Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Graf Julius Andrüssy

einmal auf einen toten Punkt. Den entscheidenden Ruck nach vorwärts gab
dem Ausgleiche (der Name kommt nun immer häufiger vor) das große Unglück
von 1866. Und in diesem Belange bringt Wertheimers Buch vielfach Neues
und Interessantes bei. Wenige Tage nach Königgrätz reiste die Kaiserin nach
Pest, offenbar um dort die Stimmung zu Sortieren. In der Tat ist ja die
schöne, liebenswürdige und so wenig glückliche Elisabeth eine mächtige Für¬
sprecherin Ungarns am Throne gewesen und, ohne sich je in die eigentliche
Politik zu mischen, vielleicht die geschickteste Vermittlerin des Ausgleichs geworden").
Vierzehn Tage nach Königgrätz stieg in dem schlichten Hasengasthofe zu Meldung
bei Wien der Advokat Ferenczy ab und fuhr dann mit einem Einspänner, auf
dessen Bock sein kleiner Koffer untergebracht war, in die Hofburg, um sofort
vom Kaiser empfangen zu werden. Der Advokat Ferenczy hieß in Wirklichkeit
Franz DeÄ. Und Franz Joseph war erfreut, daß der erste ungarische Patriot
nun in den Tagen schwersten Habsburgischen Unglücks für sein Ungarn nicht
mehr verlangte als in den Tagen des Friedens. Mit jenerj bezwingender
Beredsamkeit, mit jener ruhigen eindringlichen Kraft, die ihm eigen war, stellte
Denk dem Monarchen die Notwendigkeit dar, mit dein herrschenden Regierungs-
system zu brechen, was aber erst nach geschlossenem Frieden geschehen sollte.
In alter Selbstlosigkeit lehnte er die Bildung eines ungarischen Ministeriums
für sich ab und verwies auf Andrussn. Unmittelbar darauf erschien dieser selbst
infolge kaiserlicher Berufung in der Hofburg, ohne zu ahnen, daß knapp vor
ihni der Führer der Nation im Kabinett Franz Josephs geweilt habe. Ohne
Verabredung sagte Andrüssy dem Kaiser genau dasselbe', was Denk gesagt.
"Von diesem Augenblicke beginnt die eigentliche historische Rolle Andrüssys in
der Geschichte seines Vaterlandes."

Der Raum gestattet nicht, auch nur in Umrissen zu skizzieren, was zwischen
dieser denkwürdigen Audienz und dem Zeitpunkte liegt, da der Ausgleich mit
Ungarn zur Tat geworden ist. Wertheimer schildert, ausführlicher wohl als
es bisher jemals geschah, diese Entwicklung, die auf den Leser bald den Ein¬
druck des spannenden, bald den des Ermüdenden macht. Da gab es Hinder¬
nisse, Differenzen sachlicher und Mißhelligkeiten persönlicher Art, ja scheinbar
völlige Stillstände, die einen Politiker, der weder Andrassys Elastizität noch
Death eiserne Beharrlichkeit besaß, wohl zum Verzagen und zur Verzweiflung
gebracht hätten. Ein wichtiges Expediens war, daß Franz Joseph den
Ausgleich mit Ungarn wollte und daß er mit seinen Zugeständnissen so weit
ging, als ihm nur irgend mit der Großmachtstellung der Monarchie, vor allem
aber mit der Einheit des Heeres vereinbar schien. Man gewinnt aber auch
den Eindruck, daß Andrassy gerade dadurch den Willen des Monarchen in
seinem Sinne zu leiten verstand, daß er, ohne von den Forderungen Ungarns



") "Sehen Sie," hatte sie auf einem Hofball zu AndrÄssy gesagt, "wenn die Angelegen¬
heiten des Kaisers in Italien schlecht gehen, so schmerzt eS mich. Wenn das gleiche in Ungarn
der Fall ist, tötet es mich."
