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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Westkanadas Eintritt in die Weltwirtschaft

lebten unter ganz ähnlichen Bedingungen, sie kannten das Klima, den Boden,
verwandte Verkehrsverhältnisse. Manche unter ihnen mochten zu den ersten
Ansiedlern in Dakota oder Wyoming gehören. Unter ihren Händen war die
wilde, wertlose Steppe zu Kulturland geworden, das sie jetzt zu gutem Preise
verkaufen konnten; aus dem Erlöse konnten sie jetzt das Fünf- oder Zehnfache
kaufen.

Nach den drei Prärieprovinzen kamen 1901 17000 Einwohner, 1902 33000,
in den vier folgenden Jahren durchschnittlich beinahe 48000. Neuere amtliche
Angaben fehlen, doch erweisen die Zählungen aus Manitoba allein wiederum
bedeutende Zunahmen. Die Provinz hatte 1905 15837 Einwanderer, 1908
aber 39789. Mit verblüffender Geschwindigkeit wachsen kleine Städtchen aus
dein Boden, sobald die Eisenbahn bekannt gibt, welche Stellen sie ausgewählt
hat und das Land verkauft 'hat. Nicht selten sind Ausschüsse aus Gemeinden
der benachbarten Staaten, die da kommen, um das käufliche Land zu besichtigen,
manchmal mit Kaufaufträgen und manchmal schon mit dem baren Kaufschilling
ausgerüstet. Sobald der erste Zug fährt, was längst vor Eröffnung des eigent¬
lichen Betriebes zu geschehen pflegt, strömen die Einwanderer herbei. Holz,
Gerätschaften und Lebensmittel sind in dem waldarmen Lande am notwendigsten.
Bezeichnend sind ganze Holzhäuser, die in den waldreichen Provinzen des Ostens
gesägt, gehobelt, zusammengesetzt sind, dann auseinander genommen und auf die
Bahn gepackt, an ihrem Bestimmungsort schleunigst entladen und wieder zusammen¬
gesetzt werden. Wenige Tage sind dafür nur erforderlich und bald ziert die
Inschrift "Monopol-Hotel" den vorgestern noch nicht vorhandenen Ort. Händler
mit Haus- und Arbeitsgerät, mit Lebensmitteln folgen auf dem Fuße nach;
sodann eine Bank und ein Postamt. Der Keim der zukünftigen Großstadt ist
gelegt. Alsbald beginnt der Streit unter den benachbarten Stationen, welche
bestimmt sei, das "Winnipeg des Westens" zu werden.

Winnipegl Der Stolz Westkanadas, die beneidete Großstadt, die Herberge
aller guten käuflichen Dinge. Es zählte 1870 nicht mehr als 213 Einwohner,
1901 42000, im Sommer 1909 118000. Auch wenn man sich aller amerika¬
nischen Neigung, mit hohen Ziffern zu prunken und uferlose Schätzungen zu
machen, ganz enthält, muß man sagen: es hat eine glänzende Zukunft. Es
liegt zwischen der Grenze der Vereinigten Staaten und der Südspitze des nord¬
südlich langgestreckten Winnipeg-Sees. Nordwestlich dehnt sich der fruchtbare
aufgetrocknete Seeboden des ehemaligen Agassiz-Sees aus, von dem nur noch
die Ränder vorhanden sind. An dieser Hauptstadt Mcmitobcis, das 1906 schon
365700 Einwohner zählte, muß der ganze Verkehr zwischen Ost- und West¬
kanada vorbei. Für die Verhältnisse hierzulande ist Winnipeg eine alte Stadt,
denn es besitzt noch Häuser, die schon aus der ersten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts stammen, als die unendlichen Gebiete noch nicht Kolonie des
großbritannischen Staates waren, sondern einer souveränen Handelsgesellschaft
gehörten, der Hudsonbai-Company. Damals war der ganze Westen Kanadas,


Westkanadas Eintritt in die Weltwirtschaft

lebten unter ganz ähnlichen Bedingungen, sie kannten das Klima, den Boden,
verwandte Verkehrsverhältnisse. Manche unter ihnen mochten zu den ersten
Ansiedlern in Dakota oder Wyoming gehören. Unter ihren Händen war die
wilde, wertlose Steppe zu Kulturland geworden, das sie jetzt zu gutem Preise
verkaufen konnten; aus dem Erlöse konnten sie jetzt das Fünf- oder Zehnfache
kaufen.

