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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Roms Machtansprüche und die Pflichten des Ztaats

den die Doktoren der Heiligen Schrift in Zukunft abzulegen haben. Danach sollen
sie sich allen Verfügungen des Papstes und allen Vorschriften der päpstlichen Bibel¬
kommission, und zwar nicht nur den bereits ergangenen, sondern auch den in
Zukunft zu erlassenden in? voraus unterwerfen. Am 8. September hat er
Ausführungsbestimmungen zu der Llicyclica pascenäl äominici AreZis erlassen,
worin u. a. dem jungen Klerus das Lesen von Zeitungen verboten und allen
Geistliche,! ein Eid der Rechtgläubigkeit auferlegt wird, der bis zum 31. Dezember
dieses Jahres geleistet werden muß. In welche Gewissensnöte kommen da die
Priester! Wie mancher der Eide, die da geschworen werden, wird ein Meineid
sein! Und wie unklar mag man sich in Rom über die Zustände im Klerus
sein, oder wie leicht glaubt man dort mit den Gewissen umspringen zu können,
wenn man ihm ohne weiteres solch einen Eid auferlegt!

Schließlich hat der Papst durch ein Dekret vom August Bestimmungen
über die Absetzung der Pfarrer erlassen, welche diese eigentlich auf Gnade und
Ungnade den Bischöfen ausliefern. Denn daraus läuft doch die Verordnung
hinaus, daß der Pfarrer, wenn in seiner Gemeinde sich Abneigung gegen ihn
findet, "selbst eine ungerechte und nicht allgemeine", und wenn sich seine Un¬
wissenheit und Unerfahrenheit herausstellt, von dem Bischof abgesetzt werden
kann. Wie leicht ist es doch schließlich -- dies weiß jeder, der etwas im öffent¬
lichen Leben steht --, Abneigung gegen eine Persönlichkeit hervorzurufen oder
ihr Unfähigkeit vorzuwerfen. Der Papst soll noch weiter gehen wollen und die
Bestimmung planen, die Pfarrer in Zukunft nicht mehr auf Lebenszeit, sondern
nur zur Verfügung der Bischöfe ernennen zu lassen.

In alledem liegt System, und zwar das System einer fanatischen Gesinnung,
die unerbittlich, aber auch ohne Beachtung der drohenden Gefahr dem einmal
gesteckten Ziele entgegengeht. Dieses Ziel hat eine dem Vatikan nahestehende
Persönlichkeit kürzlich mit den Worten ausgedrückt: "Die Luc^elica puscenäl
hat eine bestimmte Kategorie von Modernisten getroffen: diese sind alle aus der
Kirche ausgetreten. Das motu prvpno ist gegen jene Modernisten gerichtet,
die in der Kirche geblieben sind und darin im verborgenen ihr Werk fortsetzen.
Diese müssen nun entweder ebenfalls austreten oder sich rückhaltlos unter¬
werfen. Der Papst hat der Kirche einen unschätzbaren Dienst geleistet. Er hat
jenem maskierten Protestantismus, der die katholische Lehre in ihren Urquellen
zu vergiften droht, den Gnadenstoß gegeben. Nicht heute, sondern erst in einem
halben Jahrhundert wird man die ganze Tragweite der Verordnung begreifen
und den: Papste für das vollbrachte Werk Gerechtigkeit widerfahren lassen."

