Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Parlament, sich an der Schaffung von Behörden zu beteiligen, die der Regierung
zur Lösung von Aufgaben nötig erscheinen, und zwar von Aufgaben, welche
die Volksvertretung selbst mit gestellt hat. Ein solcher Fall bedeutet immer
einen gewissen Eingriff in die Exekutive. staatsrechtlich betrachtet ist der Aufbau
der Behörden ein Teil der freien Verwaltungstätigkeit, und nur, wo, wie hier,
die Organisation im Zusammenhange mit der Regelung von Materien erfolgt,
die der Gesetzgebung unterliegen, hat sich die Volksvertretung unmittelbar damit
zu befassen. Außerdem bietet ihr auch noch das Budgetrecht die Handhabe, um
der Regierung die erforderlichen Mittel vorzuenthalten. Wenn somit der Reichstag
Zweifellos das Recht hat, die Einrichtung von Versicherungsämtern zu verhindern,
so wäre der Schritt uach dein Gesagten doch nicht ganz unbedenklich. Zudem
ist es fraglich, ob er von dauernder Wirkung bleiben würde. Denn die Er¬
fahrung lehrt, daß vom Reichstag zunächst verweigerte Behörden und Stellen,
wenn sie von der Regierung einmal als notwendig erkannt sind, mit der Zeit
doch bewilligt werden (vgl. zuletzt das selbständige Reichskolonialamt).

Vorläufig hat sich die Reichsregierimg daher auch nicht entmutigen lassen.
Zeitungsnachrichten zufolge ist sie vielmehr eifrig bemüht, über die Kosten der
von ihr geplanten Neuorganisation, welche zum Teil den Streitpunkt bilden,
Klarheit zu schaffen. Das letzte Wort ist jedenfalls noch nicht gesprochen.

Der Zweck der Versicherungsämter ist nach dem Entwürfe kurz der, daß
für die verschiedenen Zweige der Arbeiterversicherung eine einheitliche unterste
Instanz geschaffen wird. Oberste (dritte) Instanz, wenigstens für die Angelegen¬
heiten der Unfall- und der Invalidenversicherung, ist schon jetzt einheitlich das
Reichsversichernngsamt (das aber -- nebenbei bemerkt -- nicht die Eigenschaft
einer obersten Reichsbehörde hat, sondern dem Reichsamt des Innern untersteht),
bezw. das Landesversicherungsamt. Denselben beiden Versicheruugszweigen ist
als zweitinstanzliche Spruchbehörde gemeinsam das Schiedsgericht für Arbeiter¬
versicherung. In der untersten Instanz, in derjenigen also, die unmittelbar mit
den Versicherungsnehmern, d. h. den Arbeitern und Arbeiterinnen, zu verkehren
hat, sind Verfahren und Zuständigkeiten bei den drei Versicherungszweigen ganz
verschieden. Wer mit Rentenempfängern usw. in der dienstlichen Praxis zu tun
gehabt hat, weiß, daß diese von der eben nur oberflächlich angedeuteten Neben-
und Überordnung von Behörden meist keine Ahnung haben. Wenn schon der
Gebildete Mühe hat, den komplizierten Versicherungsorganismus zu begreifen,
so steht ihm der einfache Mann völlig ratlos gegenüber. Eine Vereinfachung
wäre hier also sehr wohl am Platze. Eine solche würde aber in dem einheit¬
lichen Unterbau, den der sachkundige Gras Posadowsky wiederholt als ein
sehr erstrebenswertes Ziel hingestellt hat, zweifellos liegen.

