Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Im Flecken

Vier weibliche Wesen -- bei dem matten Licht einer Talgkerze ließ sich eben nur
erkennen, daß es weibliche waren -- beschäftigten sich mit ihrer Toilette. Eine,
die darin noch sehr weit zurück war, kauerte flugs hinter einem der Betten nieder.
Zwei andere drückten sich je in einen Winkel und hielten ein Kleidungsstück zum
Schutze vor sich. Die vierte, die am meisten vorgeschritten war, wenigstens ihre
Vorderseite bereits in anständige Verfassung gebracht hatte, machte eine sehr
gelungene theatralische Verbeugung und sagte, indem sie sich aufrichtete und einen
Schritt zurücktrat:

"Ich bitte zu entschuldigen. Wir haben nicht daran gedacht, daß Sie diesen
Eingang wählen könnten."

"Schadet nichts, Schura", entgegnete Ssurikow. "Vor Onkelchen braucht ihr
euch nicht zu genieren."

"Bitte weiter, in den Saal."

Sie machte mit der Hand eine einladende Bewegung zur entgegengesetzten
Tür, durch die Heller Schein drang, und als sie hindurch waren, zog sie die Tür
hinter ihnen zu.

Der sogenannte Saal strahlte im Licht unzähliger .Kerzen, die an den Wänden
einen Kranz bildeten und bereits jetzt so starke Wärme verbreiteten, daß Botscharow
nach wenigen Minuten zu schwitzen begann. Ssurikow half ihm den Rock aus¬
ziehen.

"Sie sind in Ihrem eigenen Hause, Onkelchen. Machen Sie es sich bequem.
Niemand außer uns wird eingelassen."

Eine Viertelstunde verging. Ssurikow mahnte an der Tür des Schlafzimmers
mehrmals zur Eile. Endlich war es so weit, und die vier Schönheiten traten
ein. In dem kleidsamen Volkskostüm, die mit viel Geschmack angefertigt und
verziert waren, mit den frischen, recht hübschen Gesichtern und den jugendlich
elastischen Körpern konnten alle vier ganz gut für Schönheiten gelten. Ssurikow
stellte sie vor.

"Hier, Onkelchen, Alexandra Feodorowna, die eigentliche Wirtin im Hause."

Es war dieselbe, die die Ankömmlinge aus dem Schlafzimmer in den Saal
gewiesen hatte. Sie machte vor Botscharow wieder eine gelungene Reverenz und
wünschte ihm einen guten Abend.

Der Kaufmann kniff die Augen ein wenig zusammen und lächelte. Er fand
Gefallen an dem Mädchen.

"Guten Abend, guten Abend, schönes Fräulein," sagte er freundlich und
faßte ihre Hand. "Sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen. Bist meine
Mieterin? Freut mich, freut mich. Liebe solche Mieterinnen."

"Sie sind so gut, so nachsichtig gegen uns arme arbeitende Geschöpfe," ant¬
wortete sie.

"Dies, Onkelchen, ist die jüngere Schwester, Jelissaweta Feodorowna," setzte
Ssurikow die Vorstellung fort. "Ich kann sie empfehlen. Ein Fräulein wie Blitz
und Hagel! Man muß vorsichtig mit ihr sein. Ehe man sich dessen versieht, hat
sie einen so gescholten, daß man nicht weiß, wohin man soll."

Sie sah danach aus, die blonde Kleine mit dem schnippischen Naschen und
den kecken Augen, mit dem üppigen Körper und der herausfordernden Haltung.
Sie knickste gewandt und zierlich.


Im Flecken

Vier weibliche Wesen — bei dem matten Licht einer Talgkerze ließ sich eben nur
erkennen, daß es weibliche waren — beschäftigten sich mit ihrer Toilette. Eine,
die darin noch sehr weit zurück war, kauerte flugs hinter einem der Betten nieder.
Zwei andere drückten sich je in einen Winkel und hielten ein Kleidungsstück zum
Schutze vor sich. Die vierte, die am meisten vorgeschritten war, wenigstens ihre
Vorderseite bereits in anständige Verfassung gebracht hatte, machte eine sehr
gelungene theatralische Verbeugung und sagte, indem sie sich aufrichtete und einen
Schritt zurücktrat:

„Ich bitte zu entschuldigen. Wir haben nicht daran gedacht, daß Sie diesen
Eingang wählen könnten."

„Schadet nichts, Schura", entgegnete Ssurikow. „Vor Onkelchen braucht ihr
euch nicht zu genieren."

„Bitte weiter, in den Saal."

Sie machte mit der Hand eine einladende Bewegung zur entgegengesetzten
Tür, durch die Heller Schein drang, und als sie hindurch waren, zog sie die Tür
hinter ihnen zu.

Der sogenannte Saal strahlte im Licht unzähliger .Kerzen, die an den Wänden
einen Kranz bildeten und bereits jetzt so starke Wärme verbreiteten, daß Botscharow
nach wenigen Minuten zu schwitzen begann. Ssurikow half ihm den Rock aus¬
ziehen.