Man kann demgegenüber nur fragen: Yuc>u8qus tanciem? Wie lange
wird der katholische Klerus diese Knebelung der sittlichen Persönlichkeit und des
religiösen Gewissens ertragen? Wird er sich bald ermannen, um jenen Be¬
strebungen Roms ein: "Bis hierher und nicht weiter!" zuzurufen, oder müssen
noch stärkere Schläge kommen, bis er aufwacht und sich darauf besinnt, daß er
nicht nur Untertanenvflichtcn, sondern auch Menschenrechte besitzt? Einzelne


Roms Machtansprüche und die Pflichten des Ztaats

den die Doktoren der Heiligen Schrift in Zukunft abzulegen haben. Danach sollen
sie sich allen Verfügungen des Papstes und allen Vorschriften der päpstlichen Bibel¬
kommission, und zwar nicht nur den bereits ergangenen, sondern auch den in
Zukunft zu erlassenden in? voraus unterwerfen. Am 8. September hat er
Ausführungsbestimmungen zu der Llicyclica pascenäl äominici AreZis erlassen,
worin u. a. dem jungen Klerus das Lesen von Zeitungen verboten und allen
Geistliche,! ein Eid der Rechtgläubigkeit auferlegt wird, der bis zum 31. Dezember
dieses Jahres geleistet werden muß. In welche Gewissensnöte kommen da die
Priester! Wie mancher der Eide, die da geschworen werden, wird ein Meineid
sein! Und wie unklar mag man sich in Rom über die Zustände im Klerus
sein, oder wie leicht glaubt man dort mit den Gewissen umspringen zu können,
wenn man ihm ohne weiteres solch einen Eid auferlegt!

Schließlich hat der Papst durch ein Dekret vom August Bestimmungen
über die Absetzung der Pfarrer erlassen, welche diese eigentlich auf Gnade und
Ungnade den Bischöfen ausliefern. Denn daraus läuft doch die Verordnung
hinaus, daß der Pfarrer, wenn in seiner Gemeinde sich Abneigung gegen ihn
findet, „selbst eine ungerechte und nicht allgemeine", und wenn sich seine Un¬
wissenheit und Unerfahrenheit herausstellt, von dem Bischof abgesetzt werden
kann. Wie leicht ist es doch schließlich — dies weiß jeder, der etwas im öffent¬
lichen Leben steht —, Abneigung gegen eine Persönlichkeit hervorzurufen oder
ihr Unfähigkeit vorzuwerfen. Der Papst soll noch weiter gehen wollen und die
Bestimmung planen, die Pfarrer in Zukunft nicht mehr auf Lebenszeit, sondern
nur zur Verfügung der Bischöfe ernennen zu lassen.

In alledem liegt System, und zwar das System einer fanatischen Gesinnung,
die unerbittlich, aber auch ohne Beachtung der drohenden Gefahr dem einmal
gesteckten Ziele entgegengeht. Dieses Ziel hat eine dem Vatikan nahestehende
Persönlichkeit kürzlich mit den Worten ausgedrückt: „Die Luc^elica puscenäl
hat eine bestimmte Kategorie von Modernisten getroffen: diese sind alle aus der
Kirche ausgetreten. Das motu prvpno ist gegen jene Modernisten gerichtet,
die in der Kirche geblieben sind und darin im verborgenen ihr Werk fortsetzen.
Diese müssen nun entweder ebenfalls austreten oder sich rückhaltlos unter¬
werfen. Der Papst hat der Kirche einen unschätzbaren Dienst geleistet. Er hat
jenem maskierten Protestantismus, der die katholische Lehre in ihren Urquellen
zu vergiften droht, den Gnadenstoß gegeben. Nicht heute, sondern erst in einem
halben Jahrhundert wird man die ganze Tragweite der Verordnung begreifen
und den: Papste für das vollbrachte Werk Gerechtigkeit widerfahren lassen."

Man kann demgegenüber nur fragen: Yuc>u8qus tanciem? Wie lange
wird der katholische Klerus diese Knebelung der sittlichen Persönlichkeit und des
religiösen Gewissens ertragen? Wird er sich bald ermannen, um jenen Be¬
strebungen Roms ein: „Bis hierher und nicht weiter!" zuzurufen, oder müssen
noch stärkere Schläge kommen, bis er aufwacht und sich darauf besinnt, daß er
nicht nur Untertanenvflichtcn, sondern auch Menschenrechte besitzt? Einzelne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/475>, abgerufen am 22.07.2024.