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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

Verwandten das bisherige Erbrecht zu belassen, doch stimme er gegen eine
Reform nach dem alten Grundsatz principiis obsts. Wenn man jetzt eine
zweckmäßige Begrenzung des Verwandtenerbrechts im Interesse der Gesamtheit
gutheiße, so könne später einmal die Grenze verschoben und schließlich das
ganze Erbrecht abgeschafft werden. Gewiß. Die Gefahr besteht in demselben
Maße, wie man befürchten muß, daß die Einkommensteuer einmal auf 100 Prozent
erhöht wird. Eine so verwegene Finanzoperation ist aber auch bei den übrigen
Steuern denkbar. Deswegen müßte man, um solchen Möglichkeiten vorzubeugen,
folgerichtig sämtliche Steuern schnell abschaffen, damit die Erhöhung nicht ein¬
treten kann, nach dem bewährten Grundsatz pnnLipii8 ob8ta. Von diesem
Standpunkt aus muß es aber auch als ein leichtsinniger, folgenschwerer Schritt
erscheinen, ein Glas Bier zu trinken, weil man sich damit auf die schiefe Ebene
begibt, die zur Trunksucht und zum Delirium treuen8 führt. -- Ovid selbst
gebraucht die berühmte Wendung in den "Ksmeäia amoris", die ein Gegen¬
stück zur "^,rs emanäi" bilden. Er ruft warnend aus: principiis obsta,
8el'o msZicina, paratur!

Also ein weiser Rat an junge Leute, der Liebe beizeiten aus den: Wege
zu gehen, wenn sie der gefährlichen Krankheit nicht unrettbar verfallen wollen.
Natürlich meint der stets verliebte Spötter das nicht ernsthaft. In den:
bescheidenen Scherz hat man geglaubt eine allgemeine Lebensregel erkennen zu
sollen, daß jeder Schritt "prinzipiell" zu unterlassen sei, der zum Schaden führen
könne, wenn man zu weit geht. Und so sind die mißverstandenen, belanglosen
zwei Worte zu einer Losung des Stillstandes geworden, die sich jeder Reform,
jedem Fortschritt in den Weg stellen. Damit aber wurde die Phrase zu einer
Gefahr. Berechtigten Beschwerden abzuhelfen, ist. nicht nur ein Gebot der
Gerechtigkeit, sondern auch der Klugheit. Lange genug tönt uns das furchtbare
Wort von den "Enterbten" in die Ohren. Wer wollte bestreiten, daß Wahres
darin liegt? Deswegen erscheint es für die staatserhaltenden Kräfte als eine
Notwendigkeit, durch maßvolle Umgestaltung des gesetzlichen Erbrechts nach dem
Bedürfnis der Gegenwart Vorwürfen den Boden zu entziehen, die die Gefahr
radikaler Umwälzung in sich tragen. Dies darf als herrschende Ansicht unter
den namhaften Nationalökonomen Deutschlands bezeichnet werden. So denken
Adolf Wagner, v. Schmoller, Konrad, Köppe, v. Blume, Gering, der um die
gute Sache hochverdiente, verewigte Hans v. Scheel, Bluntschli in Heidelberg
und zahlreiche andere lebende und tote Träger der besten Namen deutscher
Staatswissenschaft. So sagt u. a. Bernhöft, indem er den sittlichen Standpunkt
in der Frage voranstellt: "Gerade die übermäßige Ausdehnung des Erbrechts
führt dazu, dessen natürliche Grundlagen zu verdunkeln und dessen innere
Berechtigung überhaupt in Frage zu stellen, und es bedarf keiner weiteren Aus¬
führung, daß dies bei der jetzigen politischen Lage gefährlicher ist als je."
("Handwörterbuch der Staatswissenschaft" Bd. III S. 1033). Die verbündeten
Regierungen haben sich dieser Erkenntnis nicht verschlossen und schon bei Be-


