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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Indnstriepolitik

Die anderen Gewerbe kamen nicht zu Wort, oder doch nur durch Einzel¬
äußerungen, und die im konstitutionell regierten Deutschen Reich auf
die Mehrheit des Reichstags angewiesene Regierung fand in den
uneinigen bürgerliche" Gewerben nicht den absolut sicheren Rückhalt,
um den Ansprüchen der Großagrarier wirksam entgegentreten zu
können. Die sich durch die ihr aufgenötigte einseitige Wirtschaftspolitik im Lande
verbreitende Unzufriedenheit, besonders in den sogenannten intelligenten Kreisen,
glaubte die Regierung durch um so größere Konzessionen auf sozialem Gebiete
wieder beschwichtigen zu können, natürlich ohne Aussicht auf Erfolg bei den
einmal auf den Geschmack gekommenen Massen. Die Unzufriedenheit mit gewissen
Vorgängen der allgemeinen Politik war eben stärker als die sozialpolitischen
Beruhigungsmittel. Der sozialpolitische Überschwang, unter dem nachgerade auch
die Landwirtschaft zu leiden begann, hatte für das gewerbliche Bürgertum einen
großen Nachteil. Zusammen mit Hochschutzzöllnerischen Bestrebungen einzelner
wurde er eine neue Klippe, an der durch mehr als ein Jahrzehnt die oft ver¬
suchte Einigung des gewerblichen Bürgertums scheiterte, von der aus aber die
Sozialdemokratie ihre Netze in die Kreise der Privatangestellten mit Erfolg
werfen konnte. Erst als der Bund der Landwirte seinen Egoismus und seine
Gefährlichkeit für die Nation in voller Nacktheit enthüllte, da erwachte auch in
den Kreisen der Industrie, die sich früher von einer Einigung des Bürgertums
keinerlei Nutzen versprachen, die Erkenntnis der Notwendigkeit eben dieser Einigung.
Spät, aber nicht zu spät ist im Jahre 1909 der Hansabund ins Leben getreten.




Die Leser der "Grenzboten" sind seinerzeit über den "Hansabund, seine
Ziele und Gegner" durch die glänzende Darstellung des Syndikus der Handels¬
kammer in Düsseldorf, Herrn Dr. L. O. Brandt, unterrichtet worden (Ur. 34
von 1909). Seitdem hat sich die Organisation mächtig entfaltet, und ihre Ziele
werden im Reich durch rund sechshundertvierzig Einzelgruppen angestrebt. Nach
parteipolitischer Gesichtspunkten betrachtet wird man den Hansabund als ein
natürliches Kind der Blockära, der konservativ-liberalen Paarung bezeichnen
dürfen, dessen konservativer Vater auf und davon gegangen ist, um sich wieder
ganz der Umarmung durch den Bund der Landwirte hinzugeben. In der Tat
umfaßt der Hansabund Anhänger aller Parteien, doch haben staatspolitische
Auffassungen in ihm die Führung, wie sie die Führung hatten bei der politischen
Begründung des Deutschen Reichs und in der segensreichen Wirtschaftspolitik
Bismarcks während der 1870 er Jahre, die die Entwicklung unserer mächtigen,
leistungsfähigen Industrie ermöglicht hatte. Hierin liegt die große nationale
Bedeutung des Hansabundes. Die Gegner des Hansabundes sind nun seit
seinem Entstehen emsig an der Arbeit, den konservativer (allgemeinpolitisch
gesprochen) gerichteten Teil seiner Mitglieder zu verwirren und so wieder Bresche zu
legen in die Einigkeit des gewerblichen Bürgertums. Sie rechnen, nachdem alle


Indnstriepolitik

Die anderen Gewerbe kamen nicht zu Wort, oder doch nur durch Einzel¬
äußerungen, und die im konstitutionell regierten Deutschen Reich auf
die Mehrheit des Reichstags angewiesene Regierung fand in den
uneinigen bürgerliche« Gewerben nicht den absolut sicheren Rückhalt,
um den Ansprüchen der Großagrarier wirksam entgegentreten zu
können. Die sich durch die ihr aufgenötigte einseitige Wirtschaftspolitik im Lande
verbreitende Unzufriedenheit, besonders in den sogenannten intelligenten Kreisen,
glaubte die Regierung durch um so größere Konzessionen auf sozialem Gebiete
wieder beschwichtigen zu können, natürlich ohne Aussicht auf Erfolg bei den
einmal auf den Geschmack gekommenen Massen. Die Unzufriedenheit mit gewissen
Vorgängen der allgemeinen Politik war eben stärker als die sozialpolitischen
Beruhigungsmittel. Der sozialpolitische Überschwang, unter dem nachgerade auch
die Landwirtschaft zu leiden begann, hatte für das gewerbliche Bürgertum einen
großen Nachteil. Zusammen mit Hochschutzzöllnerischen Bestrebungen einzelner
wurde er eine neue Klippe, an der durch mehr als ein Jahrzehnt die oft ver¬
suchte Einigung des gewerblichen Bürgertums scheiterte, von der aus aber die
Sozialdemokratie ihre Netze in die Kreise der Privatangestellten mit Erfolg
werfen konnte. Erst als der Bund der Landwirte seinen Egoismus und seine
Gefährlichkeit für die Nation in voller Nacktheit enthüllte, da erwachte auch in
den Kreisen der Industrie, die sich früher von einer Einigung des Bürgertums
keinerlei Nutzen versprachen, die Erkenntnis der Notwendigkeit eben dieser Einigung.
Spät, aber nicht zu spät ist im Jahre 1909 der Hansabund ins Leben getreten.




