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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Mlhelni Raabo und Berlin

Sonnenschein, und so wächst ihm aus seinen: Erinnern eine Dichtung verklärenden
Heimwehs.

Ist in den "Alten Nestern" für den Privatdozenten an der Friedrich-Wilhelms-
Universität, Doktor Friedrich Langreuter-Berlin, nur die Zuflucht vereinsamter
Jahre, so tritt auf einmal in einem der nächsten Bücher Raabes ein leibhaftiger,
vollbärtiger Berliner auf den Plan, in Gestalt des Königlich-kaiserlichen Hof¬
schieferdeckermeisters Wilhelm Schocnow. Auch hier spielt sich ja das Haupt¬
geschehen in der Provinz ab, und die beiden jungen Menschenkinder, die die
heimlichen Helden der Geschichte sind, leben ihr erstes zart knospenhaftes Glück
auch wieder in der grün umhegten Stille einer deutschen Kleinstadt; aber diesmal
geht Raabe -- und gar nicht nur so beiläufig -- dem Berliner als solchem
zu Leibe und bildet ihn als ein Meisterstück der Schöpfung mit innerstem
Behagen und lächelnder Liebe nach. Gewann sich Cäsar durch die Rettung
eines römischen Landsmannes die Bürgerkrone, so hätte, wer den Kameraden
Schoenow erschaffen hat, schon allein um dessentwillen den Ehrenbürgerbrief der
Haupt- und Residenzstadt verdient. Raabe selbst macht kein Hehl daraus, daß
er hier die Züge eines vollgewichtigen Vertreters einer aussterbenden Gattung
für die Unsterblichkeit retten will. Es ist ihm selber bange vor "all dein
abgefeimten, tagtäglich aus allen nichtsnutzigen, doppeltgenähten Windgegenden
zuziehende Volk, das uns eingeborenen oder am Orte selbst gefundenen kindlichen
Urbcrlinern die Charaktere verdirbt und zur Weltstadt macht". Mir die Gestalt,
die er darum noch einmal in der unverfälschten Reinheit des Typus aus der
Taufe heben will, bittet er dann mit lustigem Augenzwinkern Goethe zu
Gevatter.

"Das Dämonische wirft sich gern an bedeutende Figuren, auch wählt es
sich gern etwas dunkle Zeiten. In einer klaren prosaischen Stadt wie Berlin
fände es kaum Gelegenheit, sich zu manifestieren." -- "Es lebt dort ein so
verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delikatesse nicht weit
reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob
sein muß, um sich über Wasser zu halten." (Aus den Gesprächen mit Eckermann.)
Und wie Goethe von Zelter, der "bei der ersten Bekanntschaft etwas sehr derbe,
ja mitunter sogar etwas roh erscheinen kann", zugesteht, daß er kaum jemand
kenne, "der zugleich so zart wäre", so hebt nun Raabe an seinem Berliner
gerade die Züge kernhafter Güte gar liebenswürdig ans Licht.

Raabe steht den: Berliner natürlich anders gegenüber als Fontane, der
ein Leben lang selber durch die Großstadt spazieren ging und den Eingeborenen
doch fast wie seinesgleichen täglich vor Augen sah: er betrachtet sich ihn mehr
wie ein Sonntagsbesuch vom Land als eine einzige, auf ihre wundervoll
besondere Art gewinnende zoologische Merkwürdigkeit. Die Farben sind anders
gemischt, und die Lichter blitzen nicht in den sprühenden Blinkfeuern auf wie
bei Fontäne, aber gerade die Sattheit der Pinselführung schafft im Verein mit
ihrer verblüffenden Sicherheit ein Wohlgefühl der gediegenste!!, fröhlichsten Art.


Mlhelni Raabo und Berlin

Sonnenschein, und so wächst ihm aus seinen: Erinnern eine Dichtung verklärenden
Heimwehs.

Ist in den „Alten Nestern" für den Privatdozenten an der Friedrich-Wilhelms-
Universität, Doktor Friedrich Langreuter-Berlin, nur die Zuflucht vereinsamter
Jahre, so tritt auf einmal in einem der nächsten Bücher Raabes ein leibhaftiger,
vollbärtiger Berliner auf den Plan, in Gestalt des Königlich-kaiserlichen Hof¬
schieferdeckermeisters Wilhelm Schocnow. Auch hier spielt sich ja das Haupt¬
geschehen in der Provinz ab, und die beiden jungen Menschenkinder, die die
heimlichen Helden der Geschichte sind, leben ihr erstes zart knospenhaftes Glück
auch wieder in der grün umhegten Stille einer deutschen Kleinstadt; aber diesmal
geht Raabe — und gar nicht nur so beiläufig — dem Berliner als solchem
zu Leibe und bildet ihn als ein Meisterstück der Schöpfung mit innerstem
Behagen und lächelnder Liebe nach. Gewann sich Cäsar durch die Rettung
eines römischen Landsmannes die Bürgerkrone, so hätte, wer den Kameraden
Schoenow erschaffen hat, schon allein um dessentwillen den Ehrenbürgerbrief der
Haupt- und Residenzstadt verdient. Raabe selbst macht kein Hehl daraus, daß
er hier die Züge eines vollgewichtigen Vertreters einer aussterbenden Gattung
für die Unsterblichkeit retten will. Es ist ihm selber bange vor „all dein
abgefeimten, tagtäglich aus allen nichtsnutzigen, doppeltgenähten Windgegenden
zuziehende Volk, das uns eingeborenen oder am Orte selbst gefundenen kindlichen
Urbcrlinern die Charaktere verdirbt und zur Weltstadt macht". Mir die Gestalt,
die er darum noch einmal in der unverfälschten Reinheit des Typus aus der
Taufe heben will, bittet er dann mit lustigem Augenzwinkern Goethe zu
Gevatter.