„Sie sind in Ihrem eigenen Hause, Onkelchen. Machen Sie es sich bequem.
Niemand außer uns wird eingelassen."

Eine Viertelstunde verging. Ssurikow mahnte an der Tür des Schlafzimmers
mehrmals zur Eile. Endlich war es so weit, und die vier Schönheiten traten
ein. In dem kleidsamen Volkskostüm, die mit viel Geschmack angefertigt und
verziert waren, mit den frischen, recht hübschen Gesichtern und den jugendlich
elastischen Körpern konnten alle vier ganz gut für Schönheiten gelten. Ssurikow
stellte sie vor.

„Hier, Onkelchen, Alexandra Feodorowna, die eigentliche Wirtin im Hause."

Es war dieselbe, die die Ankömmlinge aus dem Schlafzimmer in den Saal
gewiesen hatte. Sie machte vor Botscharow wieder eine gelungene Reverenz und
wünschte ihm einen guten Abend.

Der Kaufmann kniff die Augen ein wenig zusammen und lächelte. Er fand
Gefallen an dem Mädchen.

„Guten Abend, guten Abend, schönes Fräulein," sagte er freundlich und
faßte ihre Hand. „Sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen. Bist meine
Mieterin? Freut mich, freut mich. Liebe solche Mieterinnen."

„Sie sind so gut, so nachsichtig gegen uns arme arbeitende Geschöpfe," ant¬
wortete sie.

„Dies, Onkelchen, ist die jüngere Schwester, Jelissaweta Feodorowna," setzte
Ssurikow die Vorstellung fort. „Ich kann sie empfehlen. Ein Fräulein wie Blitz
und Hagel! Man muß vorsichtig mit ihr sein. Ehe man sich dessen versieht, hat
sie einen so gescholten, daß man nicht weiß, wohin man soll."

