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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Die Comenius - Gesellschaft

gelänge, die Gesinnung und den Geist eines Mannes von neuem zu beleben,
der nicht bloß bahnbrechend auf dem Gebiete des modernen Erziehungs¬
wesens, sondern vor allem auch ein Prophet religiöser Duldsamkeit und ein
Apostel des Humanitätsgedankens gewesen war. Es schien uns möglich, daß
der Name dieses großen Mannes die Fahne werden könne, um eine größere Zahl
verwandter Geister in einer Gesellschaft zu sammeln, die die Pflege der Volks¬
erziehung in seinem Geiste sich zur Aufgabe machte.

Die Anfänge waren außerordentlich ermutigend, und die Jahrhundertfeier,
die das erste Werk der vereinigten Freunde war, nahm einen großartigen Verlauf.
Friedrich Wilhelm Dörpfeld, einer der Mitbegründer der Comenius-Gesellschaft,
gab der Stimmung weiter Kreise Ausdruck, als er öffentlich erklärte, er habe
sich in seinem langen Leben an keiner Sache beteiligt, die, falls Wind und Wetter
günstig seien, so wertvolle Früchte zeitigen könne wie die Comenius-Gesellschaft.

Es zeigte sich nun allerdings bald, daß unserem Schiff, das seine Fahrt so
glücklich begonnen hatte, widrige Winde entgegenstanden und daß alle bestehenden
Organisationen verwandter Art das Bedürfnis nach einer neuen Vereinigung
sehr nachdrücklich bestritten. Damit hatten wir selbstverständlich gerechnet, und
es hätte diese Tatsache den weiteren Lauf der Sache wohl nicht wesentlich beein¬
trächtigt, wenn nicht eine fortgesetzte Verschärfung der konfessionellen Gegensätze
und eine damit in Zusammenhang stehende Stärkung radikaler Anschauungen
eingetreten wäre.

Es kam zunächst alles darauf an, daß die neue Gesellschaft sich ihren Platz
an der Seite der verwandten Organisationen erkämpfte. Es gab zahlreiche
freie Volksbildungsgesellschaften wie kirchliche Vereinigungen, die der Überzeugung
waren, daß die vorhandenen Bedürfnisse durch sie ausreichend befriedigt würden
und daß ein neues Unternehmen lediglich Verwirrung stiften, nachteiligen Wett¬
bewerb wachrufen und die Einnahmen der bestehenden Verbände beeinträchtigen
könne. Man warnte die Öffentlichkeit, insbesondere auch die Regierungen vor
einer Sache, die nicht erprobt sei, und angesehene Vertreter der älteren Organi¬
sationen traten an uns mit dem Vorschlag heran, daß wir uns ihnen in geeigneter
Weise, sei es als"kirchlicheHilfsgesellschaft", sei es alsProvinzialverband, angliedern
möchten.

Diese Anregungen gingen von der Annahme aus, daß die neue Gesellschaft
sich die gleichen Aufgaben gestellt habe, welche die vorhandenen befriedigten. Diese
Voraussetzung war aber nicht zutreffend: unsere Ziele waren neue, und für diese
Ziele bedürfte es, wenn sie erreicht werden sollten, einer neuen Organisation.
Selbst aus die Gefahr des Verzichts auf die Vorteile, die man ihr durch die
Angliederung an die älteren Verbände in Aussicht stellte, mußte sie, wenn sie
zum Ziele kommen wollte, selbständige Wege wandeln.

Was war nun dieses Neue? Die bestehenden Organisationen waren begründet,
um die Bildung des Volkes zu fördern, gleichviel ob dies nach den Methoden
der kirchlichen Jünglingsvereinc oder der freien Bildungsarbeit der von


Die Comenius - Gesellschaft

gelänge, die Gesinnung und den Geist eines Mannes von neuem zu beleben,
der nicht bloß bahnbrechend auf dem Gebiete des modernen Erziehungs¬
wesens, sondern vor allem auch ein Prophet religiöser Duldsamkeit und ein
Apostel des Humanitätsgedankens gewesen war. Es schien uns möglich, daß
der Name dieses großen Mannes die Fahne werden könne, um eine größere Zahl
verwandter Geister in einer Gesellschaft zu sammeln, die die Pflege der Volks¬
erziehung in seinem Geiste sich zur Aufgabe machte.

Die Anfänge waren außerordentlich ermutigend, und die Jahrhundertfeier,
die das erste Werk der vereinigten Freunde war, nahm einen großartigen Verlauf.
Friedrich Wilhelm Dörpfeld, einer der Mitbegründer der Comenius-Gesellschaft,
gab der Stimmung weiter Kreise Ausdruck, als er öffentlich erklärte, er habe
sich in seinem langen Leben an keiner Sache beteiligt, die, falls Wind und Wetter
günstig seien, so wertvolle Früchte zeitigen könne wie die Comenius-Gesellschaft.

Es zeigte sich nun allerdings bald, daß unserem Schiff, das seine Fahrt so
glücklich begonnen hatte, widrige Winde entgegenstanden und daß alle bestehenden
Organisationen verwandter Art das Bedürfnis nach einer neuen Vereinigung
sehr nachdrücklich bestritten. Damit hatten wir selbstverständlich gerechnet, und
es hätte diese Tatsache den weiteren Lauf der Sache wohl nicht wesentlich beein¬
trächtigt, wenn nicht eine fortgesetzte Verschärfung der konfessionellen Gegensätze
und eine damit in Zusammenhang stehende Stärkung radikaler Anschauungen
eingetreten wäre.

