotesk stilisierte Bilder Münchener Sezessionisten erzielt. Im übrigen lag die künstlerische Arbeit ausschließlich in den Händen mittelmäßiger Schauspieler; denn die Aufmerksamkeit sollte um keinen Preis von der Hauptsache, dem *) An ihrer Spitze stand Georg Fuchs, der spätere Direktor des Künstlertheaters. Bon seinen Schriften nennen wir hier: „Die Schaubühne der Zukunft" und „Die Rebolutionierung des Theaters" (München, bei Georg Müller). Im Zusammenhang damit sei gleichzeitig auf das tüchtige Buch des Münchener Regisseurs Jocza Snwits „Bon der Absicht des Dramas", (bei Etzold u. Co., München 1908) verwiesen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/136>, abgerufen am 24.07.2024.