Was sind nun wohl die Gründe, die in dem sonst nicht gerade behörden¬
feindlichen Deutschland nicht nur gewisse Interessentenkreise, sondern fast die
ganze öffentliche Meinung gegen den Plan der Versicherungsämter mobil gemacht
haben? -- Zunächst sieht man mit Unbehagen, wie ohnehin die Zahl der


Grenzboten IV 1910 58

Parlament, sich an der Schaffung von Behörden zu beteiligen, die der Regierung
zur Lösung von Aufgaben nötig erscheinen, und zwar von Aufgaben, welche
die Volksvertretung selbst mit gestellt hat. Ein solcher Fall bedeutet immer
einen gewissen Eingriff in die Exekutive. staatsrechtlich betrachtet ist der Aufbau
der Behörden ein Teil der freien Verwaltungstätigkeit, und nur, wo, wie hier,
die Organisation im Zusammenhange mit der Regelung von Materien erfolgt,
die der Gesetzgebung unterliegen, hat sich die Volksvertretung unmittelbar damit
zu befassen. Außerdem bietet ihr auch noch das Budgetrecht die Handhabe, um
der Regierung die erforderlichen Mittel vorzuenthalten. Wenn somit der Reichstag
Zweifellos das Recht hat, die Einrichtung von Versicherungsämtern zu verhindern,
so wäre der Schritt uach dein Gesagten doch nicht ganz unbedenklich. Zudem
ist es fraglich, ob er von dauernder Wirkung bleiben würde. Denn die Er¬
fahrung lehrt, daß vom Reichstag zunächst verweigerte Behörden und Stellen,
wenn sie von der Regierung einmal als notwendig erkannt sind, mit der Zeit
doch bewilligt werden (vgl. zuletzt das selbständige Reichskolonialamt).

Vorläufig hat sich die Reichsregierimg daher auch nicht entmutigen lassen.
Zeitungsnachrichten zufolge ist sie vielmehr eifrig bemüht, über die Kosten der
von ihr geplanten Neuorganisation, welche zum Teil den Streitpunkt bilden,
Klarheit zu schaffen. Das letzte Wort ist jedenfalls noch nicht gesprochen.

Der Zweck der Versicherungsämter ist nach dem Entwürfe kurz der, daß
für die verschiedenen Zweige der Arbeiterversicherung eine einheitliche unterste
Instanz geschaffen wird. Oberste (dritte) Instanz, wenigstens für die Angelegen¬
heiten der Unfall- und der Invalidenversicherung, ist schon jetzt einheitlich das
Reichsversichernngsamt (das aber — nebenbei bemerkt — nicht die Eigenschaft
einer obersten Reichsbehörde hat, sondern dem Reichsamt des Innern untersteht),
bezw. das Landesversicherungsamt. Denselben beiden Versicheruugszweigen ist
als zweitinstanzliche Spruchbehörde gemeinsam das Schiedsgericht für Arbeiter¬
versicherung. In der untersten Instanz, in derjenigen also, die unmittelbar mit
den Versicherungsnehmern, d. h. den Arbeitern und Arbeiterinnen, zu verkehren
hat, sind Verfahren und Zuständigkeiten bei den drei Versicherungszweigen ganz
verschieden. Wer mit Rentenempfängern usw. in der dienstlichen Praxis zu tun
gehabt hat, weiß, daß diese von der eben nur oberflächlich angedeuteten Neben-
und Überordnung von Behörden meist keine Ahnung haben. Wenn schon der
Gebildete Mühe hat, den komplizierten Versicherungsorganismus zu begreifen,
so steht ihm der einfache Mann völlig ratlos gegenüber. Eine Vereinfachung
wäre hier also sehr wohl am Platze. Eine solche würde aber in dem einheit¬
lichen Unterbau, den der sachkundige Gras Posadowsky wiederholt als ein
sehr erstrebenswertes Ziel hingestellt hat, zweifellos liegen.

Was sind nun wohl die Gründe, die in dem sonst nicht gerade behörden¬
feindlichen Deutschland nicht nur gewisse Interessentenkreise, sondern fast die
ganze öffentliche Meinung gegen den Plan der Versicherungsämter mobil gemacht
haben? — Zunächst sieht man mit Unbehagen, wie ohnehin die Zahl der


