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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Erziehung in den vereinigten Staaten

So erinnere ich mich aus der eigenen Schulzeit, daß ein Lehrer, der immer
mit den polterndsten Schimpfworten auftrat, sich niemals Ruhe und Autorität
verschaffen konnte, während bei einem anderen, der den Schülern mit der
ruhigen Höflichkeit eines gebildeten Menschen gegenübertrat, das musterhafteste
Betragen herrschte.

Außer den Schulen ist auch noch gerade für diejenigen Leute, die in
jugendlichem Alter bereits in das geschäftliche Leben eintreten, Gelegenheit zur
Weiterbildung gegeben durch die vielen großen Bibliotheken. Ihre Benutzung
steht jedermann frei und sie wird erleichtert durch die außerordentlich gute
technische Einrichtung. Ich habe mir in der Bibliothek der Columbia University
ein Buch geben lassen. Der Bibliothekar schickt den Zettel durch Rohrpost in
die betreffende Abteilung der Bibliothek und ans einen, kleinen Rollwägen
kommt alsbald das Buch herunter. Die ganze Prozedur hatte 4 Minuten
32 Sekunden gedauert.

Ferner sind diese Bibliotheken auch Volksinstitute im wahren Sinne des
Wortes. Ich habe in ihnen oft die Fäbrikleute in ihren Arbeitskitteln neben
den elegantesten Damen sitzen sehen; sie lasen da technische Bücher, während
diese literarische Aufsätze vor sich hatten.

Wenn zurzeit auch die Männer noch ganz in: Geschäfte aufgehen, so liegen
doch mancherlei Anzeichen dafür vor, daß die Erkenntnis der Bedeutung der
geistigen Bildung für die kulturelle Entwicklung eines Volkes immer weiter
durchdringt. Gerade Leute, die im kaufmännischen Leben große Erfolge gehabt
haben, zeigen durch die großen Stiftungen für Bildungsanstalten jeder Art, daß
sie den Wert einer geistigen Ausbildung eines Volkes nicht unterschätzen. Als
klassischer Zeuge mag Andrew Carnegie angeführt werden, der in seinem Buche
"Empire of busineß" S. 106 sagt: "Ich bin der allerletzte, gegen akademische
Bildung zu raten; ist doch mit ihr verglichen aller Geldgewinn, selbst der des
vielfachen Millionärs wertlos. . . Höhere Bildung gibt dem, der sie wirklich
voll in sich aufnimmt, einen vornehmen Geschmack und höhere Ziele, als der
Erwerb von Reichtümern; sie öffnet ihm eine Welt von Entzücken, zu welcher
dem, der nichts anderes als Millionär ist, der Schlüssel fehlt. Daher liegt in
dem Beweis, daß höhere Bildung nicht die beste geschäftliche Erziehung ist,
zugleich die Anerkennung ihres Unrechtes für eine höhere Welt."




Erziehung in den vereinigten Staaten

So erinnere ich mich aus der eigenen Schulzeit, daß ein Lehrer, der immer
mit den polterndsten Schimpfworten auftrat, sich niemals Ruhe und Autorität
verschaffen konnte, während bei einem anderen, der den Schülern mit der
ruhigen Höflichkeit eines gebildeten Menschen gegenübertrat, das musterhafteste
Betragen herrschte.

Außer den Schulen ist auch noch gerade für diejenigen Leute, die in
jugendlichem Alter bereits in das geschäftliche Leben eintreten, Gelegenheit zur
Weiterbildung gegeben durch die vielen großen Bibliotheken. Ihre Benutzung
steht jedermann frei und sie wird erleichtert durch die außerordentlich gute
technische Einrichtung. Ich habe mir in der Bibliothek der Columbia University
ein Buch geben lassen. Der Bibliothekar schickt den Zettel durch Rohrpost in
die betreffende Abteilung der Bibliothek und ans einen, kleinen Rollwägen
kommt alsbald das Buch herunter. Die ganze Prozedur hatte 4 Minuten
32 Sekunden gedauert.

Ferner sind diese Bibliotheken auch Volksinstitute im wahren Sinne des
Wortes. Ich habe in ihnen oft die Fäbrikleute in ihren Arbeitskitteln neben
den elegantesten Damen sitzen sehen; sie lasen da technische Bücher, während
diese literarische Aufsätze vor sich hatten.

