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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Westkanadas Eintritt in die Weltwirtschaft

Als die natürlichste Straße muß die Schiffahrt auf den fünf großen
zusammenhängenden Süßwasserseen gelten. Um dahin zu kommen, muß das
Korn sich in der werdenden Weltstadt Winnipeg sammeln. Dort treffen bereits
drei riesige ostwestliche Linien zusammen: die Canada Pacific, d. h. die älteste
aller Kanada durchschneidenden pazifischen Linien, dann die Grand Trunc Pacific
und die Northern Pacific. Von diesen geht die letztere nördlich, in erheblicher
Entfernung von den großen Seen ostwärts gerade auf die Seehandelsstadt
Quebec am unteren Se. Lorenzstrom zu. Von Winniveg ostwärts geht sie mit
Ausnahme der letzten Strecke durch Wälder. Ihr fallen ungeheure Holztransporte
zu, aber auf landwirtschaftliche Bebaubarkeit Nord-Ontarios und West-Quebecs
rechnet sie nicht. Auch für die Kornausfuhr aus Westkanada kommt sie nicht
in Betracht. Die beiden andern Bahnen sowie eine dritte Zweigbahn münden
in Port Arthur an dem nördlichen, kanadischen Ufer des Oberen Sees. Hier
geht das Getreide an Schiffsbord über. Die Frachtdampfer auf den großen
Seen sind ozeanmäßig gebaut; es sind sehr große Fahrzeuge von bedeutender
Ladefähigkeit. Die Hafeneinrichtungen sind hochentwickelt. Diese Schiffe fahren
den Oberen See entlang, dann durch den Huron-See; sie vermeiden Chicago
und den Michigan-See; ihr Weg führt sie ans Ostende des Erie-Sees, wo der
Niagarafall ihrer Fahrt einen Riegel vorschiebt. In Buffalo können sie ihre
Ladung an die Kanalschiffe des Erie-Kanals übergeben, die sie nach New Uork,
dem großen Kornausfuhrhafen, bringen. Die Dampfer können die Ladung aber
auch an Bord behalten und mit ihr neben dem Katarakt, auf kanadischer Seite,
den Welland-Kanal hinabsteigen; von dort haben sie freie Fahrt durch den
Ontario-See nach Montreal, wo schon die Ozeandampfer verkehren, oder weiter
nach Quebec.

Zurzeit ist der Welland-Kanal nur erst für kleine Dampfer eingerichtet.
Die großen müssen hüben oder drüben bleiben. Es steht indes in Aussicht,
daß der Kanal umgebaut und derart vergrößert wird, daß selbst Ozeandampfer
ihn passieren können. Damit eröffnet sich das Zukunftsbild, daß Ozeandampfer
unmittelbar in Port Arthur (oder auch in Duluth im Staate Minnesota) anlegen,
eine volle Ladung Getreide einnehmen und dann durch den Welland-Kanal und
den unteren Se. Lorenzstrom nach England fahren. Derartige Versuche find
sogar sehr erfolgreich ausgeführt, und zwar durch Schiffe ganz neuer Bauart,
durch Walfischdeck-Dampfer. Es ist aber noch nicht viel daraus geworden. Zur
Benutzung durch große Schiffe ist nämlich noch eine Korrektion des Se. Lorenz-
stromes oberhalb Montreals bis zum Ontario-See erforderlich. Dieses Projekt
ist längst aufgestellt und hat seine hitzigen Freunde, namentlich in den Ufer¬
landschaften des Ontario-Sees, des Erie-Sees und des südlichen Huron-Sees.
Zurzeit wird es durch andere Pläne in den Hintergrund gedrängt. Die Kosten
sollen allzu hoch sein.

Der zweite Plan scheint dem Laienauge auf den ersten Blick noch kost¬
spieliger, weil die zu verbessernde Binnenwasserstraße noch länger ist. Der


Westkanadas Eintritt in die Weltwirtschaft

Als die natürlichste Straße muß die Schiffahrt auf den fünf großen
zusammenhängenden Süßwasserseen gelten. Um dahin zu kommen, muß das
Korn sich in der werdenden Weltstadt Winnipeg sammeln. Dort treffen bereits
drei riesige ostwestliche Linien zusammen: die Canada Pacific, d. h. die älteste
aller Kanada durchschneidenden pazifischen Linien, dann die Grand Trunc Pacific
und die Northern Pacific. Von diesen geht die letztere nördlich, in erheblicher
Entfernung von den großen Seen ostwärts gerade auf die Seehandelsstadt
Quebec am unteren Se. Lorenzstrom zu. Von Winniveg ostwärts geht sie mit
Ausnahme der letzten Strecke durch Wälder. Ihr fallen ungeheure Holztransporte
zu, aber auf landwirtschaftliche Bebaubarkeit Nord-Ontarios und West-Quebecs
rechnet sie nicht. Auch für die Kornausfuhr aus Westkanada kommt sie nicht
in Betracht. Die beiden andern Bahnen sowie eine dritte Zweigbahn münden
in Port Arthur an dem nördlichen, kanadischen Ufer des Oberen Sees. Hier
geht das Getreide an Schiffsbord über. Die Frachtdampfer auf den großen
Seen sind ozeanmäßig gebaut; es sind sehr große Fahrzeuge von bedeutender
Ladefähigkeit. Die Hafeneinrichtungen sind hochentwickelt. Diese Schiffe fahren
den Oberen See entlang, dann durch den Huron-See; sie vermeiden Chicago
und den Michigan-See; ihr Weg führt sie ans Ostende des Erie-Sees, wo der
Niagarafall ihrer Fahrt einen Riegel vorschiebt. In Buffalo können sie ihre
Ladung an die Kanalschiffe des Erie-Kanals übergeben, die sie nach New Uork,
dem großen Kornausfuhrhafen, bringen. Die Dampfer können die Ladung aber
auch an Bord behalten und mit ihr neben dem Katarakt, auf kanadischer Seite,
den Welland-Kanal hinabsteigen; von dort haben sie freie Fahrt durch den
Ontario-See nach Montreal, wo schon die Ozeandampfer verkehren, oder weiter
nach Quebec.