Grenzboten IV 1910 58
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317380"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1945" prev="#ID_1944"> Parlament, sich an der Schaffung von Behörden zu beteiligen, die der Regierung<lb/>
zur Lösung von Aufgaben nötig erscheinen, und zwar von Aufgaben, welche<lb/>
die Volksvertretung selbst mit gestellt hat. Ein solcher Fall bedeutet immer<lb/>
einen gewissen Eingriff in die Exekutive. staatsrechtlich betrachtet ist der Aufbau<lb/>
der Behörden ein Teil der freien Verwaltungstätigkeit, und nur, wo, wie hier,<lb/>
die Organisation im Zusammenhange mit der Regelung von Materien erfolgt,<lb/>
die der Gesetzgebung unterliegen, hat sich die Volksvertretung unmittelbar damit<lb/>
zu befassen. Außerdem bietet ihr auch noch das Budgetrecht die Handhabe, um<lb/>
der Regierung die erforderlichen Mittel vorzuenthalten. Wenn somit der Reichstag<lb/>
Zweifellos das Recht hat, die Einrichtung von Versicherungsämtern zu verhindern,<lb/>
so wäre der Schritt uach dein Gesagten doch nicht ganz unbedenklich. Zudem<lb/>
ist es fraglich, ob er von dauernder Wirkung bleiben würde. Denn die Er¬<lb/>
fahrung lehrt, daß vom Reichstag zunächst verweigerte Behörden und Stellen,<lb/>
wenn sie von der Regierung einmal als notwendig erkannt sind, mit der Zeit<lb/>
doch bewilligt werden (vgl. zuletzt das selbständige Reichskolonialamt).</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1946"> Vorläufig hat sich die Reichsregierimg daher auch nicht entmutigen lassen.<lb/>
Zeitungsnachrichten zufolge ist sie vielmehr eifrig bemüht, über die Kosten der<lb/>
von ihr geplanten Neuorganisation, welche zum Teil den Streitpunkt bilden,<lb/>
Klarheit zu schaffen.  Das letzte Wort ist jedenfalls noch nicht gesprochen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1947"> Der Zweck der Versicherungsämter ist nach dem Entwürfe kurz der, daß<lb/>
für die verschiedenen Zweige der Arbeiterversicherung eine einheitliche unterste<lb/>
Instanz geschaffen wird. Oberste (dritte) Instanz, wenigstens für die Angelegen¬<lb/>
heiten der Unfall- und der Invalidenversicherung, ist schon jetzt einheitlich das<lb/>
Reichsversichernngsamt (das aber &#x2014; nebenbei bemerkt &#x2014; nicht die Eigenschaft<lb/>
einer obersten Reichsbehörde hat, sondern dem Reichsamt des Innern untersteht),<lb/>
bezw. das Landesversicherungsamt. Denselben beiden Versicheruugszweigen ist<lb/>
als zweitinstanzliche Spruchbehörde gemeinsam das Schiedsgericht für Arbeiter¬<lb/>
versicherung. In der untersten Instanz, in derjenigen also, die unmittelbar mit<lb/>
den Versicherungsnehmern, d. h. den Arbeitern und Arbeiterinnen, zu verkehren<lb/>
hat, sind Verfahren und Zuständigkeiten bei den drei Versicherungszweigen ganz<lb/>
verschieden. Wer mit Rentenempfängern usw. in der dienstlichen Praxis zu tun<lb/>
gehabt hat, weiß, daß diese von der eben nur oberflächlich angedeuteten Neben-<lb/>
und Überordnung von Behörden meist keine Ahnung haben. Wenn schon der<lb/>
Gebildete Mühe hat, den komplizierten Versicherungsorganismus zu begreifen,<lb/>
so steht ihm der einfache Mann völlig ratlos gegenüber. Eine Vereinfachung<lb/>
wäre hier also sehr wohl am Platze. Eine solche würde aber in dem einheit¬<lb/>
lichen Unterbau, den der sachkundige Gras Posadowsky wiederholt als ein<lb/>
sehr erstrebenswertes Ziel hingestellt hat, zweifellos liegen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1948" next="#ID_1949"> Was sind nun wohl die Gründe, die in dem sonst nicht gerade behörden¬<lb/>
feindlichen Deutschland nicht nur gewisse Interessentenkreise, sondern fast die<lb/>
