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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Außerordentliche Professoren

Ministerialdirektoren vor. Und zwar hat das nicht etwa persönliche Ursachen.
Die letzten Inhaber des Kultusministeriums wird niemand einer gewallten
Unnahbarkeit, einer starken Herrschsucht, einer offiziellen Menschenscheu zeihen.
Es liegt durchaus teils in den Verhältnissen, teils in der Tradition. In den
Verhältnissen; denn schon der übernatürliche Umfang des Ressorts macht dem
Minister unmittelbare Beziehungen zu seinen "Untertanen" fast so sehr wie dem
Beherrscher eines Großstaats unmöglich, wo der kleinere Fürst noch von Mensch
zu Mensch verkehren kann. In der Tradition; denn schon das Ausbleiben
eines seit zwei Menschenaltern ausstehenden Unterrichtsgesetzes, das Fehlen fast
jeden Eingreifens durch das Oberverwaltungsgericht, endlich die besonders große
Abhängigkeit der Lehrer von der Gunst ihrer Vorgesetzten haben hier eine Macht¬
sphäre geschaffen, wie andere Zentralbehörden sie nicht entfernt kennen.

Wiederum innerhalb des Kultusministeriums gibt es verschiedene Grade
dieser ministeriellen Autokratie -- ein Ausdruck, der, ich wiederhole es, keine
Persönlichkeit treffen soll, sondern einen Zustand. Wie weit die Machtbefugnis
gegenüber den Schullehrern geht, haben erst vor kurzem die Strafversetzungen
in der Ostmark gezeigt, über deren Berechtigung im übrigen an dieser Stelle
nicht zu handeln ist. Aber da liegen doch ungewöhnliche Eingriffe vor. Die
normale Existenz des Schullehrers ist von der eines höchsten Vorgesetzten beinahe
unabhängig; Schulinspektor oder Schulrat, Provinzialschulkollegium und Direktor
sind die Instanzen, auf die es für ihn ankommt. Ganz unmittelbar dagegen hängt
die Laufbahn, ja fast die Existenz des Hochschullehrers von der Zentralinstanz ab.

Und das ist in den Verhältnissen begründet. Jede Beamtenkategorie hat
naturgemäß andere Gesetze des "Avancements". Der Offizier, der um die
Majorsecke nicht herumkommt, muß seinen Abschied nehmen, während niemand
es einem Juristen verwehrt, fünfzig Jahre lang unbeförderter (oder nur mit
einem Titel geschmückter) Amtsrichter zu bleiben. Ju der akademischen Karriere
gibt es wieder andere Regeln: die Beförderung bis zum Ordinariat gilt auch
hier als das normal Wünschenswerte; aber ein Extraordinarius, ja ein Privat¬
dozent kann ohne Beförderung im Amt der höchsten wissenschaftlichen Ehren
teilhaftig werden -- was unter Umständen (nicht immer I) den Machthabern,
Ministerien und Fakultäten, und nicht ihm zur Unehre gereichen kann.
Der außerordentliche Professor Steinthal, der Privatdozent Dtthring haben in
Berlin zu den einflußreichsten Lehrern gehört, und niemand hat ihnen die Ver¬
sagung der Beförderung je zum Tadel gerechnet.

Daraus uun aber, daß in der Tat die Beförderung nicht unter allen
Umständen die Bedingung großer Wirksamkeit ist, ergibt sich ein großer Nachteil
für den Universitätsdozenten. Der Major kann sagen: Soll ich mehr leisten als
bisher, so muß ich ein Regiment haben. Dem Extraordinarius kann in solchen
Fällen, höflich aber unerwünscht, die Antwort kommen: Sie sind im Besitz einer
ausgedehnten akademischen Wirksamkeit, die durch die Beförderung an eine
kleinere Universität vielleicht sogar eingeschränkt werden würde. . .


Außerordentliche Professoren

Ministerialdirektoren vor. Und zwar hat das nicht etwa persönliche Ursachen.
Die letzten Inhaber des Kultusministeriums wird niemand einer gewallten
Unnahbarkeit, einer starken Herrschsucht, einer offiziellen Menschenscheu zeihen.
Es liegt durchaus teils in den Verhältnissen, teils in der Tradition. In den
Verhältnissen; denn schon der übernatürliche Umfang des Ressorts macht dem
Minister unmittelbare Beziehungen zu seinen „Untertanen" fast so sehr wie dem
Beherrscher eines Großstaats unmöglich, wo der kleinere Fürst noch von Mensch
zu Mensch verkehren kann. In der Tradition; denn schon das Ausbleiben
eines seit zwei Menschenaltern ausstehenden Unterrichtsgesetzes, das Fehlen fast
jeden Eingreifens durch das Oberverwaltungsgericht, endlich die besonders große
Abhängigkeit der Lehrer von der Gunst ihrer Vorgesetzten haben hier eine Macht¬
sphäre geschaffen, wie andere Zentralbehörden sie nicht entfernt kennen.

Wiederum innerhalb des Kultusministeriums gibt es verschiedene Grade
dieser ministeriellen Autokratie — ein Ausdruck, der, ich wiederhole es, keine
Persönlichkeit treffen soll, sondern einen Zustand. Wie weit die Machtbefugnis
gegenüber den Schullehrern geht, haben erst vor kurzem die Strafversetzungen
in der Ostmark gezeigt, über deren Berechtigung im übrigen an dieser Stelle
nicht zu handeln ist. Aber da liegen doch ungewöhnliche Eingriffe vor. Die
normale Existenz des Schullehrers ist von der eines höchsten Vorgesetzten beinahe
unabhängig; Schulinspektor oder Schulrat, Provinzialschulkollegium und Direktor
sind die Instanzen, auf die es für ihn ankommt. Ganz unmittelbar dagegen hängt
die Laufbahn, ja fast die Existenz des Hochschullehrers von der Zentralinstanz ab.

Und das ist in den Verhältnissen begründet. Jede Beamtenkategorie hat
naturgemäß andere Gesetze des „Avancements". Der Offizier, der um die
Majorsecke nicht herumkommt, muß seinen Abschied nehmen, während niemand
es einem Juristen verwehrt, fünfzig Jahre lang unbeförderter (oder nur mit
einem Titel geschmückter) Amtsrichter zu bleiben. Ju der akademischen Karriere
gibt es wieder andere Regeln: die Beförderung bis zum Ordinariat gilt auch
hier als das normal Wünschenswerte; aber ein Extraordinarius, ja ein Privat¬
dozent kann ohne Beförderung im Amt der höchsten wissenschaftlichen Ehren
teilhaftig werden — was unter Umständen (nicht immer I) den Machthabern,
Ministerien und Fakultäten, und nicht ihm zur Unehre gereichen kann.
Der außerordentliche Professor Steinthal, der Privatdozent Dtthring haben in
Berlin zu den einflußreichsten Lehrern gehört, und niemand hat ihnen die Ver¬
sagung der Beförderung je zum Tadel gerechnet.

Daraus uun aber, daß in der Tat die Beförderung nicht unter allen
Umständen die Bedingung großer Wirksamkeit ist, ergibt sich ein großer Nachteil
für den Universitätsdozenten. Der Major kann sagen: Soll ich mehr leisten als
bisher, so muß ich ein Regiment haben. Dem Extraordinarius kann in solchen
Fällen, höflich aber unerwünscht, die Antwort kommen: Sie sind im Besitz einer
ausgedehnten akademischen Wirksamkeit, die durch die Beförderung an eine
kleinere Universität vielleicht sogar eingeschränkt werden würde. . .


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/510>, abgerufen am 22.07.2024.