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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Dmitri Mereshkowsky

hatte er bereits in seinein "Julian Apostata" den letzten Hellenen auf den:
Cäsarenthron, den Helden von Ibsens "Kaiser und Galiläer", zum Gegenstand
einer tief ausholenden Romandichtung gemacht.

Aber so hoch der Standpunkt auch errichtet ist, von dem dieser Autor die
Wendepunkte weltgeschichtlicher Entwicklung betrachtet, darf mau doch nie ver¬
gessen, daß er mit Leib und Seele Russe ist und bleibt. Die Schönheit und
Größe des Südens hat ihn zwar in die Ferne gelockt, aber mit allen Fasern
seines Wesens zieht es ihn doch wieder nach dem Norden zurück, seinem
Heimatboden, bei dessen Berührung er sein Blut schneller durch die Adern
fließen und seine Muskeln stärker anschwellen fühlt. In "Peter der Große
und sein Sohn Alexei" vollzieht sich ebenfalls ein tragischer Kampf zwischen
dein Neuen und dem Alten, und um so erschütternder, als hierbei Vater
und Sohn als Todfeinde einander gegenüberstehen. Zar Peter hat, wie
der Franzose Algarotti geistreich sagt, seinem im Asiatentum versunkenen
Volk das "Fenster nach Europa" geöffnet, im Sumpf der Newamündung eine
neue Residenz geschaffen, seinen Untertanen Kopf und Bart geschoren, sie mit
der Knute in die Schulen getrieben und ihnen Deutsche und Franzosen als
Lehrmeister gegeben. Die Altgläubigen sehen darin einen verräterischen Abfall
vom Russentum, hassen ihn als den Zerstörer des Reichs, der es der Gewalt des
Satans ausliefert. Der Zarewitsch, ein verworrener, willenloser Träumer, droht
das mühsam geschaffene Kulturwerk zu zerstören, wird zur Verzweiflung gebracht
und flieht nach Italien, von wo er durch die List des Grafen Tolstoi, eines
Ahnherrn des Dichters von "Krieg und Frieden" und "Anna Karenina", wieder
nach Se. Petersburg gelockt wird. Nun setzt das eigentliche Drama mit schein¬
barer Versöhnung ein, nährend der Zar in Wahrheit seinen Sohn wie ein
Raubtier seine Beute umklammert hält, um jeden Preis hinter das Geheimnis
der geplanten Verschwörung kommen will, ihn einem quälenden Verhör unter¬
wirft, ihn vor seinen Augen foltern läßt und endlich mit der Knute in der
Hand die Wahrheit von ihm so lange zu erpressen sucht, bis er unter seinen
Hieben stirbt. Das Grauenvolle all dieser Vorgänge ist von Mereshkowsky mit
einer Umständlichkeit geschildert, die der Aufnahmefähigkeit des Lesers das
Äußerste zumutet, während gleichzeitig die Steigerung dieses wahnsinnigen Hasses
gegen das eigene Fleisch und Blut bis auf die letzten Wurzeln enthüllt wird.
Mau fühlt es, daß hier nicht mehr ein Mensch gegen den andern wütet, sondern
Vergangenheit und Zukunft eines ganzen Reiches auf dem Kampfplatz erscheinen
und der unglückliche Sohn als Opfer fällt. Daraus entwickelt sich eine Spannung,
die immer neue Momente in die Handlung einsticht und sie am entschiedensten
vorwärts treibt, wenn sie still zu stehen scheint, weil gerade dann die Katastrophe
einbricht. In der Tretjakowschen Galerie in Moskau erblicken wir auf einem
meisterhaften Bilde von Njepin den Zaren Iwan den Grausamen, wie er mit
seinem Eisenstabe nach seinem einzigen Sohn geschlagen und ihn dabei tödlich
verwundet hat. Der Thronfolger ist auf dem Teppich blutüberströmt zusammen-


Dmitri Mereshkowsky

hatte er bereits in seinein „Julian Apostata" den letzten Hellenen auf den:
Cäsarenthron, den Helden von Ibsens „Kaiser und Galiläer", zum Gegenstand
einer tief ausholenden Romandichtung gemacht.

