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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Kritische Aufsätze

aus, daß jener den Eid auf den Reliquienschrein besonders von ihm verehrter
Heiligen leiste, nämlich auf einen Schrein, der das Stirnbein des heiligen
Amancius, die Schwurhaud des heiligen Wimwalok und das blutige Büßerhemd
des heiligen Congogar von Qnimper enthielt. Der König leistete den Eid in
der gewünschten Weise, um ihn sofort nach der Leistung zu brechen und die
vertrauensseligen Gegner gefangen zu nehmen. AIs diese an ihm vorbei zum
Tode geführt wurden, da drohte ihm einer mit der Rache der von ihm ver¬
höhnten Heiligen. Chilperich aber entgegnete: "Das sei ferne von mir, daß
ich es wagte, diese so hochverehrten und mir stets gnädigen Heiligen also zu
kränken. Ehe ich den Eid auf den Schrein geleistet, habe ich die Reliquien
herausnehmen lassen."

Es soll selbstverständlich nicht verkannt werden, daß die vorstehend geschilderte
Kategorie Eidespflichtiger numerisch erheblich geriuger sein wird als die, auf
welche die Kennzeichnung der Begründung des Vorentwurfs zutrifft, daß sie
durch das religiöse Moment im Eide zu größerer Gewissenhaftigkeit und sorg¬
fältigerer Prüfung ihrer Aussage angeregt werden. Aber es gibt doch daneben
noch eine dritte Kategorie, welche des Stimulus des religiösen Eides nicht bloß
entraten können, sondern welche durch ihn sogar in heiligsten Gefühlen verletzt
werden. Dies sind einmal alle tief religiösen Naturen, denen es ein Greuel ist,
um geringfügiger irdischer Dinge willen den Namen Gottes anzurufen. Und um
welcher Dinge willen werden heut nicht in Zivilprozessen Eide geschworen! Man
denke ferner an die religiösen Sekten, denen ihr Ritus die Eidesleistung verbietet.
So ereignete sich im Jahre 1906 in Berlin der Aufsehen erregende Fall, daß
zwei Arme im Geiste, ein Stepper und eine Näherin, welche einer frommen
Sekte angehörten, sich standhaft, auch nach verhängter Zwangshaft, weigerten,
den Eid zu leisten; allen Vorhaltungen des Präsidenten setzten sie die Worte
entgegen: "Jakobus V steht geschrieben: >Vor allem aber, meine Brüder, schwöret
nicht, weder dein: Himmel noch bei der Erde, noch irgendeinen andern Schwur. Euer
Ja sei Ja, und euer Nein sei Nein, damit ihr nicht dem Gerichte verfället/ " Nun
aber sind sie gerade dein Gerichte verfallen, weil sie sich so gewissenhaft an die Bibel
gehalten haben. Weiter kommen alle die Personen in Betracht, welche an keinen
persönlichen Gott mehr glauben und von welchen doch verlangt wird, daß sie
bei dessen Anrufung schwören. Der bekannte Professor Forel-Zürich sollte als
Sachverständiger vor einem Münchener Gericht vernommen werden und erklärte
vor Ablegung des Sachverständigeneides, daß er den Eid nicht mit Überzeugung
leisten könne, weil er Atheist sei. Als der Vorsitzende unter Strafandrohung
die Eidesleistung von ihm verlangte, hat er sich dem gefügt. Ob es aber nicht
gerade für ein gut gläubiges Gemüt eine Herabwürdigung der Gottheit sei,
jemanden die Worte nachsprechen zu lassen: "Ich schwöre bei Gott dem All¬
mächtigen und Allwissenden. . ., so wahr mir Gott helfe", der eben erklärt
hat, daß er an diesen Gott nicht mehr glaube, das sei hier nicht weiter erörtert.
Den Sekten der Mennoniten und Philipponen ist das Recht zugestanden, an


Kritische Aufsätze

aus, daß jener den Eid auf den Reliquienschrein besonders von ihm verehrter
Heiligen leiste, nämlich auf einen Schrein, der das Stirnbein des heiligen
Amancius, die Schwurhaud des heiligen Wimwalok und das blutige Büßerhemd
des heiligen Congogar von Qnimper enthielt. Der König leistete den Eid in
der gewünschten Weise, um ihn sofort nach der Leistung zu brechen und die
vertrauensseligen Gegner gefangen zu nehmen. AIs diese an ihm vorbei zum
Tode geführt wurden, da drohte ihm einer mit der Rache der von ihm ver¬
höhnten Heiligen. Chilperich aber entgegnete: „Das sei ferne von mir, daß
ich es wagte, diese so hochverehrten und mir stets gnädigen Heiligen also zu
kränken. Ehe ich den Eid auf den Schrein geleistet, habe ich die Reliquien
herausnehmen lassen."

