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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Aufgabe des deutschen Bürgertums

mit Erwachsenen treten. Die Fürsorge der Eltern muß sich auch auf die
Arbeitsstelle erstrecken könne:?. Einerseits müssen die Erwachsenen angehalten
werden, bei ihrem Tun und Reden auf das den jungen Leuten Frommende
bedacht zu sein, und anderseits muß der Trieb der jungen Leute nach Freiheit
und Selbständigkeit, der in diesem Alter sich schon an und für sich kräftig regt
und hier durch den Einblick in die Ungebundenheit der Älteren erheblich verstärkt
wird, verständig und wohlwollend geleitet werden. Da die Eltern nicht zugegen
sein können, so müssen andere Personen mit dieser Aufgabe betraut werden. Es
muß also eine entsprechende Anzahl von Vertrauensleuten der Familien ausgewählt
werden, die zur Ausführung solcher Befugnisse befähigt, berechtigt und ver¬
pflichtet sind. Dies können zunächst nur Personen gleichen Standes sein. Solche
kennen die Lebensverhältnisse und Lebensanschauungen der Eltern am besten.
Da die Erziehung und Ausbildung der einzelnen Persönlichkeit zu einem
gesitteten Charakter vornehmlich die Aufgabe der Frau, der Mutter ist, so
muß diese in den Stand gesetzt sein, die Tätigkeit solcher Vertrauenspersonen
überwachen zu können. Ihr muß zu dem Zweck ein Einfluß auf die Auswahl
eingeräumt werden; sie muß die Wahlberechtigten für ihre Wahl zur Rechen¬
schaft ziehen können. Das ist nur dadurch herbeizuführen, daß die Abstimmung
bei diesen Wahlen öffentlich erfolgt. Der Wahlberechtigte gibt hier feine
Stimme vor Zeugen ab, kann also zur Verantwortung gezogen werden. Dem
Gewählten wird das Vertrauen persönlich von jedem einzelnen in Gegenwart aller
ausgesprochen. Er ist also von dem Vertrauen aller getragen. Wie man in
der sozialpolitischen Gesetzgebung Zwang eingeführt hat, so muß man auch
diesen Erziehungsausschüssen ein Mittel in die Hand geben, das, was sie als
erforderlich erachten, nötigenfalls erzwingen zu können. Sie müssen die
Berechtigung haben, ältere Personen, die nicht die gebührende Rücksicht auf die
jüngeren Mitarbeiter nehmen wollen, von den Wohltaten der sozialpolitischen
Gesetzgebung auszuschließen.

Mit der Jugend ist anders zu verfahren. Die jugendlichen Arbeiter ver¬
dienen vielfach schon in recht jungen Jahren reichlich so viel, als sie zu ihrem
Lebensunterhalt nötig haben. Sie sind dadurch in den Stand gesetzt, tun und
lassen zu können, was sie wollen, und kommen dadurch in Gefahr, nach Dingen
zu greifen, die sie noch nicht vertragen können. Obwohl man unmündigen
Personen einen Vormund zur richtigen Verwendung von ererbten Gut zur Seite
stellt, obwohl man also weiß, daß es verderblich für junge Leute ist, auf eigenen
Füßen zu stehen, eigenem Willen zu folgen, überläßt man sie mit ihrem
erworbenen Verdienst sich selbst. Obwohl man sich dessen bewußt ist, daß oft
zu frühe Selbständigkeit zu verhängnisvollen: Irrtum, Schuld und sittlichem
Elend führt, läßt man die Unglücklichen den verlockenden Pfad zu den: gefähr¬
lichen Absturz ungewarnt betreten. Das ist keine Wohltat, die man den jungen
Leuten erweist. Menschenfteundlicher ist es jedenfalls, sie von den: Betreten
dieses trügerischen Weges abzubringen. Dieses wird erfolgreich dadurch bewirkt.


