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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Graf Julius Andrassy

erste Mann des kaiserlichen Vertrauens, auf Österreichs auswärtige Politik im
Jahre 1870 übte. Was ja in der Hauptsache schon bekannt ist und worüber
so manches geschrieben wurde, das führt Wertheimer mit gewohnter, auch hier
meist auf ungedruckten Quellen ruhender Gründlichkeit aus, das hebt er in das
Gebiet des geschichtlich Sicheren: daß Beust zwischen 1866 und 1870, von einer
mächtigen Hof- und Militärpartei gestützt, getragen wohl auch von den stillen
Wünschen der Krone, eine Revanche für Königgrätz plante, daß er auf ein
Bündnis Österreichs mit Frankreich und Italien gegen Preußen hinarbeitete,
daß er, als der deutsch-französische Krieg ausbrach, nur auf eine günstige
Gelegenheit zum Eintreten für Frankreich wartete, daß es endlich Andrässys
Verdienst ist, wenn Österreich damals neutral blieb, wenn es sein Schicksal nicht
an das Frankreichs kettete und wenn es nicht in die Lage kam, an der Seite
von Deutschlands Feinden gegen Deutschland zu kämpfen.

Hatte sich der ungarische Premier in dieser internationalen Konstellation
als mächtiger erwiesen denn der Reichskanzler, so zeigte er bald durch die Tat,
daß er auch die inneren Angelegenheiten der anderen Reichshälfte nicht als sür
Ungarn gleichgültig betrachte. Andrüfsv war es, der durch seine Ratschläge am
allerhöchsten Orte, diesmal im Einklang mit Beust, dem föderalistischen Experiment
Hohenwart ein Ende machte, der den Kaiser überzeugte, daß ein Österreich, in
dem Böhmen dieselbe Stellung eingeräumt wäre wie Ungarn, aufhören müsse,
eine Großmacht zu sein.

Aber kurz nach Hohenwart fiel Beust selbst. Im ungarischen Premier hatte
der Reichskanzler schon lange seinen gefährlichen Rivalen gewittert. Es mag
richtig sein, daß Andrüssy, wie Wertheimer sagt, nicht das geringste tat. um
Beust zu stürzen. Aber zumal in der deutschen Sache hatte sich der Ungar als
der voraussichtigcre Staatsmann erwiesen. Und wenn Franz Joseph sich nach
jeder Richtung hin in Beust getäuscht sah, so fühlte sich Andr^ssy wohl kaum
berufen, dieses Urteil zu korrigieren. Am 14. November 1871 wurde er zum
gemeinsamem Minister des Äußern ernannt.

Damit schließt der erste Band von Wertheimers Biographie. Der zweite will
uns den Staatsmann zeigen, der Österreich nach tiefem Falle wieder auf eine Höhe
brachte, die es seit Metternichs Tagen nicht eingenommen, -- Andrüssy, den Mit¬
schöpfer des österreichisch-deutschen Bündnisses, den richtunggebenden Leiter seiner
orientalischen Politik. Gewiß ist der Lebensweg des in eM^le gehängten Rebellen
von 1848 einer der merkwürdigsten in der neueren Geschichte; gewiß hat Andres"
mit seinem drastischen Witze dies selber am besten gekennzeichnet, als er auf dem
Berliner Kongresse einem sein goldenes Vließ bewundernden Diplomaten sagte:
"Aber mein Bild hat einmal ein ganz anderes Kollier um den Hals getragen."




Graf Julius Andrassy

erste Mann des kaiserlichen Vertrauens, auf Österreichs auswärtige Politik im
Jahre 1870 übte. Was ja in der Hauptsache schon bekannt ist und worüber
so manches geschrieben wurde, das führt Wertheimer mit gewohnter, auch hier
meist auf ungedruckten Quellen ruhender Gründlichkeit aus, das hebt er in das
Gebiet des geschichtlich Sicheren: daß Beust zwischen 1866 und 1870, von einer
mächtigen Hof- und Militärpartei gestützt, getragen wohl auch von den stillen
Wünschen der Krone, eine Revanche für Königgrätz plante, daß er auf ein
Bündnis Österreichs mit Frankreich und Italien gegen Preußen hinarbeitete,
daß er, als der deutsch-französische Krieg ausbrach, nur auf eine günstige
Gelegenheit zum Eintreten für Frankreich wartete, daß es endlich Andrässys
Verdienst ist, wenn Österreich damals neutral blieb, wenn es sein Schicksal nicht
an das Frankreichs kettete und wenn es nicht in die Lage kam, an der Seite
von Deutschlands Feinden gegen Deutschland zu kämpfen.

Hatte sich der ungarische Premier in dieser internationalen Konstellation
als mächtiger erwiesen denn der Reichskanzler, so zeigte er bald durch die Tat,
daß er auch die inneren Angelegenheiten der anderen Reichshälfte nicht als sür
Ungarn gleichgültig betrachte. Andrüfsv war es, der durch seine Ratschläge am
allerhöchsten Orte, diesmal im Einklang mit Beust, dem föderalistischen Experiment
Hohenwart ein Ende machte, der den Kaiser überzeugte, daß ein Österreich, in
dem Böhmen dieselbe Stellung eingeräumt wäre wie Ungarn, aufhören müsse,
eine Großmacht zu sein.