Graf Julius Andrüssy

einmal auf einen toten Punkt. Den entscheidenden Ruck nach vorwärts gab
dem Ausgleiche (der Name kommt nun immer häufiger vor) das große Unglück
von 1866. Und in diesem Belange bringt Wertheimers Buch vielfach Neues
und Interessantes bei. Wenige Tage nach Königgrätz reiste die Kaiserin nach
Pest, offenbar um dort die Stimmung zu Sortieren. In der Tat ist ja die
schöne, liebenswürdige und so wenig glückliche Elisabeth eine mächtige Für¬
sprecherin Ungarns am Throne gewesen und, ohne sich je in die eigentliche
Politik zu mischen, vielleicht die geschickteste Vermittlerin des Ausgleichs geworden").
Vierzehn Tage nach Königgrätz stieg in dem schlichten Hasengasthofe zu Meldung
bei Wien der Advokat Ferenczy ab und fuhr dann mit einem Einspänner, auf
dessen Bock sein kleiner Koffer untergebracht war, in die Hofburg, um sofort
vom Kaiser empfangen zu werden. Der Advokat Ferenczy hieß in Wirklichkeit
Franz DeÄ. Und Franz Joseph war erfreut, daß der erste ungarische Patriot
nun in den Tagen schwersten Habsburgischen Unglücks für sein Ungarn nicht
mehr verlangte als in den Tagen des Friedens. Mit jenerj bezwingender
Beredsamkeit, mit jener ruhigen eindringlichen Kraft, die ihm eigen war, stellte
Denk dem Monarchen die Notwendigkeit dar, mit dein herrschenden Regierungs-
system zu brechen, was aber erst nach geschlossenem Frieden geschehen sollte.
In alter Selbstlosigkeit lehnte er die Bildung eines ungarischen Ministeriums
für sich ab und verwies auf Andrussn. Unmittelbar darauf erschien dieser selbst
infolge kaiserlicher Berufung in der Hofburg, ohne zu ahnen, daß knapp vor
ihni der Führer der Nation im Kabinett Franz Josephs geweilt habe. Ohne
Verabredung sagte Andrüssy dem Kaiser genau dasselbe', was Denk gesagt.
„Von diesem Augenblicke beginnt die eigentliche historische Rolle Andrüssys in
der Geschichte seines Vaterlandes."

Der Raum gestattet nicht, auch nur in Umrissen zu skizzieren, was zwischen
dieser denkwürdigen Audienz und dem Zeitpunkte liegt, da der Ausgleich mit
Ungarn zur Tat geworden ist. Wertheimer schildert, ausführlicher wohl als
es bisher jemals geschah, diese Entwicklung, die auf den Leser bald den Ein¬
druck des spannenden, bald den des Ermüdenden macht. Da gab es Hinder¬
nisse, Differenzen sachlicher und Mißhelligkeiten persönlicher Art, ja scheinbar
völlige Stillstände, die einen Politiker, der weder Andrassys Elastizität noch
Death eiserne Beharrlichkeit besaß, wohl zum Verzagen und zur Verzweiflung
gebracht hätten. Ein wichtiges Expediens war, daß Franz Joseph den
Ausgleich mit Ungarn wollte und daß er mit seinen Zugeständnissen so weit
ging, als ihm nur irgend mit der Großmachtstellung der Monarchie, vor allem
aber mit der Einheit des Heeres vereinbar schien. Man gewinnt aber auch
den Eindruck, daß Andrassy gerade dadurch den Willen des Monarchen in
seinem Sinne zu leiten verstand, daß er, ohne von den Forderungen Ungarns



") „Sehen Sie," hatte sie auf einem Hofball zu AndrÄssy gesagt, „wenn die Angelegen¬
heiten des Kaisers in Italien schlecht gehen, so schmerzt eS mich. Wenn das gleiche in Ungarn
der Fall ist, tötet es mich."