„Das Dämonische wirft sich gern an bedeutende Figuren, auch wählt es
sich gern etwas dunkle Zeiten. In einer klaren prosaischen Stadt wie Berlin
fände es kaum Gelegenheit, sich zu manifestieren." — „Es lebt dort ein so
verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delikatesse nicht weit
reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob
sein muß, um sich über Wasser zu halten." (Aus den Gesprächen mit Eckermann.)
Und wie Goethe von Zelter, der „bei der ersten Bekanntschaft etwas sehr derbe,
ja mitunter sogar etwas roh erscheinen kann", zugesteht, daß er kaum jemand
kenne, „der zugleich so zart wäre", so hebt nun Raabe an seinem Berliner
gerade die Züge kernhafter Güte gar liebenswürdig ans Licht.

Raabe steht den: Berliner natürlich anders gegenüber als Fontane, der
ein Leben lang selber durch die Großstadt spazieren ging und den Eingeborenen
doch fast wie seinesgleichen täglich vor Augen sah: er betrachtet sich ihn mehr
wie ein Sonntagsbesuch vom Land als eine einzige, auf ihre wundervoll
besondere Art gewinnende zoologische Merkwürdigkeit. Die Farben sind anders
gemischt, und die Lichter blitzen nicht in den sprühenden Blinkfeuern auf wie
bei Fontäne, aber gerade die Sattheit der Pinselführung schafft im Verein mit
ihrer verblüffenden Sicherheit ein Wohlgefühl der gediegenste!!, fröhlichsten Art.


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[0425] Mlhelni Raabo und Berlin Sonnenschein, und so wächst ihm aus seinen: Erinnern eine Dichtung verklärenden Heimwehs. Ist in den „Alten Nestern" für den Privatdozenten an der Friedrich-Wilhelms- Universität, Doktor Friedrich Langreuter-Berlin, nur die Zuflucht vereinsamter Jahre, so tritt auf einmal in einem der nächsten Bücher Raabes ein leibhaftiger, vollbärtiger Berliner auf den Plan, in Gestalt des Königlich-kaiserlichen Hof¬ schieferdeckermeisters Wilhelm Schocnow. Auch hier spielt sich ja das Haupt¬ geschehen in der Provinz ab, und die beiden jungen Menschenkinder, die die heimlichen Helden der Geschichte sind, leben ihr erstes zart knospenhaftes Glück auch wieder in der grün umhegten Stille einer deutschen Kleinstadt; aber diesmal geht Raabe — und gar nicht nur so beiläufig — dem Berliner als solchem zu Leibe und bildet ihn als ein Meisterstück der Schöpfung mit innerstem Behagen und lächelnder Liebe nach. Gewann sich Cäsar durch die Rettung eines römischen Landsmannes die Bürgerkrone, so hätte, wer den Kameraden Schoenow erschaffen hat, schon allein um dessentwillen den Ehrenbürgerbrief der Haupt- und Residenzstadt verdient. Raabe selbst macht kein Hehl daraus, daß er hier die Züge eines vollgewichtigen Vertreters einer aussterbenden Gattung für die Unsterblichkeit retten will. Es ist ihm selber bange vor „all dein abgefeimten, tagtäglich aus allen nichtsnutzigen, doppeltgenähten Windgegenden zuziehende Volk, das uns eingeborenen oder am Orte selbst gefundenen kindlichen Urbcrlinern die Charaktere verdirbt und zur Weltstadt macht". Mir die Gestalt, die er darum noch einmal in der unverfälschten Reinheit des Typus aus der Taufe heben will, bittet er dann mit lustigem Augenzwinkern Goethe zu Gevatter. „Das Dämonische wirft sich gern an bedeutende Figuren, auch wählt es sich gern etwas dunkle Zeiten. In einer klaren prosaischen Stadt wie Berlin fände es kaum Gelegenheit, sich zu manifestieren." — „Es lebt dort ein so verwegener Menschenschlag beisammen, daß man mit der Delikatesse nicht weit reicht, sondern daß man Haare auf den Zähnen haben und mitunter etwas grob sein muß, um sich über Wasser zu halten." (Aus den Gesprächen mit Eckermann.) Und wie Goethe von Zelter, der „bei der ersten Bekanntschaft etwas sehr derbe, ja mitunter sogar etwas roh erscheinen kann", zugesteht, daß er kaum jemand kenne, „der zugleich so zart wäre", so hebt nun Raabe an seinem Berliner gerade die Züge kernhafter Güte gar liebenswürdig ans Licht. Raabe steht den: Berliner natürlich anders gegenüber als Fontane, der ein Leben lang selber durch die Großstadt spazieren ging und den Eingeborenen doch fast wie seinesgleichen täglich vor Augen sah: er betrachtet sich ihn mehr wie ein Sonntagsbesuch vom Land als eine einzige, auf ihre wundervoll besondere Art gewinnende zoologische Merkwürdigkeit. Die Farben sind anders gemischt, und die Lichter blitzen nicht in den sprühenden Blinkfeuern auf wie bei Fontäne, aber gerade die Sattheit der Pinselführung schafft im Verein mit ihrer verblüffenden Sicherheit ein Wohlgefühl der gediegenste!!, fröhlichsten Art.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/425>, abgerufen am 23.07.2024.