Zurzeit ist der Welland-Kanal nur erst für kleine Dampfer eingerichtet.
Die großen müssen hüben oder drüben bleiben. Es steht indes in Aussicht,
daß der Kanal umgebaut und derart vergrößert wird, daß selbst Ozeandampfer
ihn passieren können. Damit eröffnet sich das Zukunftsbild, daß Ozeandampfer
unmittelbar in Port Arthur (oder auch in Duluth im Staate Minnesota) anlegen,
eine volle Ladung Getreide einnehmen und dann durch den Welland-Kanal und
den unteren Se. Lorenzstrom nach England fahren. Derartige Versuche find
sogar sehr erfolgreich ausgeführt, und zwar durch Schiffe ganz neuer Bauart,
durch Walfischdeck-Dampfer. Es ist aber noch nicht viel daraus geworden. Zur
Benutzung durch große Schiffe ist nämlich noch eine Korrektion des Se. Lorenz-
stromes oberhalb Montreals bis zum Ontario-See erforderlich. Dieses Projekt
ist längst aufgestellt und hat seine hitzigen Freunde, namentlich in den Ufer¬
landschaften des Ontario-Sees, des Erie-Sees und des südlichen Huron-Sees.
Zurzeit wird es durch andere Pläne in den Hintergrund gedrängt. Die Kosten
sollen allzu hoch sein.

Der zweite Plan scheint dem Laienauge auf den ersten Blick noch kost¬
spieliger, weil die zu verbessernde Binnenwasserstraße noch länger ist. Der


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[0257] Westkanadas Eintritt in die Weltwirtschaft Als die natürlichste Straße muß die Schiffahrt auf den fünf großen zusammenhängenden Süßwasserseen gelten. Um dahin zu kommen, muß das Korn sich in der werdenden Weltstadt Winnipeg sammeln. Dort treffen bereits drei riesige ostwestliche Linien zusammen: die Canada Pacific, d. h. die älteste aller Kanada durchschneidenden pazifischen Linien, dann die Grand Trunc Pacific und die Northern Pacific. Von diesen geht die letztere nördlich, in erheblicher Entfernung von den großen Seen ostwärts gerade auf die Seehandelsstadt Quebec am unteren Se. Lorenzstrom zu. Von Winniveg ostwärts geht sie mit Ausnahme der letzten Strecke durch Wälder. Ihr fallen ungeheure Holztransporte zu, aber auf landwirtschaftliche Bebaubarkeit Nord-Ontarios und West-Quebecs rechnet sie nicht. Auch für die Kornausfuhr aus Westkanada kommt sie nicht in Betracht. Die beiden andern Bahnen sowie eine dritte Zweigbahn münden in Port Arthur an dem nördlichen, kanadischen Ufer des Oberen Sees. Hier geht das Getreide an Schiffsbord über. Die Frachtdampfer auf den großen Seen sind ozeanmäßig gebaut; es sind sehr große Fahrzeuge von bedeutender Ladefähigkeit. Die Hafeneinrichtungen sind hochentwickelt. Diese Schiffe fahren den Oberen See entlang, dann durch den Huron-See; sie vermeiden Chicago und den Michigan-See; ihr Weg führt sie ans Ostende des Erie-Sees, wo der Niagarafall ihrer Fahrt einen Riegel vorschiebt. In Buffalo können sie ihre Ladung an die Kanalschiffe des Erie-Kanals übergeben, die sie nach New Uork, dem großen Kornausfuhrhafen, bringen. Die Dampfer können die Ladung aber auch an Bord behalten und mit ihr neben dem Katarakt, auf kanadischer Seite, den Welland-Kanal hinabsteigen; von dort haben sie freie Fahrt durch den Ontario-See nach Montreal, wo schon die Ozeandampfer verkehren, oder weiter nach Quebec. Zurzeit ist der Welland-Kanal nur erst für kleine Dampfer eingerichtet. Die großen müssen hüben oder drüben bleiben. Es steht indes in Aussicht, daß der Kanal umgebaut und derart vergrößert wird, daß selbst Ozeandampfer ihn passieren können. Damit eröffnet sich das Zukunftsbild, daß Ozeandampfer unmittelbar in Port Arthur (oder auch in Duluth im Staate Minnesota) anlegen, eine volle Ladung Getreide einnehmen und dann durch den Welland-Kanal und den unteren Se. Lorenzstrom nach England fahren. Derartige Versuche find sogar sehr erfolgreich ausgeführt, und zwar durch Schiffe ganz neuer Bauart, durch Walfischdeck-Dampfer. Es ist aber noch nicht viel daraus geworden. Zur Benutzung durch große Schiffe ist nämlich noch eine Korrektion des Se. Lorenz- stromes oberhalb Montreals bis zum Ontario-See erforderlich. Dieses Projekt ist längst aufgestellt und hat seine hitzigen Freunde, namentlich in den Ufer¬ landschaften des Ontario-Sees, des Erie-Sees und des südlichen Huron-Sees. Zurzeit wird es durch andere Pläne in den Hintergrund gedrängt. Die Kosten sollen allzu hoch sein. Der zweite Plan scheint dem Laienauge auf den ersten Blick noch kost¬ spieliger, weil die zu verbessernde Binnenwasserstraße noch länger ist. Der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/257>, abgerufen am 23.07.2024.