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0561" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317512"/>
          <fw type="header" place="top"> Graf Julius Andrüssy</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2699" prev="#ID_2698"> einmal auf einen toten Punkt. Den entscheidenden Ruck nach vorwärts gab<lb/>
dem Ausgleiche (der Name kommt nun immer häufiger vor) das große Unglück<lb/>
von 1866. Und in diesem Belange bringt Wertheimers Buch vielfach Neues<lb/>
und Interessantes bei. Wenige Tage nach Königgrätz reiste die Kaiserin nach<lb/>
Pest, offenbar um dort die Stimmung zu Sortieren. In der Tat ist ja die<lb/>
schöne, liebenswürdige und so wenig glückliche Elisabeth eine mächtige Für¬<lb/>
sprecherin Ungarns am Throne gewesen und, ohne sich je in die eigentliche<lb/>
Politik zu mischen, vielleicht die geschickteste Vermittlerin des Ausgleichs geworden").<lb/>
Vierzehn Tage nach Königgrätz stieg in dem schlichten Hasengasthofe zu Meldung<lb/>
bei Wien der Advokat Ferenczy ab und fuhr dann mit einem Einspänner, auf<lb/>
dessen Bock sein kleiner Koffer untergebracht war, in die Hofburg, um sofort<lb/>
vom Kaiser empfangen zu werden. Der Advokat Ferenczy hieß in Wirklichkeit<lb/>
Franz DeÄ. Und Franz Joseph war erfreut, daß der erste ungarische Patriot<lb/>
nun in den Tagen schwersten Habsburgischen Unglücks für sein Ungarn nicht<lb/>
mehr verlangte als in den Tagen des Friedens. Mit jenerj bezwingender<lb/>
Beredsamkeit, mit jener ruhigen eindringlichen Kraft, die ihm eigen war, stellte<lb/>
Denk dem Monarchen die Notwendigkeit dar, mit dein herrschenden Regierungs-<lb/>
system zu brechen, was aber erst nach geschlossenem Frieden geschehen sollte.<lb/>
In alter Selbstlosigkeit lehnte er die Bildung eines ungarischen Ministeriums<lb/>
für sich ab und verwies auf Andrussn. Unmittelbar darauf erschien dieser selbst<lb/>
infolge kaiserlicher Berufung in der Hofburg, ohne zu ahnen, daß knapp vor<lb/>
ihni der Führer der Nation im Kabinett Franz Josephs geweilt habe. Ohne<lb/>
Verabredung sagte Andrüssy dem Kaiser genau dasselbe', was Denk gesagt.<lb/>
&#x201E;Von diesem Augenblicke beginnt die eigentliche historische Rolle Andrüssys in<lb/>
der Geschichte seines Vaterlandes."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2700" next="#ID_2701"> Der Raum gestattet nicht, auch nur in Umrissen zu skizzieren, was zwischen<lb/>
dieser denkwürdigen Audienz und dem Zeitpunkte liegt, da der Ausgleich mit<lb/>
Ungarn zur Tat geworden ist. Wertheimer schildert, ausführlicher wohl als<lb/>
es bisher jemals geschah, diese Entwicklung, die auf den Leser bald den Ein¬<lb/>
druck des spannenden, bald den des Ermüdenden macht. Da gab es Hinder¬<lb/>
nisse, Differenzen sachlicher und Mißhelligkeiten persönlicher Art, ja scheinbar<lb/>
völlige Stillstände, die einen Politiker, der weder Andrassys Elastizität noch<lb/>
Death eiserne Beharrlichkeit besaß, wohl zum Verzagen und zur Verzweiflung<lb/>
gebracht hätten. Ein wichtiges Expediens war, daß Franz Joseph den<lb/>
Ausgleich mit Ungarn wollte und daß er mit seinen Zugeständnissen so weit<lb/>
ging, als ihm nur irgend mit der Großmachtstellung der Monarchie, vor allem<lb/>
aber mit der Einheit des Heeres vereinbar schien. Man gewinnt aber auch<lb/>
den Eindruck, daß Andrassy gerade dadurch den Willen des Monarchen in<lb/>
seinem Sinne zu leiten verstand, daß er, ohne von den Forderungen Ungarns</p><lb/>
          <note xml:id="FID_36" place="foot"> ") &#x201E;Sehen Sie," hatte sie auf einem Hofball zu AndrÄssy gesagt, &#x201E;wenn die Angelegen¬<lb/>