Aber kurz nach Hohenwart fiel Beust selbst. Im ungarischen Premier hatte
der Reichskanzler schon lange seinen gefährlichen Rivalen gewittert. Es mag
richtig sein, daß Andrüssy, wie Wertheimer sagt, nicht das geringste tat. um
Beust zu stürzen. Aber zumal in der deutschen Sache hatte sich der Ungar als
der voraussichtigcre Staatsmann erwiesen. Und wenn Franz Joseph sich nach
jeder Richtung hin in Beust getäuscht sah, so fühlte sich Andr^ssy wohl kaum
berufen, dieses Urteil zu korrigieren. Am 14. November 1871 wurde er zum
gemeinsamem Minister des Äußern ernannt.

Damit schließt der erste Band von Wertheimers Biographie. Der zweite will
uns den Staatsmann zeigen, der Österreich nach tiefem Falle wieder auf eine Höhe
brachte, die es seit Metternichs Tagen nicht eingenommen, — Andrüssy, den Mit¬
schöpfer des österreichisch-deutschen Bündnisses, den richtunggebenden Leiter seiner
orientalischen Politik. Gewiß ist der Lebensweg des in eM^le gehängten Rebellen
von 1848 einer der merkwürdigsten in der neueren Geschichte; gewiß hat Andres»
mit seinem drastischen Witze dies selber am besten gekennzeichnet, als er auf dem
Berliner Kongresse einem sein goldenes Vließ bewundernden Diplomaten sagte:
„Aber mein Bild hat einmal ein ganz anderes Kollier um den Hals getragen."




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[0563] Graf Julius Andrassy erste Mann des kaiserlichen Vertrauens, auf Österreichs auswärtige Politik im Jahre 1870 übte. Was ja in der Hauptsache schon bekannt ist und worüber so manches geschrieben wurde, das führt Wertheimer mit gewohnter, auch hier meist auf ungedruckten Quellen ruhender Gründlichkeit aus, das hebt er in das Gebiet des geschichtlich Sicheren: daß Beust zwischen 1866 und 1870, von einer mächtigen Hof- und Militärpartei gestützt, getragen wohl auch von den stillen Wünschen der Krone, eine Revanche für Königgrätz plante, daß er auf ein Bündnis Österreichs mit Frankreich und Italien gegen Preußen hinarbeitete, daß er, als der deutsch-französische Krieg ausbrach, nur auf eine günstige Gelegenheit zum Eintreten für Frankreich wartete, daß es endlich Andrässys Verdienst ist, wenn Österreich damals neutral blieb, wenn es sein Schicksal nicht an das Frankreichs kettete und wenn es nicht in die Lage kam, an der Seite von Deutschlands Feinden gegen Deutschland zu kämpfen. Hatte sich der ungarische Premier in dieser internationalen Konstellation als mächtiger erwiesen denn der Reichskanzler, so zeigte er bald durch die Tat, daß er auch die inneren Angelegenheiten der anderen Reichshälfte nicht als sür Ungarn gleichgültig betrachte. Andrüfsv war es, der durch seine Ratschläge am allerhöchsten Orte, diesmal im Einklang mit Beust, dem föderalistischen Experiment Hohenwart ein Ende machte, der den Kaiser überzeugte, daß ein Österreich, in dem Böhmen dieselbe Stellung eingeräumt wäre wie Ungarn, aufhören müsse, eine Großmacht zu sein. Aber kurz nach Hohenwart fiel Beust selbst. Im ungarischen Premier hatte der Reichskanzler schon lange seinen gefährlichen Rivalen gewittert. Es mag richtig sein, daß Andrüssy, wie Wertheimer sagt, nicht das geringste tat. um Beust zu stürzen. Aber zumal in der deutschen Sache hatte sich der Ungar als der voraussichtigcre Staatsmann erwiesen. Und wenn Franz Joseph sich nach jeder Richtung hin in Beust getäuscht sah, so fühlte sich Andr^ssy wohl kaum berufen, dieses Urteil zu korrigieren. Am 14. November 1871 wurde er zum gemeinsamem Minister des Äußern ernannt. Damit schließt der erste Band von Wertheimers Biographie. Der zweite will uns den Staatsmann zeigen, der Österreich nach tiefem Falle wieder auf eine Höhe brachte, die es seit Metternichs Tagen nicht eingenommen, — Andrüssy, den Mit¬ schöpfer des österreichisch-deutschen Bündnisses, den richtunggebenden Leiter seiner orientalischen Politik. Gewiß ist der Lebensweg des in eM^le gehängten Rebellen von 1848 einer der merkwürdigsten in der neueren Geschichte; gewiß hat Andres» mit seinem drastischen Witze dies selber am besten gekennzeichnet, als er auf dem Berliner Kongresse einem sein goldenes Vließ bewundernden Diplomaten sagte: „Aber mein Bild hat einmal ein ganz anderes Kollier um den Hals getragen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/563>, abgerufen am 22.07.2024.