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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Graf Julius Andrassy

und dem von mancher Seite die Hauptschuld für Österreichs unglückliche deutsche
Politik zugeschrieben wird. Seine jede Konzession abweisende Politik und seine
nichts weniger als liebenswürdige Persönlichkeit mußten der Krone als das
Haupthindernis einer Lösung der ungarischen Frage erscheinen, -- einer Lösung,
die angesichts des drohenden Zerwürfnisses mit Preußen immer dringlicher
wurde. Schmerling fiel am 27. Juli 1865. Ungarn jubelte.

Dem Experiment Schmerling folgte das Experiment Belcredi. Sein
berüchtigtes Septembermanifest von 1865, das die Februarverfassung und den
österreichischen Reichsrat Werte, wird von Wertheimer wesentlich aus dem
ungarischen Gesichtspunkte erklärt. Man habe es für unklug gehalten, gleich¬
zeitig mit dem für Dezember wieder einberufenen ungarischen Reichstag den
österreichischen Reichsrat mit seinem zentralistischen Gepräge arbeiten zu lassen.
Dieser Zusammenhang bestand gewiß. Daneben aber war es dem urburecm-
kratischen und föderalistischen Belcredi und seinem feudalen "Dreigrasenministerium"
eine Herzenssache, Österreich wieder in die Reihe der absolut regierten Staaten
zurückzudrängen. Und der Monarch selber hatte damals für das konstitutionelle
Regime zum mindesten noch keine Vorliebe.

In Ungarn verlangte indessen der Reichstag nach wie vor immer dasselbe:
Herstellung der Verfassung von 1848, die Ernennung eines verantwortlichen
ungarischen Ministeriums, das heißt also, den selbständigen ungarischen Staat.
Immer mehr tritt nun AndrÄssn, DeKks ausgesprochener Liebling, in den
Vordergrund. Die außerordentlich feine Klugheit des Grafen läßt sich in all
dem Hin und Her der Verhandlungen oft genug erkennen, so wenn er die
Person des Monarchen stets von der Regierung getrennt wissen will, wenn er
dem Kaiser unentwegt Vertrauen, Liebe, Verehrung ausdrückt und alles Schlimme
nur auf die Schuld der schlechten Ratgeber wälzt. "Nur durch deine Persön¬
lichkeit allein," sagte ihm Gorovö, "kann es erreicht werden, daß Deal und
unsere Partei beim Kaiser akzeptabel seien." Mit Spannung sahen darum die
ungarischen Politiker dem Hofball in Pest (25. Februar 1866) entgegen. Wird
der Kaiser beim Cercle AndrÄssy, den Rebellen von einst, den Genossen Kossuths,
ignorieren? Aber Franz Joseph ging, sobald er nur des Grafen ansichtig wurde,
auf ihn zu und sprach ihn gnädigst an. "Haben Majestät," fragte Andr^ssy
entgegen aller Hofsitte den Souverän, "DeÄs Rede gelesen?" Der Kaiser ant¬
wortete, daß zu einer Annäherung darin Türlein seien, aber nur Türlein.
"Tore, Majestät!" entgegnete AndrÄssy rasch und mit Feuer. -- Das war freilich
ein Ton, wie ihn der Kaiser in Österreich daheim nicht gewohnt war. Es kann
aber gar nicht zweifelhaft sein, daß gerade dieser männliche, im besten Sinne
adelige Freimut des Ungars dem Kaiser gefiel. Und dieses Hofballgespräch
mag man als die erste leise Einleitung betrachten zu der ganz einzig dastehenden
Vertrauensrolle, die AndrÄssy später am Throne spielen sollte.

Die Verhandlungen mit dem ungarischen Führer, in denen nun wenigstens
auf beiden Seiten etwas guter Wille hervortrat, kamen gleichwohl mehr als


Graf Julius Andrassy

und dem von mancher Seite die Hauptschuld für Österreichs unglückliche deutsche
Politik zugeschrieben wird. Seine jede Konzession abweisende Politik und seine
nichts weniger als liebenswürdige Persönlichkeit mußten der Krone als das
Haupthindernis einer Lösung der ungarischen Frage erscheinen, — einer Lösung,
die angesichts des drohenden Zerwürfnisses mit Preußen immer dringlicher
wurde. Schmerling fiel am 27. Juli 1865. Ungarn jubelte.

Dem Experiment Schmerling folgte das Experiment Belcredi. Sein
berüchtigtes Septembermanifest von 1865, das die Februarverfassung und den
österreichischen Reichsrat Werte, wird von Wertheimer wesentlich aus dem
ungarischen Gesichtspunkte erklärt. Man habe es für unklug gehalten, gleich¬
zeitig mit dem für Dezember wieder einberufenen ungarischen Reichstag den
österreichischen Reichsrat mit seinem zentralistischen Gepräge arbeiten zu lassen.
Dieser Zusammenhang bestand gewiß. Daneben aber war es dem urburecm-
kratischen und föderalistischen Belcredi und seinem feudalen „Dreigrasenministerium"
eine Herzenssache, Österreich wieder in die Reihe der absolut regierten Staaten
zurückzudrängen. Und der Monarch selber hatte damals für das konstitutionelle
Regime zum mindesten noch keine Vorliebe.

In Ungarn verlangte indessen der Reichstag nach wie vor immer dasselbe:
Herstellung der Verfassung von 1848, die Ernennung eines verantwortlichen
ungarischen Ministeriums, das heißt also, den selbständigen ungarischen Staat.
Immer mehr tritt nun AndrÄssn, DeKks ausgesprochener Liebling, in den
Vordergrund. Die außerordentlich feine Klugheit des Grafen läßt sich in all
dem Hin und Her der Verhandlungen oft genug erkennen, so wenn er die
Person des Monarchen stets von der Regierung getrennt wissen will, wenn er
dem Kaiser unentwegt Vertrauen, Liebe, Verehrung ausdrückt und alles Schlimme
nur auf die Schuld der schlechten Ratgeber wälzt. „Nur durch deine Persön¬
lichkeit allein," sagte ihm Gorovö, „kann es erreicht werden, daß Deal und
unsere Partei beim Kaiser akzeptabel seien." Mit Spannung sahen darum die
ungarischen Politiker dem Hofball in Pest (25. Februar 1866) entgegen. Wird
der Kaiser beim Cercle AndrÄssy, den Rebellen von einst, den Genossen Kossuths,
ignorieren? Aber Franz Joseph ging, sobald er nur des Grafen ansichtig wurde,
auf ihn zu und sprach ihn gnädigst an. „Haben Majestät," fragte Andr^ssy
entgegen aller Hofsitte den Souverän, „DeÄs Rede gelesen?" Der Kaiser ant¬
wortete, daß zu einer Annäherung darin Türlein seien, aber nur Türlein.
„Tore, Majestät!" entgegnete AndrÄssy rasch und mit Feuer. — Das war freilich
ein Ton, wie ihn der Kaiser in Österreich daheim nicht gewohnt war. Es kann
aber gar nicht zweifelhaft sein, daß gerade dieser männliche, im besten Sinne
adelige Freimut des Ungars dem Kaiser gefiel. Und dieses Hofballgespräch
mag man als die erste leise Einleitung betrachten zu der ganz einzig dastehenden
Vertrauensrolle, die AndrÄssy später am Throne spielen sollte.

Die Verhandlungen mit dem ungarischen Führer, in denen nun wenigstens
auf beiden Seiten etwas guter Wille hervortrat, kamen gleichwohl mehr als


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/560>, abgerufen am 23.07.2024.