Aber so hoch der Standpunkt auch errichtet ist, von dem dieser Autor die
Wendepunkte weltgeschichtlicher Entwicklung betrachtet, darf mau doch nie ver¬
gessen, daß er mit Leib und Seele Russe ist und bleibt. Die Schönheit und
Größe des Südens hat ihn zwar in die Ferne gelockt, aber mit allen Fasern
seines Wesens zieht es ihn doch wieder nach dem Norden zurück, seinem
Heimatboden, bei dessen Berührung er sein Blut schneller durch die Adern
fließen und seine Muskeln stärker anschwellen fühlt. In „Peter der Große
und sein Sohn Alexei" vollzieht sich ebenfalls ein tragischer Kampf zwischen
dein Neuen und dem Alten, und um so erschütternder, als hierbei Vater
und Sohn als Todfeinde einander gegenüberstehen. Zar Peter hat, wie
der Franzose Algarotti geistreich sagt, seinem im Asiatentum versunkenen
Volk das „Fenster nach Europa" geöffnet, im Sumpf der Newamündung eine
neue Residenz geschaffen, seinen Untertanen Kopf und Bart geschoren, sie mit
der Knute in die Schulen getrieben und ihnen Deutsche und Franzosen als
Lehrmeister gegeben. Die Altgläubigen sehen darin einen verräterischen Abfall
vom Russentum, hassen ihn als den Zerstörer des Reichs, der es der Gewalt des
Satans ausliefert. Der Zarewitsch, ein verworrener, willenloser Träumer, droht
das mühsam geschaffene Kulturwerk zu zerstören, wird zur Verzweiflung gebracht
und flieht nach Italien, von wo er durch die List des Grafen Tolstoi, eines
Ahnherrn des Dichters von „Krieg und Frieden" und „Anna Karenina", wieder
nach Se. Petersburg gelockt wird. Nun setzt das eigentliche Drama mit schein¬
barer Versöhnung ein, nährend der Zar in Wahrheit seinen Sohn wie ein
Raubtier seine Beute umklammert hält, um jeden Preis hinter das Geheimnis
der geplanten Verschwörung kommen will, ihn einem quälenden Verhör unter¬
wirft, ihn vor seinen Augen foltern läßt und endlich mit der Knute in der
Hand die Wahrheit von ihm so lange zu erpressen sucht, bis er unter seinen
Hieben stirbt. Das Grauenvolle all dieser Vorgänge ist von Mereshkowsky mit
einer Umständlichkeit geschildert, die der Aufnahmefähigkeit des Lesers das
Äußerste zumutet, während gleichzeitig die Steigerung dieses wahnsinnigen Hasses
gegen das eigene Fleisch und Blut bis auf die letzten Wurzeln enthüllt wird.
Mau fühlt es, daß hier nicht mehr ein Mensch gegen den andern wütet, sondern
Vergangenheit und Zukunft eines ganzen Reiches auf dem Kampfplatz erscheinen
und der unglückliche Sohn als Opfer fällt. Daraus entwickelt sich eine Spannung,
die immer neue Momente in die Handlung einsticht und sie am entschiedensten
vorwärts treibt, wenn sie still zu stehen scheint, weil gerade dann die Katastrophe
einbricht. In der Tretjakowschen Galerie in Moskau erblicken wir auf einem
meisterhaften Bilde von Njepin den Zaren Iwan den Grausamen, wie er mit
seinem Eisenstabe nach seinem einzigen Sohn geschlagen und ihn dabei tödlich
verwundet hat. Der Thronfolger ist auf dem Teppich blutüberströmt zusammen-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/47>, abgerufen am 22.07.2024.