ganze öffentliche Meinung gegen den Plan der Versicherungsämter mobil gemacht<lb/>
haben? &#x2014; Zunächst sieht man mit Unbehagen, wie ohnehin die Zahl der</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1910 58</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] Parlament, sich an der Schaffung von Behörden zu beteiligen, die der Regierung zur Lösung von Aufgaben nötig erscheinen, und zwar von Aufgaben, welche die Volksvertretung selbst mit gestellt hat. Ein solcher Fall bedeutet immer einen gewissen Eingriff in die Exekutive. staatsrechtlich betrachtet ist der Aufbau der Behörden ein Teil der freien Verwaltungstätigkeit, und nur, wo, wie hier, die Organisation im Zusammenhange mit der Regelung von Materien erfolgt, die der Gesetzgebung unterliegen, hat sich die Volksvertretung unmittelbar damit zu befassen. Außerdem bietet ihr auch noch das Budgetrecht die Handhabe, um der Regierung die erforderlichen Mittel vorzuenthalten. Wenn somit der Reichstag Zweifellos das Recht hat, die Einrichtung von Versicherungsämtern zu verhindern, so wäre der Schritt uach dein Gesagten doch nicht ganz unbedenklich. Zudem ist es fraglich, ob er von dauernder Wirkung bleiben würde. Denn die Er¬ fahrung lehrt, daß vom Reichstag zunächst verweigerte Behörden und Stellen, wenn sie von der Regierung einmal als notwendig erkannt sind, mit der Zeit doch bewilligt werden (vgl. zuletzt das selbständige Reichskolonialamt). Vorläufig hat sich die Reichsregierimg daher auch nicht entmutigen lassen. Zeitungsnachrichten zufolge ist sie vielmehr eifrig bemüht, über die Kosten der von ihr geplanten Neuorganisation, welche zum Teil den Streitpunkt bilden, Klarheit zu schaffen. Das letzte Wort ist jedenfalls noch nicht gesprochen. Der Zweck der Versicherungsämter ist nach dem Entwürfe kurz der, daß für die verschiedenen Zweige der Arbeiterversicherung eine einheitliche unterste Instanz geschaffen wird. Oberste (dritte) Instanz, wenigstens für die Angelegen¬ heiten der Unfall- und der Invalidenversicherung, ist schon jetzt einheitlich das Reichsversichernngsamt (das aber — nebenbei bemerkt — nicht die Eigenschaft einer obersten Reichsbehörde hat, sondern dem Reichsamt des Innern untersteht), bezw. das Landesversicherungsamt. Denselben beiden Versicheruugszweigen ist als zweitinstanzliche Spruchbehörde gemeinsam das Schiedsgericht für Arbeiter¬ versicherung. In der untersten Instanz, in derjenigen also, die unmittelbar mit den Versicherungsnehmern, d. h. den Arbeitern und Arbeiterinnen, zu verkehren hat, sind Verfahren und Zuständigkeiten bei den drei Versicherungszweigen ganz verschieden. Wer mit Rentenempfängern usw. in der dienstlichen Praxis zu tun gehabt hat, weiß, daß diese von der eben nur oberflächlich angedeuteten Neben- und Überordnung von Behörden meist keine Ahnung haben. Wenn schon der Gebildete Mühe hat, den komplizierten Versicherungsorganismus zu begreifen, so steht ihm der einfache Mann völlig ratlos gegenüber. Eine Vereinfachung wäre hier also sehr wohl am Platze. Eine solche würde aber in dem einheit¬ lichen Unterbau, den der sachkundige Gras Posadowsky wiederholt als ein sehr erstrebenswertes Ziel hingestellt hat, zweifellos liegen. Was sind nun wohl die Gründe, die in dem sonst nicht gerade behörden¬ feindlichen Deutschland nicht nur gewisse Interessentenkreise, sondern fast die ganze öffentliche Meinung gegen den Plan der Versicherungsämter mobil gemacht haben? — Zunächst sieht man mit Unbehagen, wie ohnehin die Zahl der Grenzboten IV 1910 58

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/429>, abgerufen am 22.07.2024.