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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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cLin Dichtcrgemüt

Da es ein Unding ist, zu liepen, muß man natürlich pieben, was durchaus
recht und billig ist. Über das alte und neue Hellas singt der Poet:

Das erotische Problem findet bei ihm ungeahnte Vertiefung:



"Sie lernen sich kennen, er hört, sie hat Geld,
Sie spricht zu den Eltern: "Ach, der mir gefällt!"


Wen wundert das? Solches Erzeugnis wird jeder unerhört finden. Ich bin
unverantwortlich ungerecht gewesen zugunsten dieses Dichters, denn ich habe die
besten Trümpfe aus der Hand gelassen, und nur ziemlich zufällig einiges heraus¬
gegriffen. Wer die tötendsten Lächerlichkeiten erleben will, der lese etwa die
Gedichte: "Schlechtes Rendezvous" oder "Kunstkenner", "Seelenschmerz" und anderes.
Sie werden, homöopathisch genommen, Feinschmeckern im weichen Nachmittags¬
sessel wohltun. Und aus diesem volkshygienischen Gesichtspunkt heraus ist den
Gedichten von Herzen großer Absatz zu wünschen.

Lassen Sie mich Schluß machen, verehrte Festversammlung, mit den schönen
Versen, in denen der Begnadete die Lebensadern seines Dichtergemüts als unerhörter
Neutöner bloßlegt:

"Ein Dichtergcmüt muß Frende und Schmerz,
Den Haß und die Liebe durchspüren;
Mus; kämpfen und streben mit mutigen Herz,
Muß stets seine Welt mit sich führen!
Wenn dann auf diesen begnadigten Geist
Die Muse sich niedersenket,
Dann ist er ein Gott, sein Werk es beweist,
Dus ewig dem Weltall er schenket!"

Sein Werk es beweist. Es hat sich niedergesenket auf Herrn Dr. James
von Bleichröoer, den: es "in herzlicher Verehrung gewidmet" ist. Der Ärmste hat
Adolf petrenz- augenscheinlich nichts dagegen tun können.




Die "Ehe der modernen Lebewelt" geißelt unser Freund trotzdem mit der
Wucht eines zornigen Eiferers:
cLin Dichtcrgemüt

Da es ein Unding ist, zu liepen, muß man natürlich pieben, was durchaus
recht und billig ist. Über das alte und neue Hellas singt der Poet:

Das erotische Problem findet bei ihm ungeahnte Vertiefung:



„Sie lernen sich kennen, er hört, sie hat Geld,
Sie spricht zu den Eltern: „Ach, der mir gefällt!"


Wen wundert das? Solches Erzeugnis wird jeder unerhört finden. Ich bin
unverantwortlich ungerecht gewesen zugunsten dieses Dichters, denn ich habe die
besten Trümpfe aus der Hand gelassen, und nur ziemlich zufällig einiges heraus¬
gegriffen. Wer die tötendsten Lächerlichkeiten erleben will, der lese etwa die
Gedichte: „Schlechtes Rendezvous" oder „Kunstkenner", „Seelenschmerz" und anderes.
Sie werden, homöopathisch genommen, Feinschmeckern im weichen Nachmittags¬
sessel wohltun. Und aus diesem volkshygienischen Gesichtspunkt heraus ist den
Gedichten von Herzen großer Absatz zu wünschen.

Lassen Sie mich Schluß machen, verehrte Festversammlung, mit den schönen
Versen, in denen der Begnadete die Lebensadern seines Dichtergemüts als unerhörter
Neutöner bloßlegt:

„Ein Dichtergcmüt muß Frende und Schmerz,
Den Haß und die Liebe durchspüren;
Mus; kämpfen und streben mit mutigen Herz,
Muß stets seine Welt mit sich führen!
Wenn dann auf diesen begnadigten Geist
Die Muse sich niedersenket,
Dann ist er ein Gott, sein Werk es beweist,
Dus ewig dem Weltall er schenket!"

Sein Werk es beweist. Es hat sich niedergesenket auf Herrn Dr. James
von Bleichröoer, den: es „in herzlicher Verehrung gewidmet" ist. Der Ärmste hat
Adolf petrenz- augenscheinlich nichts dagegen tun können.




Die „Ehe der modernen Lebewelt" geißelt unser Freund trotzdem mit der
Wucht eines zornigen Eiferers:
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[0603] cLin Dichtcrgemüt Da es ein Unding ist, zu liepen, muß man natürlich pieben, was durchaus recht und billig ist. Über das alte und neue Hellas singt der Poet: Das erotische Problem findet bei ihm ungeahnte Vertiefung: „Sie lernen sich kennen, er hört, sie hat Geld, Sie spricht zu den Eltern: „Ach, der mir gefällt!" Wen wundert das? Solches Erzeugnis wird jeder unerhört finden. Ich bin unverantwortlich ungerecht gewesen zugunsten dieses Dichters, denn ich habe die besten Trümpfe aus der Hand gelassen, und nur ziemlich zufällig einiges heraus¬ gegriffen. Wer die tötendsten Lächerlichkeiten erleben will, der lese etwa die Gedichte: „Schlechtes Rendezvous" oder „Kunstkenner", „Seelenschmerz" und anderes. Sie werden, homöopathisch genommen, Feinschmeckern im weichen Nachmittags¬ sessel wohltun. Und aus diesem volkshygienischen Gesichtspunkt heraus ist den Gedichten von Herzen großer Absatz zu wünschen. Lassen Sie mich Schluß machen, verehrte Festversammlung, mit den schönen Versen, in denen der Begnadete die Lebensadern seines Dichtergemüts als unerhörter Neutöner bloßlegt: „Ein Dichtergcmüt muß Frende und Schmerz, Den Haß und die Liebe durchspüren; Mus; kämpfen und streben mit mutigen Herz, Muß stets seine Welt mit sich führen! Wenn dann auf diesen begnadigten Geist Die Muse sich niedersenket, Dann ist er ein Gott, sein Werk es beweist, Dus ewig dem Weltall er schenket!" Sein Werk es beweist. Es hat sich niedergesenket auf Herrn Dr. James von Bleichröoer, den: es „in herzlicher Verehrung gewidmet" ist. Der Ärmste hat Adolf petrenz- augenscheinlich nichts dagegen tun können. Die „Ehe der modernen Lebewelt" geißelt unser Freund trotzdem mit der Wucht eines zornigen Eiferers:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/603>, abgerufen am 22.07.2024.