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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Neue Lücher

Vor Jahren habe ich an dieser Stelle das außerordentliche Werk der Gräfin
Adeline zu Nantzau "Ein unmöglicher Mensch" hervorgehoben. Nach langer Pause
gibt uns diese Dichterin heute wieder ein Buch, das sich weit über den Alltag
hinaushebt und die Gewähr der Dauer in sich trägt, den Roman "Der Dritte"
(Berlin, Martin Warneck). Im Grunde steht ganz dasselbe im Mittelpunkt dieses
Werkes, was jenes andere so hoch erhob: die Darstellung eines Menschen, der
niemals anders sein kann als ganz wahrhaftig und Dritte nicht anders ansehen
kann als aus dieser Wahrhaftigkeit heraus. Und doch ist die Mara von Dorer
dieses Buches individuell eine ganz andere als jener unmögliche Mensch. Etwas
wie geheimnisvolle Wirkung in die Ferne geht von ihrer Reinheit aus und hält
den Geliebten, der ihr doch längst den Scheidebrief geschrieben hat, über dem
Versinken, so daß er künstlerische und menschliche Kraft zur Höhe wiederfindet. Und
daß wir mit Adeline Nantzau zur Höhe steigen, aufgehalten, aber doch auf die
Dauer unaufhaltsam, das ist der große innere Wert ihrer Werke. Bei ganz wahr¬
haftiger Darstellung des äußeren Lebens ist doch alles in einen Glanz aus ewigen
Fernen getaucht, eint sich alles nicht zur Bejahung unseres tieferen Lebens, sondern
zur Verklärung des Menschen über sich selbst hinaus durch die aus gläubigem
Herzen stammende Liebesfähigkeit. Unter allen unseren jüngeren Schriftstellern
greift Adeline Rantzau am tiefsten in den unerschöpflichen Born des Christentums
hinunter und steht so nah verwandt neben einer eigentlichen literarischen Kreisen
ebenso unbekannten Dichterin, neben Gertrud Prellwitz. Möge das Buch die
weiteste Verbreitung, die tiefste Wirkung haben!

Und die weiteste Verbreitung und die tiefste Wirkung wünsche ich noch einem
anderen Werk, das freilich künstlerisch nicht auf dieser Höhe steht, dessen Leben
aber auch aus den Tiefen einer erbarmenden und tatkräftigen Liebe gespeist ist:
dem vom Dürerbunde herausgegebenen Buch "Helmuth Harringa" von Hermann
Popert (Dresden, Alexander Köhler). Das Werk trägt die Tendenz auf der Stirn
und ist doch kein Tendenzbuch in irgendwie unangenehmem Sinn, will freilich
auch nicht als Kunstwerk an sich gewertet werden. Die Erzählergaben Poperts
sind unverächtlich, vieles ist außerordentlich treu und lebendig dargestellt, aber was
schließlich aus dem Buch hervorleuchtet und ihm seine tiefere Begründung gibt,
ist ein heißer Aufruf zum Kampf für die Freiheit der Menschenseele innerhalb des
modernen Maschinenzeitalters, zum Kampf für den Menschen und seine unsterbliche
Seele, gegen seine Verwendung als bloße Maschine, als Sache. Daß dieser Kampf
für Popert vor allein gegen den Alkohol und seine Macht und seine Machthaber
geht, wird so unaufdringlich, so wie von selbst durch den Gang der Handlung
begründet, daß dem schönen und reinen Buche auch in diesem rein praktischen
Sinne die weithin lebende Wirkung nicht fehlen wird. Es ist ein echtes Volksbuch,
das zu dieser Weihnachtszeit hoffentlich von Tausenden gelesen und an Tausende
weitergegeben wird.




Neue Lücher

Vor Jahren habe ich an dieser Stelle das außerordentliche Werk der Gräfin
Adeline zu Nantzau „Ein unmöglicher Mensch" hervorgehoben. Nach langer Pause
gibt uns diese Dichterin heute wieder ein Buch, das sich weit über den Alltag
hinaushebt und die Gewähr der Dauer in sich trägt, den Roman „Der Dritte"
(Berlin, Martin Warneck). Im Grunde steht ganz dasselbe im Mittelpunkt dieses
Werkes, was jenes andere so hoch erhob: die Darstellung eines Menschen, der
niemals anders sein kann als ganz wahrhaftig und Dritte nicht anders ansehen
kann als aus dieser Wahrhaftigkeit heraus. Und doch ist die Mara von Dorer
dieses Buches individuell eine ganz andere als jener unmögliche Mensch. Etwas
wie geheimnisvolle Wirkung in die Ferne geht von ihrer Reinheit aus und hält
den Geliebten, der ihr doch längst den Scheidebrief geschrieben hat, über dem
Versinken, so daß er künstlerische und menschliche Kraft zur Höhe wiederfindet. Und
daß wir mit Adeline Nantzau zur Höhe steigen, aufgehalten, aber doch auf die
Dauer unaufhaltsam, das ist der große innere Wert ihrer Werke. Bei ganz wahr¬
haftiger Darstellung des äußeren Lebens ist doch alles in einen Glanz aus ewigen
Fernen getaucht, eint sich alles nicht zur Bejahung unseres tieferen Lebens, sondern
zur Verklärung des Menschen über sich selbst hinaus durch die aus gläubigem
Herzen stammende Liebesfähigkeit. Unter allen unseren jüngeren Schriftstellern
greift Adeline Rantzau am tiefsten in den unerschöpflichen Born des Christentums
hinunter und steht so nah verwandt neben einer eigentlichen literarischen Kreisen
ebenso unbekannten Dichterin, neben Gertrud Prellwitz. Möge das Buch die
weiteste Verbreitung, die tiefste Wirkung haben!