Nach den drei Prärieprovinzen kamen 1901 17000 Einwohner, 1902 33000,
in den vier folgenden Jahren durchschnittlich beinahe 48000. Neuere amtliche
Angaben fehlen, doch erweisen die Zählungen aus Manitoba allein wiederum
bedeutende Zunahmen. Die Provinz hatte 1905 15837 Einwanderer, 1908
aber 39789. Mit verblüffender Geschwindigkeit wachsen kleine Städtchen aus
dein Boden, sobald die Eisenbahn bekannt gibt, welche Stellen sie ausgewählt
hat und das Land verkauft 'hat. Nicht selten sind Ausschüsse aus Gemeinden
der benachbarten Staaten, die da kommen, um das käufliche Land zu besichtigen,
manchmal mit Kaufaufträgen und manchmal schon mit dem baren Kaufschilling
ausgerüstet. Sobald der erste Zug fährt, was längst vor Eröffnung des eigent¬
lichen Betriebes zu geschehen pflegt, strömen die Einwanderer herbei. Holz,
Gerätschaften und Lebensmittel sind in dem waldarmen Lande am notwendigsten.
Bezeichnend sind ganze Holzhäuser, die in den waldreichen Provinzen des Ostens
gesägt, gehobelt, zusammengesetzt sind, dann auseinander genommen und auf die
Bahn gepackt, an ihrem Bestimmungsort schleunigst entladen und wieder zusammen¬
gesetzt werden. Wenige Tage sind dafür nur erforderlich und bald ziert die
Inschrift „Monopol-Hotel" den vorgestern noch nicht vorhandenen Ort. Händler
mit Haus- und Arbeitsgerät, mit Lebensmitteln folgen auf dem Fuße nach;
sodann eine Bank und ein Postamt. Der Keim der zukünftigen Großstadt ist
gelegt. Alsbald beginnt der Streit unter den benachbarten Stationen, welche
bestimmt sei, das „Winnipeg des Westens" zu werden.

Winnipegl Der Stolz Westkanadas, die beneidete Großstadt, die Herberge
aller guten käuflichen Dinge. Es zählte 1870 nicht mehr als 213 Einwohner,
1901 42000, im Sommer 1909 118000. Auch wenn man sich aller amerika¬
nischen Neigung, mit hohen Ziffern zu prunken und uferlose Schätzungen zu
machen, ganz enthält, muß man sagen: es hat eine glänzende Zukunft. Es
liegt zwischen der Grenze der Vereinigten Staaten und der Südspitze des nord¬
südlich langgestreckten Winnipeg-Sees. Nordwestlich dehnt sich der fruchtbare
aufgetrocknete Seeboden des ehemaligen Agassiz-Sees aus, von dem nur noch
die Ränder vorhanden sind. An dieser Hauptstadt Mcmitobcis, das 1906 schon
365700 Einwohner zählte, muß der ganze Verkehr zwischen Ost- und West¬
kanada vorbei. Für die Verhältnisse hierzulande ist Winnipeg eine alte Stadt,
denn es besitzt noch Häuser, die schon aus der ersten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts stammen, als die unendlichen Gebiete noch nicht Kolonie des
großbritannischen Staates waren, sondern einer souveränen Handelsgesellschaft
gehörten, der Hudsonbai-Company. Damals war der ganze Westen Kanadas,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/254>, abgerufen am 22.07.2024.