Die Leser der „Grenzboten" sind seinerzeit über den „Hansabund, seine
Ziele und Gegner" durch die glänzende Darstellung des Syndikus der Handels¬
kammer in Düsseldorf, Herrn Dr. L. O. Brandt, unterrichtet worden (Ur. 34
von 1909). Seitdem hat sich die Organisation mächtig entfaltet, und ihre Ziele
werden im Reich durch rund sechshundertvierzig Einzelgruppen angestrebt. Nach
parteipolitischer Gesichtspunkten betrachtet wird man den Hansabund als ein
natürliches Kind der Blockära, der konservativ-liberalen Paarung bezeichnen
dürfen, dessen konservativer Vater auf und davon gegangen ist, um sich wieder
ganz der Umarmung durch den Bund der Landwirte hinzugeben. In der Tat
umfaßt der Hansabund Anhänger aller Parteien, doch haben staatspolitische
Auffassungen in ihm die Führung, wie sie die Führung hatten bei der politischen
Begründung des Deutschen Reichs und in der segensreichen Wirtschaftspolitik
Bismarcks während der 1870 er Jahre, die die Entwicklung unserer mächtigen,
leistungsfähigen Industrie ermöglicht hatte. Hierin liegt die große nationale
Bedeutung des Hansabundes. Die Gegner des Hansabundes sind nun seit
seinem Entstehen emsig an der Arbeit, den konservativer (allgemeinpolitisch
gesprochen) gerichteten Teil seiner Mitglieder zu verwirren und so wieder Bresche zu
legen in die Einigkeit des gewerblichen Bürgertums. Sie rechnen, nachdem alle


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[0304] Indnstriepolitik Die anderen Gewerbe kamen nicht zu Wort, oder doch nur durch Einzel¬ äußerungen, und die im konstitutionell regierten Deutschen Reich auf die Mehrheit des Reichstags angewiesene Regierung fand in den uneinigen bürgerliche« Gewerben nicht den absolut sicheren Rückhalt, um den Ansprüchen der Großagrarier wirksam entgegentreten zu können. Die sich durch die ihr aufgenötigte einseitige Wirtschaftspolitik im Lande verbreitende Unzufriedenheit, besonders in den sogenannten intelligenten Kreisen, glaubte die Regierung durch um so größere Konzessionen auf sozialem Gebiete wieder beschwichtigen zu können, natürlich ohne Aussicht auf Erfolg bei den einmal auf den Geschmack gekommenen Massen. Die Unzufriedenheit mit gewissen Vorgängen der allgemeinen Politik war eben stärker als die sozialpolitischen Beruhigungsmittel. Der sozialpolitische Überschwang, unter dem nachgerade auch die Landwirtschaft zu leiden begann, hatte für das gewerbliche Bürgertum einen großen Nachteil. Zusammen mit Hochschutzzöllnerischen Bestrebungen einzelner wurde er eine neue Klippe, an der durch mehr als ein Jahrzehnt die oft ver¬ suchte Einigung des gewerblichen Bürgertums scheiterte, von der aus aber die Sozialdemokratie ihre Netze in die Kreise der Privatangestellten mit Erfolg werfen konnte. Erst als der Bund der Landwirte seinen Egoismus und seine Gefährlichkeit für die Nation in voller Nacktheit enthüllte, da erwachte auch in den Kreisen der Industrie, die sich früher von einer Einigung des Bürgertums keinerlei Nutzen versprachen, die Erkenntnis der Notwendigkeit eben dieser Einigung. Spät, aber nicht zu spät ist im Jahre 1909 der Hansabund ins Leben getreten. Die Leser der „Grenzboten" sind seinerzeit über den „Hansabund, seine Ziele und Gegner" durch die glänzende Darstellung des Syndikus der Handels¬ kammer in Düsseldorf, Herrn Dr. L. O. Brandt, unterrichtet worden (Ur. 34 von 1909). Seitdem hat sich die Organisation mächtig entfaltet, und ihre Ziele werden im Reich durch rund sechshundertvierzig Einzelgruppen angestrebt. Nach parteipolitischer Gesichtspunkten betrachtet wird man den Hansabund als ein natürliches Kind der Blockära, der konservativ-liberalen Paarung bezeichnen dürfen, dessen konservativer Vater auf und davon gegangen ist, um sich wieder ganz der Umarmung durch den Bund der Landwirte hinzugeben. In der Tat umfaßt der Hansabund Anhänger aller Parteien, doch haben staatspolitische Auffassungen in ihm die Führung, wie sie die Führung hatten bei der politischen Begründung des Deutschen Reichs und in der segensreichen Wirtschaftspolitik Bismarcks während der 1870 er Jahre, die die Entwicklung unserer mächtigen, leistungsfähigen Industrie ermöglicht hatte. Hierin liegt die große nationale Bedeutung des Hansabundes. Die Gegner des Hansabundes sind nun seit seinem Entstehen emsig an der Arbeit, den konservativer (allgemeinpolitisch gesprochen) gerichteten Teil seiner Mitglieder zu verwirren und so wieder Bresche zu legen in die Einigkeit des gewerblichen Bürgertums. Sie rechnen, nachdem alle

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/304>, abgerufen am 23.07.2024.