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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

unausgesetzt mit wachsendem Eifer und Erfolg dafür, den Nachwuchs zu
theoretisch und praktisch allseitig ausgebildeten Fachmännern zu machen und
durch möglichst gute Einrichtungen die natürliche Auslese der Besten und
Tüchtigsten zu sichern. Ich erinnere nur an die uns am nächsten liegenden
Bestrebungen, den Richterstand zu heben; einen der eifrigsten Vorkämpfer, Ober¬
bürgermeister Adickes, habe ich früher genannt. Alles das geht auf allseitige
Hebung der Persönlichkeit des einzelnen, nicht auf "Stückwerksreform" aus.
Wenn diese Bemühungen nur einigermaßen Erfolg haben, dann werden wir in
der Verwaltung bedenklich ins Hintertreffen geraten. Ebenso arbeitet die Armee
immerfort an ihrer Vervollkommnung. Aber auch die freien Berufe sind nicht
zurückgeblieben. Was geschieht nicht alles, um den Handwerksmeister wieder
Ma geschulten Fachmann zu machen? oder um unsern Landwirten, Technikern,
Kaufleuten eine allseitige Fachbildung zu erschließen? Überall entstehen höhere
und niedere Fachschulen und schon treten die Technischen Hochschulen und neuer¬
dings die Handelshochschulen neben die altehrwürdigen Universitäten und verlangen
gleiche Geltung mit diesen. Und, um ein ganz andres Gebiet zu nennen, was
scheint mehr lediglich ein einfaches natürliches Empfinden und gesunden praktischen
Menschenverstand zu fordern, als die Fürsorge für Unmündige und Arme? Und
dennoch sind die Sachverständigen auf diesen Gebieten schon längst davon über¬
zeugt, daß auch hier nur der geschulte Fachmann wirklich Gedeihliches leisten
kann, und demgemäß geht eine Stadtgemeinde nach der andern dazu über,
Berufsvormuudschaft und Berufsarmenpflege einzurichten. Ähnliches gilt von
der Auslese der Tüchtigsten. Die Justizverwaltung begeht zwar den großen
Fehler, von ihrem Recht, bei der Annahme der Anwärter zu sichten, keinen
Gebrauch zu machen, womit sie sich eine schwere und auf die Dauer unerträgliche
Last aufladet, später trifft sie aber eine sorgfältige Auswahl. Wer in der Armee
für eine höhere Stelle nicht geeignet ist, wird nicht nur übergangen, sondern
muß ganz ausscheiden. Einem Bankbeamten, der nicht genügt, droht sofortige Ent¬
lassung. Und alle außer den Betroffenen halten dies für natürlich und gerechtfertigt.

Nur die Verwaltung soll es nicht so gut haben. Dabei stellt kein Beruf
an seine Angehörigen so hohe Anforderungen wie sie, namentlich heutzutage,
wo sich infolge der früher geschilderten gewaltigen Umwälzung in allen Ver¬
hältnissen des Landes und der bessern Erkenntnis des Kultur- und Wohlfahrts¬
zwecks des Staats die Tätigkeit der Staatsverwaltung, ähnlich dem alten
Staat, auf immer weitere Gebiete erstreckt, so daß jetzt eigentlich alles, was
auf, über und unter der Erde ist, Gegenstand der Staatsfürsorge sein kann.
Dabei haben wir aber nicht mehr den alten Polizeistaat mit seinen scharfen
Machtmitteln, sondern einen Rechtsstaat, der nur noch in geringem Maß Zwang
zur Verfügung hat, so daß es jetzt sehr viel mehr auf Überreden als auf Befehlen
ankommt.

Man mache sich nur einmal klar, was uuter diese" Umständen ein Ver¬
waltungsbeamter mitbringen muß, wenn er wirklich seine Stelle ausfülle" will.


Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung

unausgesetzt mit wachsendem Eifer und Erfolg dafür, den Nachwuchs zu
theoretisch und praktisch allseitig ausgebildeten Fachmännern zu machen und
durch möglichst gute Einrichtungen die natürliche Auslese der Besten und
Tüchtigsten zu sichern. Ich erinnere nur an die uns am nächsten liegenden
Bestrebungen, den Richterstand zu heben; einen der eifrigsten Vorkämpfer, Ober¬
bürgermeister Adickes, habe ich früher genannt. Alles das geht auf allseitige
Hebung der Persönlichkeit des einzelnen, nicht auf „Stückwerksreform" aus.
Wenn diese Bemühungen nur einigermaßen Erfolg haben, dann werden wir in
der Verwaltung bedenklich ins Hintertreffen geraten. Ebenso arbeitet die Armee
immerfort an ihrer Vervollkommnung. Aber auch die freien Berufe sind nicht
zurückgeblieben. Was geschieht nicht alles, um den Handwerksmeister wieder
Ma geschulten Fachmann zu machen? oder um unsern Landwirten, Technikern,
Kaufleuten eine allseitige Fachbildung zu erschließen? Überall entstehen höhere
und niedere Fachschulen und schon treten die Technischen Hochschulen und neuer¬
dings die Handelshochschulen neben die altehrwürdigen Universitäten und verlangen
gleiche Geltung mit diesen. Und, um ein ganz andres Gebiet zu nennen, was
scheint mehr lediglich ein einfaches natürliches Empfinden und gesunden praktischen
Menschenverstand zu fordern, als die Fürsorge für Unmündige und Arme? Und
dennoch sind die Sachverständigen auf diesen Gebieten schon längst davon über¬
zeugt, daß auch hier nur der geschulte Fachmann wirklich Gedeihliches leisten
kann, und demgemäß geht eine Stadtgemeinde nach der andern dazu über,
Berufsvormuudschaft und Berufsarmenpflege einzurichten. Ähnliches gilt von
der Auslese der Tüchtigsten. Die Justizverwaltung begeht zwar den großen
Fehler, von ihrem Recht, bei der Annahme der Anwärter zu sichten, keinen
Gebrauch zu machen, womit sie sich eine schwere und auf die Dauer unerträgliche
Last aufladet, später trifft sie aber eine sorgfältige Auswahl. Wer in der Armee
für eine höhere Stelle nicht geeignet ist, wird nicht nur übergangen, sondern
muß ganz ausscheiden. Einem Bankbeamten, der nicht genügt, droht sofortige Ent¬
lassung. Und alle außer den Betroffenen halten dies für natürlich und gerechtfertigt.

