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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

Ich nenne aufs Geratewohl: scharfen Verstand, der ebenso leicht und sicher rein
begriffliche Denkarbeit leistet, wie die Erscheinungen des praktischen Lebens zer¬
gliedert und begreift; lebhafte Phantasie, die ihn befähigt, eine reiche allgemeine
Bildung und ein gewaltiges Fachwissen zu beherrschen oder bei der Betrachtung
der Dinge um sich herum durch Zusammenfassung des Einzelnen das Ganze
zu verstehn oder die seiner harrenden Aufgaben und die Ziele seiner Wirksamkeit
zu erkennen; hohes Selbstbewußtsein und eine Bescheidenheit, die immer bereit
ist, von jedermann zu lernen, selbst vom Geringsten; herzliches Mitgefühl mit
allen: Menschenschicksal, das ihm entgegentritt, und die Fähigkeit, rücksichtslos
durchzugreifen, wenn es das Wohl der Allgemeinheit verlangt; dazu das, was
Treitschke vom Staatsmann fordert: Kraft des Willens, massiven Ehrgeiz,
leidenschaftliche Freude an unausgesetzter Tätigkeit und am Erfolg, aber alles
das gezügelt durch unbestechliche Uneigennützigkeit und einen sichern Blick für
das Notwendige und das Erreichbare; endlich die Gabe, mit dem Höchsten wie
mit dem Niedrigsten gleich sicher zu verkehren, bezaubernd liebenswürdig und,
wenn es not tut, unwiderstehlich grob zu sein -- kurz, auch in dieser nicht
erschöpfenden Aufzählung eine Fülle der seltensten und namentlich widerspruch¬
vollsten Gaben und Eigenschaften, die das Schicksal nur selten einem Sterblichen
verleiht. Um so wichtiger ist daher grade in der Verwaltung eine fortgesetzte
sorgfältige Auswahl und Auslese. --

Über die Zustände im preußischen Verwaltungsdienst hat man unendlich
viel hin und her geredet und geschrieben, besonders im Zusammenhang mit
den vielfachen Verhandlungen über die gesetzliche Neuregelung der Befähigung
für diesen Zweig des Staatsdiensts. Genützt hat das nicht, weil man den Kern
der Frage nicht traf. So hat man sich des längern und breitern darüber
unterhalten, daß ein Verwaltungsbeamter Takt und Kinderstube haben müsse,
aber niemand hat erwähnt, daß ein voll gerütteltes Maß von Verstand und
Mutterwitz für ihn unentbehrlich ist, obwohl dies nicht selbstverständlicher ist
als jenes. Auch hat niemand darauf hingewiesen, daß die Verwaltungslaufbahn
einen ganz bestimmten abgeschlossenen Beruf darstelle und daß damit ohne
weiteres alles gegeben sei, was von der theoretischen und praktischen Vor- und
Ausbildung der Verwaltungsbeamten verlangt werden müsse, damit diese Fach¬
männer würden. Hierher gehören auch das unglaublich törichte Gerede von
der Notwendigkeit, die Verwaltungsbeamten mit kaufmännischen Geist zu erfüllen
und die Vorschläge, die Reichs- und Staatsbehörden mit Männern aus dem
praktischen Leben, dem Handel, der Industrie, der Schiffahrt oder mit "Ver¬
waltungsingenieuren" zu besetzen. Ich werde später hierauf zurückzukommen
haben und kann mich daher hier auf die Bemerkung beschränken, daß die
Urheber dieser Vorschläge weder vom kaufmännischen Geist noch von der Ver¬
waltung eine Ahnung haben.

Ebensowenig haben Erörterungen, die das andre Gebrechen unsrer Ver¬
waltung, die Günstlingswirtschaft, berührten, zur Aufklärung der öffentlichen


Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

Ich nenne aufs Geratewohl: scharfen Verstand, der ebenso leicht und sicher rein
begriffliche Denkarbeit leistet, wie die Erscheinungen des praktischen Lebens zer¬
gliedert und begreift; lebhafte Phantasie, die ihn befähigt, eine reiche allgemeine
Bildung und ein gewaltiges Fachwissen zu beherrschen oder bei der Betrachtung
der Dinge um sich herum durch Zusammenfassung des Einzelnen das Ganze
zu verstehn oder die seiner harrenden Aufgaben und die Ziele seiner Wirksamkeit
zu erkennen; hohes Selbstbewußtsein und eine Bescheidenheit, die immer bereit
ist, von jedermann zu lernen, selbst vom Geringsten; herzliches Mitgefühl mit
allen: Menschenschicksal, das ihm entgegentritt, und die Fähigkeit, rücksichtslos
durchzugreifen, wenn es das Wohl der Allgemeinheit verlangt; dazu das, was
Treitschke vom Staatsmann fordert: Kraft des Willens, massiven Ehrgeiz,
leidenschaftliche Freude an unausgesetzter Tätigkeit und am Erfolg, aber alles
das gezügelt durch unbestechliche Uneigennützigkeit und einen sichern Blick für
das Notwendige und das Erreichbare; endlich die Gabe, mit dem Höchsten wie
mit dem Niedrigsten gleich sicher zu verkehren, bezaubernd liebenswürdig und,
wenn es not tut, unwiderstehlich grob zu sein — kurz, auch in dieser nicht
erschöpfenden Aufzählung eine Fülle der seltensten und namentlich widerspruch¬
vollsten Gaben und Eigenschaften, die das Schicksal nur selten einem Sterblichen
verleiht. Um so wichtiger ist daher grade in der Verwaltung eine fortgesetzte
sorgfältige Auswahl und Auslese. —