Für das Erbrecht des Reiches

Verwandten das bisherige Erbrecht zu belassen, doch stimme er gegen eine
Reform nach dem alten Grundsatz principiis obsts. Wenn man jetzt eine
zweckmäßige Begrenzung des Verwandtenerbrechts im Interesse der Gesamtheit
gutheiße, so könne später einmal die Grenze verschoben und schließlich das
ganze Erbrecht abgeschafft werden. Gewiß. Die Gefahr besteht in demselben
Maße, wie man befürchten muß, daß die Einkommensteuer einmal auf 100 Prozent
erhöht wird. Eine so verwegene Finanzoperation ist aber auch bei den übrigen
Steuern denkbar. Deswegen müßte man, um solchen Möglichkeiten vorzubeugen,
folgerichtig sämtliche Steuern schnell abschaffen, damit die Erhöhung nicht ein¬
treten kann, nach dem bewährten Grundsatz pnnLipii8 ob8ta. Von diesem
Standpunkt aus muß es aber auch als ein leichtsinniger, folgenschwerer Schritt
erscheinen, ein Glas Bier zu trinken, weil man sich damit auf die schiefe Ebene
begibt, die zur Trunksucht und zum Delirium treuen8 führt. — Ovid selbst
gebraucht die berühmte Wendung in den „Ksmeäia amoris", die ein Gegen¬
stück zur „^,rs emanäi" bilden. Er ruft warnend aus: principiis obsta,
8el'o msZicina, paratur!

Also ein weiser Rat an junge Leute, der Liebe beizeiten aus den: Wege
zu gehen, wenn sie der gefährlichen Krankheit nicht unrettbar verfallen wollen.
Natürlich meint der stets verliebte Spötter das nicht ernsthaft. In den:
bescheidenen Scherz hat man geglaubt eine allgemeine Lebensregel erkennen zu
sollen, daß jeder Schritt „prinzipiell" zu unterlassen sei, der zum Schaden führen
könne, wenn man zu weit geht. Und so sind die mißverstandenen, belanglosen
zwei Worte zu einer Losung des Stillstandes geworden, die sich jeder Reform,
jedem Fortschritt in den Weg stellen. Damit aber wurde die Phrase zu einer
Gefahr. Berechtigten Beschwerden abzuhelfen, ist. nicht nur ein Gebot der
Gerechtigkeit, sondern auch der Klugheit. Lange genug tönt uns das furchtbare
Wort von den „Enterbten" in die Ohren. Wer wollte bestreiten, daß Wahres
darin liegt? Deswegen erscheint es für die staatserhaltenden Kräfte als eine
Notwendigkeit, durch maßvolle Umgestaltung des gesetzlichen Erbrechts nach dem
Bedürfnis der Gegenwart Vorwürfen den Boden zu entziehen, die die Gefahr
radikaler Umwälzung in sich tragen. Dies darf als herrschende Ansicht unter
den namhaften Nationalökonomen Deutschlands bezeichnet werden. So denken
Adolf Wagner, v. Schmoller, Konrad, Köppe, v. Blume, Gering, der um die
gute Sache hochverdiente, verewigte Hans v. Scheel, Bluntschli in Heidelberg
und zahlreiche andere lebende und tote Träger der besten Namen deutscher
Staatswissenschaft. So sagt u. a. Bernhöft, indem er den sittlichen Standpunkt
in der Frage voranstellt: „Gerade die übermäßige Ausdehnung des Erbrechts
führt dazu, dessen natürliche Grundlagen zu verdunkeln und dessen innere
Berechtigung überhaupt in Frage zu stellen, und es bedarf keiner weiteren Aus¬
führung, daß dies bei der jetzigen politischen Lage gefährlicher ist als je."
(„Handwörterbuch der Staatswissenschaft" Bd. III S. 1033). Die verbündeten
Regierungen haben sich dieser Erkenntnis nicht verschlossen und schon bei Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/62>, abgerufen am 22.07.2024.