Und die weiteste Verbreitung und die tiefste Wirkung wünsche ich noch einem
anderen Werk, das freilich künstlerisch nicht auf dieser Höhe steht, dessen Leben
aber auch aus den Tiefen einer erbarmenden und tatkräftigen Liebe gespeist ist:
dem vom Dürerbunde herausgegebenen Buch „Helmuth Harringa" von Hermann
Popert (Dresden, Alexander Köhler). Das Werk trägt die Tendenz auf der Stirn
und ist doch kein Tendenzbuch in irgendwie unangenehmem Sinn, will freilich
auch nicht als Kunstwerk an sich gewertet werden. Die Erzählergaben Poperts
sind unverächtlich, vieles ist außerordentlich treu und lebendig dargestellt, aber was
schließlich aus dem Buch hervorleuchtet und ihm seine tiefere Begründung gibt,
ist ein heißer Aufruf zum Kampf für die Freiheit der Menschenseele innerhalb des
modernen Maschinenzeitalters, zum Kampf für den Menschen und seine unsterbliche
Seele, gegen seine Verwendung als bloße Maschine, als Sache. Daß dieser Kampf
für Popert vor allein gegen den Alkohol und seine Macht und seine Machthaber
geht, wird so unaufdringlich, so wie von selbst durch den Gang der Handlung
begründet, daß dem schönen und reinen Buche auch in diesem rein praktischen
Sinne die weithin lebende Wirkung nicht fehlen wird. Es ist ein echtes Volksbuch,
das zu dieser Weihnachtszeit hoffentlich von Tausenden gelesen und an Tausende
weitergegeben wird.




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[0489] Neue Lücher Vor Jahren habe ich an dieser Stelle das außerordentliche Werk der Gräfin Adeline zu Nantzau „Ein unmöglicher Mensch" hervorgehoben. Nach langer Pause gibt uns diese Dichterin heute wieder ein Buch, das sich weit über den Alltag hinaushebt und die Gewähr der Dauer in sich trägt, den Roman „Der Dritte" (Berlin, Martin Warneck). Im Grunde steht ganz dasselbe im Mittelpunkt dieses Werkes, was jenes andere so hoch erhob: die Darstellung eines Menschen, der niemals anders sein kann als ganz wahrhaftig und Dritte nicht anders ansehen kann als aus dieser Wahrhaftigkeit heraus. Und doch ist die Mara von Dorer dieses Buches individuell eine ganz andere als jener unmögliche Mensch. Etwas wie geheimnisvolle Wirkung in die Ferne geht von ihrer Reinheit aus und hält den Geliebten, der ihr doch längst den Scheidebrief geschrieben hat, über dem Versinken, so daß er künstlerische und menschliche Kraft zur Höhe wiederfindet. Und daß wir mit Adeline Nantzau zur Höhe steigen, aufgehalten, aber doch auf die Dauer unaufhaltsam, das ist der große innere Wert ihrer Werke. Bei ganz wahr¬ haftiger Darstellung des äußeren Lebens ist doch alles in einen Glanz aus ewigen Fernen getaucht, eint sich alles nicht zur Bejahung unseres tieferen Lebens, sondern zur Verklärung des Menschen über sich selbst hinaus durch die aus gläubigem Herzen stammende Liebesfähigkeit. Unter allen unseren jüngeren Schriftstellern greift Adeline Rantzau am tiefsten in den unerschöpflichen Born des Christentums hinunter und steht so nah verwandt neben einer eigentlichen literarischen Kreisen ebenso unbekannten Dichterin, neben Gertrud Prellwitz. Möge das Buch die weiteste Verbreitung, die tiefste Wirkung haben! Und die weiteste Verbreitung und die tiefste Wirkung wünsche ich noch einem anderen Werk, das freilich künstlerisch nicht auf dieser Höhe steht, dessen Leben aber auch aus den Tiefen einer erbarmenden und tatkräftigen Liebe gespeist ist: dem vom Dürerbunde herausgegebenen Buch „Helmuth Harringa" von Hermann Popert (Dresden, Alexander Köhler). Das Werk trägt die Tendenz auf der Stirn und ist doch kein Tendenzbuch in irgendwie unangenehmem Sinn, will freilich auch nicht als Kunstwerk an sich gewertet werden. Die Erzählergaben Poperts sind unverächtlich, vieles ist außerordentlich treu und lebendig dargestellt, aber was schließlich aus dem Buch hervorleuchtet und ihm seine tiefere Begründung gibt, ist ein heißer Aufruf zum Kampf für die Freiheit der Menschenseele innerhalb des modernen Maschinenzeitalters, zum Kampf für den Menschen und seine unsterbliche Seele, gegen seine Verwendung als bloße Maschine, als Sache. Daß dieser Kampf für Popert vor allein gegen den Alkohol und seine Macht und seine Machthaber geht, wird so unaufdringlich, so wie von selbst durch den Gang der Handlung begründet, daß dem schönen und reinen Buche auch in diesem rein praktischen Sinne die weithin lebende Wirkung nicht fehlen wird. Es ist ein echtes Volksbuch, das zu dieser Weihnachtszeit hoffentlich von Tausenden gelesen und an Tausende weitergegeben wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/489>, abgerufen am 22.07.2024.