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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

geknechteten Kinderfräulein, das sich vor den Fratzen noch mehr als vor der Herr¬
schaft fürchtet -- am meisten aber vor der Köchin. Es hat sich eine verderbliche
Irrlehre eingeschlichen, die da Predigt: Die Presse ist für das Publikum da.

Man steinige mich, aber ich will die Ketzermeinung nicht unterdrücken, daß
die Umkehrung des Satzes noch immer viel gesünder und natürlicher wäre. Doch
solche Kleinigkeiten zu erörtern, dazu fehlt hier die Gelegenheit. Summa: Ich
behaupte dreist, daß jene unbestimmte, nachrichtenhungrige und launisch-gebieterische
Masse, die den kapitalistischen Verlegern, den abhängigen Schriftstellern und
Schreibern wie eine erbarmungslose Notwendigkeit vor Augen schwebt, eine bloße
Illusion ist. . . ein Nebel.. . ein Nichts.

Nämlich diese Masse, dieser Nebel, diese gefürchtete Vielheit ist weiter nichts
als ein Stoff -- "Material", wie man heute so schön und gefühlvoll zu sagen
Pflegt. Alle guten Instinkte dieser Vielheit zu fördern, in ihrem schwer auf¬
zuklärenden Gewimmel die Köpfe zu grüßen, die Menschen aus den trübe grün-
delnden Schwärmen herauszufischen und ihr Menschentum dann zu erhöhen --
ja, wahrhaftig zu erhöhen (solch ein Idealist bin ich!), das ist Aufgabe der Presse!

Entrüstet werft ihr ein: Aber das Geschäft! O Neunmalkluge, hier ankert
ja die Wurzel all der Jämmerlichkeit. Ihr denkt, es lasse sich nur Geld verdienen,
wenn man vor dem Publikum (jener erst zu formenden Masse, die ein Nebel, ein
Nichts ist, solange sie der Zauberstab des Geistes nicht berührte) auf dem Bauche
herumrutscht, seine gemeinsten Triebe füttert, kurzum, als ein recht ängstlicher
Fabrikant "in Lebenslügen macht". Bequemer mag's freilich sein. Aber welche
Angst, welche Erniedrigung aller Jntellektmenschen! Die Verleger verbeugen sich
vor jenem schattenhaften Götzen, die Schreiber und Schriftsteller -- ach diese
auch l -- haben natürlich vor den Verlegern Angst. Denn ganz gewiß ist es nötig
zu leben. . . .

Jedoch das Wesentliche übersehe ihr:

Niemand wird sich auf die Dauer dagegen wehren wollen, wenn man ihm
etwas Gutes vorsetzt. Wohl wahr: das Beste auf geistigem Gebiet fassen nur
wenige Schädelweiten. Aber zwischen dem Kaviar der Auserwählten und der
Sudelkost, mit der man den gebieterischen, in Wahrheit so duldsamer Moloch zu
erfreuen meint, gibt es doch noch der Abstufungen mancherlei. Gebt Gutes,
gewöhnt das "Publikum" an Vorzügliches, meinetwegen an eine mittlere Vor¬
züglichkeit, aber reinlich und tüchtig und ehrlich soll sie sein. Vertraut dem
Gesundsinn der schweigenden Besseren! Wähnt nicht länger, die Masse, euere
Herrin, wolle die Sudelkost; sie verehre Feigheit, Klatscherei und die Romane
schlechter Autoren. Nein, sie läßt sich das eben gefallen, weil sie geduldig und --
gestaltlos ist. Forme, gestaltet, ihr Herren, und ihr werdet dabei nicht schlechter
fahren. Vielleicht sogar besser als in gegenwärtiger Trübsal. Also bildet, formt
F. s. die ungestillte Masse! Ihr könnt dabei sogar noch -- verdienen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

geknechteten Kinderfräulein, das sich vor den Fratzen noch mehr als vor der Herr¬
schaft fürchtet — am meisten aber vor der Köchin. Es hat sich eine verderbliche
Irrlehre eingeschlichen, die da Predigt: Die Presse ist für das Publikum da.

Man steinige mich, aber ich will die Ketzermeinung nicht unterdrücken, daß
die Umkehrung des Satzes noch immer viel gesünder und natürlicher wäre. Doch
solche Kleinigkeiten zu erörtern, dazu fehlt hier die Gelegenheit. Summa: Ich
behaupte dreist, daß jene unbestimmte, nachrichtenhungrige und launisch-gebieterische
Masse, die den kapitalistischen Verlegern, den abhängigen Schriftstellern und
Schreibern wie eine erbarmungslose Notwendigkeit vor Augen schwebt, eine bloße
Illusion ist. . . ein Nebel.. . ein Nichts.

Nämlich diese Masse, dieser Nebel, diese gefürchtete Vielheit ist weiter nichts
als ein Stoff — „Material", wie man heute so schön und gefühlvoll zu sagen
Pflegt. Alle guten Instinkte dieser Vielheit zu fördern, in ihrem schwer auf¬
zuklärenden Gewimmel die Köpfe zu grüßen, die Menschen aus den trübe grün-
delnden Schwärmen herauszufischen und ihr Menschentum dann zu erhöhen —
ja, wahrhaftig zu erhöhen (solch ein Idealist bin ich!), das ist Aufgabe der Presse!