Sie sah danach aus, die blonde Kleine mit dem schnippischen Naschen und
den kecken Augen, mit dem üppigen Körper und der herausfordernden Haltung.
Sie knickste gewandt und zierlich.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0535" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317486"/>
          <fw type="header" place="top"> Im Flecken</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2531" prev="#ID_2530"> Vier weibliche Wesen &#x2014; bei dem matten Licht einer Talgkerze ließ sich eben nur<lb/>
erkennen, daß es weibliche waren &#x2014; beschäftigten sich mit ihrer Toilette. Eine,<lb/>
die darin noch sehr weit zurück war, kauerte flugs hinter einem der Betten nieder.<lb/>
Zwei andere drückten sich je in einen Winkel und hielten ein Kleidungsstück zum<lb/>
Schutze vor sich. Die vierte, die am meisten vorgeschritten war, wenigstens ihre<lb/>
Vorderseite bereits in anständige Verfassung gebracht hatte, machte eine sehr<lb/>
gelungene theatralische Verbeugung und sagte, indem sie sich aufrichtete und einen<lb/>
Schritt zurücktrat:</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2532"> &#x201E;Ich bitte zu entschuldigen. Wir haben nicht daran gedacht, daß Sie diesen<lb/>
Eingang wählen könnten."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2533"> &#x201E;Schadet nichts, Schura", entgegnete Ssurikow. &#x201E;Vor Onkelchen braucht ihr<lb/>
euch nicht zu genieren."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2534"> &#x201E;Bitte weiter, in den Saal."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2535"> Sie machte mit der Hand eine einladende Bewegung zur entgegengesetzten<lb/>
Tür, durch die Heller Schein drang, und als sie hindurch waren, zog sie die Tür<lb/>
hinter ihnen zu.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2536"> Der sogenannte Saal strahlte im Licht unzähliger .Kerzen, die an den Wänden<lb/>
einen Kranz bildeten und bereits jetzt so starke Wärme verbreiteten, daß Botscharow<lb/>
nach wenigen Minuten zu schwitzen begann. Ssurikow half ihm den Rock aus¬<lb/>
ziehen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2537"> &#x201E;Sie sind in Ihrem eigenen Hause, Onkelchen. Machen Sie es sich bequem.<lb/>
Niemand außer uns wird eingelassen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2538"> Eine Viertelstunde verging. Ssurikow mahnte an der Tür des Schlafzimmers<lb/>
mehrmals zur Eile. Endlich war es so weit, und die vier Schönheiten traten<lb/>
ein. In dem kleidsamen Volkskostüm, die mit viel Geschmack angefertigt und<lb/>
verziert waren, mit den frischen, recht hübschen Gesichtern und den jugendlich<lb/>
elastischen Körpern konnten alle vier ganz gut für Schönheiten gelten. Ssurikow<lb/>
stellte sie vor.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2539"> &#x201E;Hier, Onkelchen, Alexandra Feodorowna, die eigentliche Wirtin im Hause."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2540"> Es war dieselbe, die die Ankömmlinge aus dem Schlafzimmer in den Saal<lb/>
gewiesen hatte. Sie machte vor Botscharow wieder eine gelungene Reverenz und<lb/>
wünschte ihm einen guten Abend.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2541"> Der Kaufmann kniff die Augen ein wenig zusammen und lächelte. Er fand<lb/>
Gefallen an dem Mädchen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2542"> &#x201E;Guten Abend, guten Abend, schönes Fräulein," sagte er freundlich und<lb/>
faßte ihre Hand. &#x201E;Sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen. Bist meine<lb/>
Mieterin? Freut mich, freut mich. Liebe solche Mieterinnen."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2543"> &#x201E;Sie sind so gut, so nachsichtig gegen uns arme arbeitende Geschöpfe," ant¬<lb/>
wortete sie.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2544"> &#x201E;Dies, Onkelchen, ist die jüngere Schwester, Jelissaweta Feodorowna," setzte<lb/>
Ssurikow die Vorstellung fort. &#x201E;Ich kann sie empfehlen. Ein Fräulein wie Blitz<lb/>
und Hagel! Man muß vorsichtig mit ihr sein. Ehe man sich dessen versieht, hat<lb/>
sie einen so gescholten, daß man nicht weiß, wohin man soll."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2545"> Sie sah danach aus, die blonde Kleine mit dem schnippischen Naschen und<lb/>
den kecken Augen, mit dem üppigen Körper und der herausfordernden Haltung.<lb/>
Sie knickste gewandt und zierlich.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0535] Im Flecken Vier weibliche Wesen — bei dem matten Licht einer Talgkerze ließ sich eben nur erkennen, daß es weibliche waren — beschäftigten sich mit ihrer Toilette. Eine, die darin noch sehr weit zurück war, kauerte flugs hinter einem der Betten nieder. Zwei andere drückten sich je in einen Winkel und hielten ein Kleidungsstück zum Schutze vor sich. Die vierte, die am meisten vorgeschritten war, wenigstens ihre Vorderseite bereits in anständige Verfassung gebracht hatte, machte eine sehr gelungene theatralische Verbeugung und sagte, indem sie sich aufrichtete und einen Schritt zurücktrat: „Ich bitte zu entschuldigen. Wir haben nicht daran gedacht, daß Sie diesen Eingang wählen könnten." „Schadet nichts, Schura", entgegnete Ssurikow. „Vor Onkelchen braucht ihr euch nicht zu genieren." „Bitte weiter, in den Saal." Sie machte mit der Hand eine einladende Bewegung zur entgegengesetzten Tür, durch die Heller Schein drang, und als sie hindurch waren, zog sie die Tür hinter ihnen zu. Der sogenannte Saal strahlte im Licht unzähliger .Kerzen, die an den Wänden einen Kranz bildeten und bereits jetzt so starke Wärme verbreiteten, daß Botscharow nach wenigen Minuten zu schwitzen begann. Ssurikow half ihm den Rock aus¬ ziehen. „Sie sind in Ihrem eigenen Hause, Onkelchen. Machen Sie es sich bequem. Niemand außer uns wird eingelassen." Eine Viertelstunde verging. Ssurikow mahnte an der Tür des Schlafzimmers mehrmals zur Eile. Endlich war es so weit, und die vier Schönheiten traten ein. In dem kleidsamen Volkskostüm, die mit viel Geschmack angefertigt und verziert waren, mit den frischen, recht hübschen Gesichtern und den jugendlich elastischen Körpern konnten alle vier ganz gut für Schönheiten gelten. Ssurikow stellte sie vor. „Hier, Onkelchen, Alexandra Feodorowna, die eigentliche Wirtin im Hause." Es war dieselbe, die die Ankömmlinge aus dem Schlafzimmer in den Saal gewiesen hatte. Sie machte vor Botscharow wieder eine gelungene Reverenz und wünschte ihm einen guten Abend. Der Kaufmann kniff die Augen ein wenig zusammen und lächelte. Er fand Gefallen an dem Mädchen. „Guten Abend, guten Abend, schönes Fräulein," sagte er freundlich und faßte ihre Hand. „Sehr erfreut, deine Bekanntschaft zu machen. Bist meine Mieterin? Freut mich, freut mich. Liebe solche Mieterinnen." „Sie sind so gut, so nachsichtig gegen uns arme arbeitende Geschöpfe," ant¬ wortete sie. „Dies, Onkelchen, ist die jüngere Schwester, Jelissaweta Feodorowna," setzte Ssurikow die Vorstellung fort. „Ich kann sie empfehlen. Ein Fräulein wie Blitz und Hagel! Man muß vorsichtig mit ihr sein. Ehe man sich dessen versieht, hat sie einen so gescholten, daß man nicht weiß, wohin man soll." Sie sah danach aus, die blonde Kleine mit dem schnippischen Naschen und den kecken Augen, mit dem üppigen Körper und der herausfordernden Haltung. Sie knickste gewandt und zierlich.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/535
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/535>, abgerufen am 23.07.2024.