Nur die Verwaltung soll es nicht so gut haben. Dabei stellt kein Beruf
an seine Angehörigen so hohe Anforderungen wie sie, namentlich heutzutage,
wo sich infolge der früher geschilderten gewaltigen Umwälzung in allen Ver¬
hältnissen des Landes und der bessern Erkenntnis des Kultur- und Wohlfahrts¬
zwecks des Staats die Tätigkeit der Staatsverwaltung, ähnlich dem alten
Staat, auf immer weitere Gebiete erstreckt, so daß jetzt eigentlich alles, was
auf, über und unter der Erde ist, Gegenstand der Staatsfürsorge sein kann.
Dabei haben wir aber nicht mehr den alten Polizeistaat mit seinen scharfen
Machtmitteln, sondern einen Rechtsstaat, der nur noch in geringem Maß Zwang
zur Verfügung hat, so daß es jetzt sehr viel mehr auf Überreden als auf Befehlen
ankommt.

Man mache sich nur einmal klar, was uuter diese» Umständen ein Ver¬
waltungsbeamter mitbringen muß, wenn er wirklich seine Stelle ausfülle« will.


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[0321] Wirkliche Schäden in der preußischen Verwaltung unausgesetzt mit wachsendem Eifer und Erfolg dafür, den Nachwuchs zu theoretisch und praktisch allseitig ausgebildeten Fachmännern zu machen und durch möglichst gute Einrichtungen die natürliche Auslese der Besten und Tüchtigsten zu sichern. Ich erinnere nur an die uns am nächsten liegenden Bestrebungen, den Richterstand zu heben; einen der eifrigsten Vorkämpfer, Ober¬ bürgermeister Adickes, habe ich früher genannt. Alles das geht auf allseitige Hebung der Persönlichkeit des einzelnen, nicht auf „Stückwerksreform" aus. Wenn diese Bemühungen nur einigermaßen Erfolg haben, dann werden wir in der Verwaltung bedenklich ins Hintertreffen geraten. Ebenso arbeitet die Armee immerfort an ihrer Vervollkommnung. Aber auch die freien Berufe sind nicht zurückgeblieben. Was geschieht nicht alles, um den Handwerksmeister wieder Ma geschulten Fachmann zu machen? oder um unsern Landwirten, Technikern, Kaufleuten eine allseitige Fachbildung zu erschließen? Überall entstehen höhere und niedere Fachschulen und schon treten die Technischen Hochschulen und neuer¬ dings die Handelshochschulen neben die altehrwürdigen Universitäten und verlangen gleiche Geltung mit diesen. Und, um ein ganz andres Gebiet zu nennen, was scheint mehr lediglich ein einfaches natürliches Empfinden und gesunden praktischen Menschenverstand zu fordern, als die Fürsorge für Unmündige und Arme? Und dennoch sind die Sachverständigen auf diesen Gebieten schon längst davon über¬ zeugt, daß auch hier nur der geschulte Fachmann wirklich Gedeihliches leisten kann, und demgemäß geht eine Stadtgemeinde nach der andern dazu über, Berufsvormuudschaft und Berufsarmenpflege einzurichten. Ähnliches gilt von der Auslese der Tüchtigsten. Die Justizverwaltung begeht zwar den großen Fehler, von ihrem Recht, bei der Annahme der Anwärter zu sichten, keinen Gebrauch zu machen, womit sie sich eine schwere und auf die Dauer unerträgliche Last aufladet, später trifft sie aber eine sorgfältige Auswahl. Wer in der Armee für eine höhere Stelle nicht geeignet ist, wird nicht nur übergangen, sondern muß ganz ausscheiden. Einem Bankbeamten, der nicht genügt, droht sofortige Ent¬ lassung. Und alle außer den Betroffenen halten dies für natürlich und gerechtfertigt. Nur die Verwaltung soll es nicht so gut haben. Dabei stellt kein Beruf an seine Angehörigen so hohe Anforderungen wie sie, namentlich heutzutage, wo sich infolge der früher geschilderten gewaltigen Umwälzung in allen Ver¬ hältnissen des Landes und der bessern Erkenntnis des Kultur- und Wohlfahrts¬ zwecks des Staats die Tätigkeit der Staatsverwaltung, ähnlich dem alten Staat, auf immer weitere Gebiete erstreckt, so daß jetzt eigentlich alles, was auf, über und unter der Erde ist, Gegenstand der Staatsfürsorge sein kann. Dabei haben wir aber nicht mehr den alten Polizeistaat mit seinen scharfen Machtmitteln, sondern einen Rechtsstaat, der nur noch in geringem Maß Zwang zur Verfügung hat, so daß es jetzt sehr viel mehr auf Überreden als auf Befehlen ankommt. Man mache sich nur einmal klar, was uuter diese» Umständen ein Ver¬ waltungsbeamter mitbringen muß, wenn er wirklich seine Stelle ausfülle« will.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/321>, abgerufen am 23.07.2024.