Über die Zustände im preußischen Verwaltungsdienst hat man unendlich
viel hin und her geredet und geschrieben, besonders im Zusammenhang mit
den vielfachen Verhandlungen über die gesetzliche Neuregelung der Befähigung
für diesen Zweig des Staatsdiensts. Genützt hat das nicht, weil man den Kern
der Frage nicht traf. So hat man sich des längern und breitern darüber
unterhalten, daß ein Verwaltungsbeamter Takt und Kinderstube haben müsse,
aber niemand hat erwähnt, daß ein voll gerütteltes Maß von Verstand und
Mutterwitz für ihn unentbehrlich ist, obwohl dies nicht selbstverständlicher ist
als jenes. Auch hat niemand darauf hingewiesen, daß die Verwaltungslaufbahn
einen ganz bestimmten abgeschlossenen Beruf darstelle und daß damit ohne
weiteres alles gegeben sei, was von der theoretischen und praktischen Vor- und
Ausbildung der Verwaltungsbeamten verlangt werden müsse, damit diese Fach¬
männer würden. Hierher gehören auch das unglaublich törichte Gerede von
der Notwendigkeit, die Verwaltungsbeamten mit kaufmännischen Geist zu erfüllen
und die Vorschläge, die Reichs- und Staatsbehörden mit Männern aus dem
praktischen Leben, dem Handel, der Industrie, der Schiffahrt oder mit „Ver¬
waltungsingenieuren" zu besetzen. Ich werde später hierauf zurückzukommen
haben und kann mich daher hier auf die Bemerkung beschränken, daß die
Urheber dieser Vorschläge weder vom kaufmännischen Geist noch von der Ver¬
waltung eine Ahnung haben.

Ebensowenig haben Erörterungen, die das andre Gebrechen unsrer Ver¬
waltung, die Günstlingswirtschaft, berührten, zur Aufklärung der öffentlichen


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[0322] Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung Ich nenne aufs Geratewohl: scharfen Verstand, der ebenso leicht und sicher rein begriffliche Denkarbeit leistet, wie die Erscheinungen des praktischen Lebens zer¬ gliedert und begreift; lebhafte Phantasie, die ihn befähigt, eine reiche allgemeine Bildung und ein gewaltiges Fachwissen zu beherrschen oder bei der Betrachtung der Dinge um sich herum durch Zusammenfassung des Einzelnen das Ganze zu verstehn oder die seiner harrenden Aufgaben und die Ziele seiner Wirksamkeit zu erkennen; hohes Selbstbewußtsein und eine Bescheidenheit, die immer bereit ist, von jedermann zu lernen, selbst vom Geringsten; herzliches Mitgefühl mit allen: Menschenschicksal, das ihm entgegentritt, und die Fähigkeit, rücksichtslos durchzugreifen, wenn es das Wohl der Allgemeinheit verlangt; dazu das, was Treitschke vom Staatsmann fordert: Kraft des Willens, massiven Ehrgeiz, leidenschaftliche Freude an unausgesetzter Tätigkeit und am Erfolg, aber alles das gezügelt durch unbestechliche Uneigennützigkeit und einen sichern Blick für das Notwendige und das Erreichbare; endlich die Gabe, mit dem Höchsten wie mit dem Niedrigsten gleich sicher zu verkehren, bezaubernd liebenswürdig und, wenn es not tut, unwiderstehlich grob zu sein — kurz, auch in dieser nicht erschöpfenden Aufzählung eine Fülle der seltensten und namentlich widerspruch¬ vollsten Gaben und Eigenschaften, die das Schicksal nur selten einem Sterblichen verleiht. Um so wichtiger ist daher grade in der Verwaltung eine fortgesetzte sorgfältige Auswahl und Auslese. — Über die Zustände im preußischen Verwaltungsdienst hat man unendlich viel hin und her geredet und geschrieben, besonders im Zusammenhang mit den vielfachen Verhandlungen über die gesetzliche Neuregelung der Befähigung für diesen Zweig des Staatsdiensts. Genützt hat das nicht, weil man den Kern der Frage nicht traf. So hat man sich des längern und breitern darüber unterhalten, daß ein Verwaltungsbeamter Takt und Kinderstube haben müsse, aber niemand hat erwähnt, daß ein voll gerütteltes Maß von Verstand und Mutterwitz für ihn unentbehrlich ist, obwohl dies nicht selbstverständlicher ist als jenes. Auch hat niemand darauf hingewiesen, daß die Verwaltungslaufbahn einen ganz bestimmten abgeschlossenen Beruf darstelle und daß damit ohne weiteres alles gegeben sei, was von der theoretischen und praktischen Vor- und Ausbildung der Verwaltungsbeamten verlangt werden müsse, damit diese Fach¬ männer würden. Hierher gehören auch das unglaublich törichte Gerede von der Notwendigkeit, die Verwaltungsbeamten mit kaufmännischen Geist zu erfüllen und die Vorschläge, die Reichs- und Staatsbehörden mit Männern aus dem praktischen Leben, dem Handel, der Industrie, der Schiffahrt oder mit „Ver¬ waltungsingenieuren" zu besetzen. Ich werde später hierauf zurückzukommen haben und kann mich daher hier auf die Bemerkung beschränken, daß die Urheber dieser Vorschläge weder vom kaufmännischen Geist noch von der Ver¬ waltung eine Ahnung haben. Ebensowenig haben Erörterungen, die das andre Gebrechen unsrer Ver¬ waltung, die Günstlingswirtschaft, berührten, zur Aufklärung der öffentlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/322>, abgerufen am 23.07.2024.