heiten des Kaisers in Italien schlecht gehen, so schmerzt eS mich. Wenn das gleiche in Ungarn<lb/>
der Fall ist, tötet es mich."</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0561] Graf Julius Andrüssy einmal auf einen toten Punkt. Den entscheidenden Ruck nach vorwärts gab dem Ausgleiche (der Name kommt nun immer häufiger vor) das große Unglück von 1866. Und in diesem Belange bringt Wertheimers Buch vielfach Neues und Interessantes bei. Wenige Tage nach Königgrätz reiste die Kaiserin nach Pest, offenbar um dort die Stimmung zu Sortieren. In der Tat ist ja die schöne, liebenswürdige und so wenig glückliche Elisabeth eine mächtige Für¬ sprecherin Ungarns am Throne gewesen und, ohne sich je in die eigentliche Politik zu mischen, vielleicht die geschickteste Vermittlerin des Ausgleichs geworden"). Vierzehn Tage nach Königgrätz stieg in dem schlichten Hasengasthofe zu Meldung bei Wien der Advokat Ferenczy ab und fuhr dann mit einem Einspänner, auf dessen Bock sein kleiner Koffer untergebracht war, in die Hofburg, um sofort vom Kaiser empfangen zu werden. Der Advokat Ferenczy hieß in Wirklichkeit Franz DeÄ. Und Franz Joseph war erfreut, daß der erste ungarische Patriot nun in den Tagen schwersten Habsburgischen Unglücks für sein Ungarn nicht mehr verlangte als in den Tagen des Friedens. Mit jenerj bezwingender Beredsamkeit, mit jener ruhigen eindringlichen Kraft, die ihm eigen war, stellte Denk dem Monarchen die Notwendigkeit dar, mit dein herrschenden Regierungs- system zu brechen, was aber erst nach geschlossenem Frieden geschehen sollte. In alter Selbstlosigkeit lehnte er die Bildung eines ungarischen Ministeriums für sich ab und verwies auf Andrussn. Unmittelbar darauf erschien dieser selbst infolge kaiserlicher Berufung in der Hofburg, ohne zu ahnen, daß knapp vor ihni der Führer der Nation im Kabinett Franz Josephs geweilt habe. Ohne Verabredung sagte Andrüssy dem Kaiser genau dasselbe', was Denk gesagt. „Von diesem Augenblicke beginnt die eigentliche historische Rolle Andrüssys in der Geschichte seines Vaterlandes." Der Raum gestattet nicht, auch nur in Umrissen zu skizzieren, was zwischen dieser denkwürdigen Audienz und dem Zeitpunkte liegt, da der Ausgleich mit Ungarn zur Tat geworden ist. Wertheimer schildert, ausführlicher wohl als es bisher jemals geschah, diese Entwicklung, die auf den Leser bald den Ein¬ druck des spannenden, bald den des Ermüdenden macht. Da gab es Hinder¬ nisse, Differenzen sachlicher und Mißhelligkeiten persönlicher Art, ja scheinbar völlige Stillstände, die einen Politiker, der weder Andrassys Elastizität noch Death eiserne Beharrlichkeit besaß, wohl zum Verzagen und zur Verzweiflung gebracht hätten. Ein wichtiges Expediens war, daß Franz Joseph den Ausgleich mit Ungarn wollte und daß er mit seinen Zugeständnissen so weit ging, als ihm nur irgend mit der Großmachtstellung der Monarchie, vor allem aber mit der Einheit des Heeres vereinbar schien. Man gewinnt aber auch den Eindruck, daß Andrassy gerade dadurch den Willen des Monarchen in seinem Sinne zu leiten verstand, daß er, ohne von den Forderungen Ungarns ") „Sehen Sie," hatte sie auf einem Hofball zu AndrÄssy gesagt, „wenn die Angelegen¬ heiten des Kaisers in Italien schlecht gehen, so schmerzt eS mich. Wenn das gleiche in Ungarn der Fall ist, tötet es mich."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/561
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/561>, abgerufen am 23.07.2024.