Die Aufgabe des deutschen Bürgertums

mit Erwachsenen treten. Die Fürsorge der Eltern muß sich auch auf die
Arbeitsstelle erstrecken könne:?. Einerseits müssen die Erwachsenen angehalten
werden, bei ihrem Tun und Reden auf das den jungen Leuten Frommende
bedacht zu sein, und anderseits muß der Trieb der jungen Leute nach Freiheit
und Selbständigkeit, der in diesem Alter sich schon an und für sich kräftig regt
und hier durch den Einblick in die Ungebundenheit der Älteren erheblich verstärkt
wird, verständig und wohlwollend geleitet werden. Da die Eltern nicht zugegen
sein können, so müssen andere Personen mit dieser Aufgabe betraut werden. Es
muß also eine entsprechende Anzahl von Vertrauensleuten der Familien ausgewählt
werden, die zur Ausführung solcher Befugnisse befähigt, berechtigt und ver¬
pflichtet sind. Dies können zunächst nur Personen gleichen Standes sein. Solche
kennen die Lebensverhältnisse und Lebensanschauungen der Eltern am besten.
Da die Erziehung und Ausbildung der einzelnen Persönlichkeit zu einem
gesitteten Charakter vornehmlich die Aufgabe der Frau, der Mutter ist, so
muß diese in den Stand gesetzt sein, die Tätigkeit solcher Vertrauenspersonen
überwachen zu können. Ihr muß zu dem Zweck ein Einfluß auf die Auswahl
eingeräumt werden; sie muß die Wahlberechtigten für ihre Wahl zur Rechen¬
schaft ziehen können. Das ist nur dadurch herbeizuführen, daß die Abstimmung
bei diesen Wahlen öffentlich erfolgt. Der Wahlberechtigte gibt hier feine
Stimme vor Zeugen ab, kann also zur Verantwortung gezogen werden. Dem
Gewählten wird das Vertrauen persönlich von jedem einzelnen in Gegenwart aller
ausgesprochen. Er ist also von dem Vertrauen aller getragen. Wie man in
der sozialpolitischen Gesetzgebung Zwang eingeführt hat, so muß man auch
diesen Erziehungsausschüssen ein Mittel in die Hand geben, das, was sie als
erforderlich erachten, nötigenfalls erzwingen zu können. Sie müssen die
Berechtigung haben, ältere Personen, die nicht die gebührende Rücksicht auf die
jüngeren Mitarbeiter nehmen wollen, von den Wohltaten der sozialpolitischen
Gesetzgebung auszuschließen.

Mit der Jugend ist anders zu verfahren. Die jugendlichen Arbeiter ver¬
dienen vielfach schon in recht jungen Jahren reichlich so viel, als sie zu ihrem
Lebensunterhalt nötig haben. Sie sind dadurch in den Stand gesetzt, tun und
lassen zu können, was sie wollen, und kommen dadurch in Gefahr, nach Dingen
zu greifen, die sie noch nicht vertragen können. Obwohl man unmündigen
Personen einen Vormund zur richtigen Verwendung von ererbten Gut zur Seite
stellt, obwohl man also weiß, daß es verderblich für junge Leute ist, auf eigenen
Füßen zu stehen, eigenem Willen zu folgen, überläßt man sie mit ihrem
erworbenen Verdienst sich selbst. Obwohl man sich dessen bewußt ist, daß oft
zu frühe Selbständigkeit zu verhängnisvollen: Irrtum, Schuld und sittlichem
Elend führt, läßt man die Unglücklichen den verlockenden Pfad zu den: gefähr¬
lichen Absturz ungewarnt betreten. Das ist keine Wohltat, die man den jungen
Leuten erweist. Menschenfteundlicher ist es jedenfalls, sie von den: Betreten
dieses trügerischen Weges abzubringen. Dieses wird erfolgreich dadurch bewirkt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/125>, abgerufen am 24.07.2024.