Es soll selbstverständlich nicht verkannt werden, daß die vorstehend geschilderte
Kategorie Eidespflichtiger numerisch erheblich geriuger sein wird als die, auf
welche die Kennzeichnung der Begründung des Vorentwurfs zutrifft, daß sie
durch das religiöse Moment im Eide zu größerer Gewissenhaftigkeit und sorg¬
fältigerer Prüfung ihrer Aussage angeregt werden. Aber es gibt doch daneben
noch eine dritte Kategorie, welche des Stimulus des religiösen Eides nicht bloß
entraten können, sondern welche durch ihn sogar in heiligsten Gefühlen verletzt
werden. Dies sind einmal alle tief religiösen Naturen, denen es ein Greuel ist,
um geringfügiger irdischer Dinge willen den Namen Gottes anzurufen. Und um
welcher Dinge willen werden heut nicht in Zivilprozessen Eide geschworen! Man
denke ferner an die religiösen Sekten, denen ihr Ritus die Eidesleistung verbietet.
So ereignete sich im Jahre 1906 in Berlin der Aufsehen erregende Fall, daß
zwei Arme im Geiste, ein Stepper und eine Näherin, welche einer frommen
Sekte angehörten, sich standhaft, auch nach verhängter Zwangshaft, weigerten,
den Eid zu leisten; allen Vorhaltungen des Präsidenten setzten sie die Worte
entgegen: „Jakobus V steht geschrieben: >Vor allem aber, meine Brüder, schwöret
nicht, weder dein: Himmel noch bei der Erde, noch irgendeinen andern Schwur. Euer
Ja sei Ja, und euer Nein sei Nein, damit ihr nicht dem Gerichte verfället/ " Nun
aber sind sie gerade dein Gerichte verfallen, weil sie sich so gewissenhaft an die Bibel
gehalten haben. Weiter kommen alle die Personen in Betracht, welche an keinen
persönlichen Gott mehr glauben und von welchen doch verlangt wird, daß sie
bei dessen Anrufung schwören. Der bekannte Professor Forel-Zürich sollte als
Sachverständiger vor einem Münchener Gericht vernommen werden und erklärte
vor Ablegung des Sachverständigeneides, daß er den Eid nicht mit Überzeugung
leisten könne, weil er Atheist sei. Als der Vorsitzende unter Strafandrohung
die Eidesleistung von ihm verlangte, hat er sich dem gefügt. Ob es aber nicht
gerade für ein gut gläubiges Gemüt eine Herabwürdigung der Gottheit sei,
jemanden die Worte nachsprechen zu lassen: „Ich schwöre bei Gott dem All¬
mächtigen und Allwissenden. . ., so wahr mir Gott helfe", der eben erklärt
hat, daß er an diesen Gott nicht mehr glaube, das sei hier nicht weiter erörtert.
Den Sekten der Mennoniten und Philipponen ist das Recht zugestanden, an


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[0483] Kritische Aufsätze aus, daß jener den Eid auf den Reliquienschrein besonders von ihm verehrter Heiligen leiste, nämlich auf einen Schrein, der das Stirnbein des heiligen Amancius, die Schwurhaud des heiligen Wimwalok und das blutige Büßerhemd des heiligen Congogar von Qnimper enthielt. Der König leistete den Eid in der gewünschten Weise, um ihn sofort nach der Leistung zu brechen und die vertrauensseligen Gegner gefangen zu nehmen. AIs diese an ihm vorbei zum Tode geführt wurden, da drohte ihm einer mit der Rache der von ihm ver¬ höhnten Heiligen. Chilperich aber entgegnete: „Das sei ferne von mir, daß ich es wagte, diese so hochverehrten und mir stets gnädigen Heiligen also zu kränken. Ehe ich den Eid auf den Schrein geleistet, habe ich die Reliquien herausnehmen lassen." Es soll selbstverständlich nicht verkannt werden, daß die vorstehend geschilderte Kategorie Eidespflichtiger numerisch erheblich geriuger sein wird als die, auf welche die Kennzeichnung der Begründung des Vorentwurfs zutrifft, daß sie durch das religiöse Moment im Eide zu größerer Gewissenhaftigkeit und sorg¬ fältigerer Prüfung ihrer Aussage angeregt werden. Aber es gibt doch daneben noch eine dritte Kategorie, welche des Stimulus des religiösen Eides nicht bloß entraten können, sondern welche durch ihn sogar in heiligsten Gefühlen verletzt werden. Dies sind einmal alle tief religiösen Naturen, denen es ein Greuel ist, um geringfügiger irdischer Dinge willen den Namen Gottes anzurufen. Und um welcher Dinge willen werden heut nicht in Zivilprozessen Eide geschworen! Man denke ferner an die religiösen Sekten, denen ihr Ritus die Eidesleistung verbietet. So ereignete sich im Jahre 1906 in Berlin der Aufsehen erregende Fall, daß zwei Arme im Geiste, ein Stepper und eine Näherin, welche einer frommen Sekte angehörten, sich standhaft, auch nach verhängter Zwangshaft, weigerten, den Eid zu leisten; allen Vorhaltungen des Präsidenten setzten sie die Worte entgegen: „Jakobus V steht geschrieben: >Vor allem aber, meine Brüder, schwöret nicht, weder dein: Himmel noch bei der Erde, noch irgendeinen andern Schwur. Euer Ja sei Ja, und euer Nein sei Nein, damit ihr nicht dem Gerichte verfället/ " Nun aber sind sie gerade dein Gerichte verfallen, weil sie sich so gewissenhaft an die Bibel gehalten haben. Weiter kommen alle die Personen in Betracht, welche an keinen persönlichen Gott mehr glauben und von welchen doch verlangt wird, daß sie bei dessen Anrufung schwören. Der bekannte Professor Forel-Zürich sollte als Sachverständiger vor einem Münchener Gericht vernommen werden und erklärte vor Ablegung des Sachverständigeneides, daß er den Eid nicht mit Überzeugung leisten könne, weil er Atheist sei. Als der Vorsitzende unter Strafandrohung die Eidesleistung von ihm verlangte, hat er sich dem gefügt. Ob es aber nicht gerade für ein gut gläubiges Gemüt eine Herabwürdigung der Gottheit sei, jemanden die Worte nachsprechen zu lassen: „Ich schwöre bei Gott dem All¬ mächtigen und Allwissenden. . ., so wahr mir Gott helfe", der eben erklärt hat, daß er an diesen Gott nicht mehr glaube, das sei hier nicht weiter erörtert. Den Sekten der Mennoniten und Philipponen ist das Recht zugestanden, an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/483>, abgerufen am 23.07.2024.