Wenn zurzeit auch die Männer noch ganz in: Geschäfte aufgehen, so liegen
doch mancherlei Anzeichen dafür vor, daß die Erkenntnis der Bedeutung der
geistigen Bildung für die kulturelle Entwicklung eines Volkes immer weiter
durchdringt. Gerade Leute, die im kaufmännischen Leben große Erfolge gehabt
haben, zeigen durch die großen Stiftungen für Bildungsanstalten jeder Art, daß
sie den Wert einer geistigen Ausbildung eines Volkes nicht unterschätzen. Als
klassischer Zeuge mag Andrew Carnegie angeführt werden, der in seinem Buche
„Empire of busineß" S. 106 sagt: „Ich bin der allerletzte, gegen akademische
Bildung zu raten; ist doch mit ihr verglichen aller Geldgewinn, selbst der des
vielfachen Millionärs wertlos. . . Höhere Bildung gibt dem, der sie wirklich
voll in sich aufnimmt, einen vornehmen Geschmack und höhere Ziele, als der
Erwerb von Reichtümern; sie öffnet ihm eine Welt von Entzücken, zu welcher
dem, der nichts anderes als Millionär ist, der Schlüssel fehlt. Daher liegt in
dem Beweis, daß höhere Bildung nicht die beste geschäftliche Erziehung ist,
zugleich die Anerkennung ihres Unrechtes für eine höhere Welt."




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[0082] Erziehung in den vereinigten Staaten So erinnere ich mich aus der eigenen Schulzeit, daß ein Lehrer, der immer mit den polterndsten Schimpfworten auftrat, sich niemals Ruhe und Autorität verschaffen konnte, während bei einem anderen, der den Schülern mit der ruhigen Höflichkeit eines gebildeten Menschen gegenübertrat, das musterhafteste Betragen herrschte. Außer den Schulen ist auch noch gerade für diejenigen Leute, die in jugendlichem Alter bereits in das geschäftliche Leben eintreten, Gelegenheit zur Weiterbildung gegeben durch die vielen großen Bibliotheken. Ihre Benutzung steht jedermann frei und sie wird erleichtert durch die außerordentlich gute technische Einrichtung. Ich habe mir in der Bibliothek der Columbia University ein Buch geben lassen. Der Bibliothekar schickt den Zettel durch Rohrpost in die betreffende Abteilung der Bibliothek und ans einen, kleinen Rollwägen kommt alsbald das Buch herunter. Die ganze Prozedur hatte 4 Minuten 32 Sekunden gedauert. Ferner sind diese Bibliotheken auch Volksinstitute im wahren Sinne des Wortes. Ich habe in ihnen oft die Fäbrikleute in ihren Arbeitskitteln neben den elegantesten Damen sitzen sehen; sie lasen da technische Bücher, während diese literarische Aufsätze vor sich hatten. Wenn zurzeit auch die Männer noch ganz in: Geschäfte aufgehen, so liegen doch mancherlei Anzeichen dafür vor, daß die Erkenntnis der Bedeutung der geistigen Bildung für die kulturelle Entwicklung eines Volkes immer weiter durchdringt. Gerade Leute, die im kaufmännischen Leben große Erfolge gehabt haben, zeigen durch die großen Stiftungen für Bildungsanstalten jeder Art, daß sie den Wert einer geistigen Ausbildung eines Volkes nicht unterschätzen. Als klassischer Zeuge mag Andrew Carnegie angeführt werden, der in seinem Buche „Empire of busineß" S. 106 sagt: „Ich bin der allerletzte, gegen akademische Bildung zu raten; ist doch mit ihr verglichen aller Geldgewinn, selbst der des vielfachen Millionärs wertlos. . . Höhere Bildung gibt dem, der sie wirklich voll in sich aufnimmt, einen vornehmen Geschmack und höhere Ziele, als der Erwerb von Reichtümern; sie öffnet ihm eine Welt von Entzücken, zu welcher dem, der nichts anderes als Millionär ist, der Schlüssel fehlt. Daher liegt in dem Beweis, daß höhere Bildung nicht die beste geschäftliche Erziehung ist, zugleich die Anerkennung ihres Unrechtes für eine höhere Welt."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/82>, abgerufen am 22.07.2024.