Es kam zunächst alles darauf an, daß die neue Gesellschaft sich ihren Platz
an der Seite der verwandten Organisationen erkämpfte. Es gab zahlreiche
freie Volksbildungsgesellschaften wie kirchliche Vereinigungen, die der Überzeugung
waren, daß die vorhandenen Bedürfnisse durch sie ausreichend befriedigt würden
und daß ein neues Unternehmen lediglich Verwirrung stiften, nachteiligen Wett¬
bewerb wachrufen und die Einnahmen der bestehenden Verbände beeinträchtigen
könne. Man warnte die Öffentlichkeit, insbesondere auch die Regierungen vor
einer Sache, die nicht erprobt sei, und angesehene Vertreter der älteren Organi¬
sationen traten an uns mit dem Vorschlag heran, daß wir uns ihnen in geeigneter
Weise, sei es als„kirchlicheHilfsgesellschaft", sei es alsProvinzialverband, angliedern
möchten.

Diese Anregungen gingen von der Annahme aus, daß die neue Gesellschaft
sich die gleichen Aufgaben gestellt habe, welche die vorhandenen befriedigten. Diese
Voraussetzung war aber nicht zutreffend: unsere Ziele waren neue, und für diese
Ziele bedürfte es, wenn sie erreicht werden sollten, einer neuen Organisation.
Selbst aus die Gefahr des Verzichts auf die Vorteile, die man ihr durch die
Angliederung an die älteren Verbände in Aussicht stellte, mußte sie, wenn sie
zum Ziele kommen wollte, selbständige Wege wandeln.

Was war nun dieses Neue? Die bestehenden Organisationen waren begründet,
um die Bildung des Volkes zu fördern, gleichviel ob dies nach den Methoden
der kirchlichen Jünglingsvereinc oder der freien Bildungsarbeit der von


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[0572] Die Comenius - Gesellschaft gelänge, die Gesinnung und den Geist eines Mannes von neuem zu beleben, der nicht bloß bahnbrechend auf dem Gebiete des modernen Erziehungs¬ wesens, sondern vor allem auch ein Prophet religiöser Duldsamkeit und ein Apostel des Humanitätsgedankens gewesen war. Es schien uns möglich, daß der Name dieses großen Mannes die Fahne werden könne, um eine größere Zahl verwandter Geister in einer Gesellschaft zu sammeln, die die Pflege der Volks¬ erziehung in seinem Geiste sich zur Aufgabe machte. Die Anfänge waren außerordentlich ermutigend, und die Jahrhundertfeier, die das erste Werk der vereinigten Freunde war, nahm einen großartigen Verlauf. Friedrich Wilhelm Dörpfeld, einer der Mitbegründer der Comenius-Gesellschaft, gab der Stimmung weiter Kreise Ausdruck, als er öffentlich erklärte, er habe sich in seinem langen Leben an keiner Sache beteiligt, die, falls Wind und Wetter günstig seien, so wertvolle Früchte zeitigen könne wie die Comenius-Gesellschaft. Es zeigte sich nun allerdings bald, daß unserem Schiff, das seine Fahrt so glücklich begonnen hatte, widrige Winde entgegenstanden und daß alle bestehenden Organisationen verwandter Art das Bedürfnis nach einer neuen Vereinigung sehr nachdrücklich bestritten. Damit hatten wir selbstverständlich gerechnet, und es hätte diese Tatsache den weiteren Lauf der Sache wohl nicht wesentlich beein¬ trächtigt, wenn nicht eine fortgesetzte Verschärfung der konfessionellen Gegensätze und eine damit in Zusammenhang stehende Stärkung radikaler Anschauungen eingetreten wäre. Es kam zunächst alles darauf an, daß die neue Gesellschaft sich ihren Platz an der Seite der verwandten Organisationen erkämpfte. Es gab zahlreiche freie Volksbildungsgesellschaften wie kirchliche Vereinigungen, die der Überzeugung waren, daß die vorhandenen Bedürfnisse durch sie ausreichend befriedigt würden und daß ein neues Unternehmen lediglich Verwirrung stiften, nachteiligen Wett¬ bewerb wachrufen und die Einnahmen der bestehenden Verbände beeinträchtigen könne. Man warnte die Öffentlichkeit, insbesondere auch die Regierungen vor einer Sache, die nicht erprobt sei, und angesehene Vertreter der älteren Organi¬ sationen traten an uns mit dem Vorschlag heran, daß wir uns ihnen in geeigneter Weise, sei es als„kirchlicheHilfsgesellschaft", sei es alsProvinzialverband, angliedern möchten. Diese Anregungen gingen von der Annahme aus, daß die neue Gesellschaft sich die gleichen Aufgaben gestellt habe, welche die vorhandenen befriedigten. Diese Voraussetzung war aber nicht zutreffend: unsere Ziele waren neue, und für diese Ziele bedürfte es, wenn sie erreicht werden sollten, einer neuen Organisation. Selbst aus die Gefahr des Verzichts auf die Vorteile, die man ihr durch die Angliederung an die älteren Verbände in Aussicht stellte, mußte sie, wenn sie zum Ziele kommen wollte, selbständige Wege wandeln. Was war nun dieses Neue? Die bestehenden Organisationen waren begründet, um die Bildung des Volkes zu fördern, gleichviel ob dies nach den Methoden der kirchlichen Jünglingsvereinc oder der freien Bildungsarbeit der von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/572>, abgerufen am 22.07.2024.