Entrüstet werft ihr ein: Aber das Geschäft! O Neunmalkluge, hier ankert
ja die Wurzel all der Jämmerlichkeit. Ihr denkt, es lasse sich nur Geld verdienen,
wenn man vor dem Publikum (jener erst zu formenden Masse, die ein Nebel, ein
Nichts ist, solange sie der Zauberstab des Geistes nicht berührte) auf dem Bauche
herumrutscht, seine gemeinsten Triebe füttert, kurzum, als ein recht ängstlicher
Fabrikant „in Lebenslügen macht". Bequemer mag's freilich sein. Aber welche
Angst, welche Erniedrigung aller Jntellektmenschen! Die Verleger verbeugen sich
vor jenem schattenhaften Götzen, die Schreiber und Schriftsteller — ach diese
auch l — haben natürlich vor den Verlegern Angst. Denn ganz gewiß ist es nötig
zu leben. . . .

Jedoch das Wesentliche übersehe ihr:

Niemand wird sich auf die Dauer dagegen wehren wollen, wenn man ihm
etwas Gutes vorsetzt. Wohl wahr: das Beste auf geistigem Gebiet fassen nur
wenige Schädelweiten. Aber zwischen dem Kaviar der Auserwählten und der
Sudelkost, mit der man den gebieterischen, in Wahrheit so duldsamer Moloch zu
erfreuen meint, gibt es doch noch der Abstufungen mancherlei. Gebt Gutes,
gewöhnt das „Publikum" an Vorzügliches, meinetwegen an eine mittlere Vor¬
züglichkeit, aber reinlich und tüchtig und ehrlich soll sie sein. Vertraut dem
Gesundsinn der schweigenden Besseren! Wähnt nicht länger, die Masse, euere
Herrin, wolle die Sudelkost; sie verehre Feigheit, Klatscherei und die Romane
schlechter Autoren. Nein, sie läßt sich das eben gefallen, weil sie geduldig und —
gestaltlos ist. Forme, gestaltet, ihr Herren, und ihr werdet dabei nicht schlechter
fahren. Vielleicht sogar besser als in gegenwärtiger Trübsal. Also bildet, formt
F. s. die ungestillte Masse! Ihr könnt dabei sogar noch — verdienen.




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[0455] Maßgebliches und Unmaßgebliches geknechteten Kinderfräulein, das sich vor den Fratzen noch mehr als vor der Herr¬ schaft fürchtet — am meisten aber vor der Köchin. Es hat sich eine verderbliche Irrlehre eingeschlichen, die da Predigt: Die Presse ist für das Publikum da. Man steinige mich, aber ich will die Ketzermeinung nicht unterdrücken, daß die Umkehrung des Satzes noch immer viel gesünder und natürlicher wäre. Doch solche Kleinigkeiten zu erörtern, dazu fehlt hier die Gelegenheit. Summa: Ich behaupte dreist, daß jene unbestimmte, nachrichtenhungrige und launisch-gebieterische Masse, die den kapitalistischen Verlegern, den abhängigen Schriftstellern und Schreibern wie eine erbarmungslose Notwendigkeit vor Augen schwebt, eine bloße Illusion ist. . . ein Nebel.. . ein Nichts. Nämlich diese Masse, dieser Nebel, diese gefürchtete Vielheit ist weiter nichts als ein Stoff — „Material", wie man heute so schön und gefühlvoll zu sagen Pflegt. Alle guten Instinkte dieser Vielheit zu fördern, in ihrem schwer auf¬ zuklärenden Gewimmel die Köpfe zu grüßen, die Menschen aus den trübe grün- delnden Schwärmen herauszufischen und ihr Menschentum dann zu erhöhen — ja, wahrhaftig zu erhöhen (solch ein Idealist bin ich!), das ist Aufgabe der Presse! Entrüstet werft ihr ein: Aber das Geschäft! O Neunmalkluge, hier ankert ja die Wurzel all der Jämmerlichkeit. Ihr denkt, es lasse sich nur Geld verdienen, wenn man vor dem Publikum (jener erst zu formenden Masse, die ein Nebel, ein Nichts ist, solange sie der Zauberstab des Geistes nicht berührte) auf dem Bauche herumrutscht, seine gemeinsten Triebe füttert, kurzum, als ein recht ängstlicher Fabrikant „in Lebenslügen macht". Bequemer mag's freilich sein. Aber welche Angst, welche Erniedrigung aller Jntellektmenschen! Die Verleger verbeugen sich vor jenem schattenhaften Götzen, die Schreiber und Schriftsteller — ach diese auch l — haben natürlich vor den Verlegern Angst. Denn ganz gewiß ist es nötig zu leben. . . . Jedoch das Wesentliche übersehe ihr: Niemand wird sich auf die Dauer dagegen wehren wollen, wenn man ihm etwas Gutes vorsetzt. Wohl wahr: das Beste auf geistigem Gebiet fassen nur wenige Schädelweiten. Aber zwischen dem Kaviar der Auserwählten und der Sudelkost, mit der man den gebieterischen, in Wahrheit so duldsamer Moloch zu erfreuen meint, gibt es doch noch der Abstufungen mancherlei. Gebt Gutes, gewöhnt das „Publikum" an Vorzügliches, meinetwegen an eine mittlere Vor¬ züglichkeit, aber reinlich und tüchtig und ehrlich soll sie sein. Vertraut dem Gesundsinn der schweigenden Besseren! Wähnt nicht länger, die Masse, euere Herrin, wolle die Sudelkost; sie verehre Feigheit, Klatscherei und die Romane schlechter Autoren. Nein, sie läßt sich das eben gefallen, weil sie geduldig und — gestaltlos ist. Forme, gestaltet, ihr Herren, und ihr werdet dabei nicht schlechter fahren. Vielleicht sogar besser als in gegenwärtiger Trübsal. Also bildet, formt F. s. die ungestillte Masse! Ihr könnt dabei sogar noch — verdienen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/455>, abgerufen am 22.07.2024.