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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

"Ach, was meint er gutt Er meint gar nichts. Er hält die Rede, weil
es so Mode ist. Und da er zu faul ist, jährlich eine neue Rede auszuarbeiten,
so wiederholt er die alte. Es war wirklich zum Übelwerden. Ich trank hinterher
stets einige Gläser kalten Wassers, um den Geschmack niederzuwürgen."

"Weißt du, Mahada," meinte Olga, "unserem festen Zusammenhalten im
Flecken wird sich manches Hindernis bieten, da unsere Väter nicht miteinander
verkehren, ja, wenn ich nicht irre, sich nicht sehr gern sehen."

Marja nickte zustimmend.

"Das kommt," sagte sie, "weil mein Vater derb, ich will sogar zugeben,
grob ist und dein Vater -- wie soll ich es nennen? nun, auf seinen Adel stolz--"

"Sprich es aus, Herzchen, eingebildet ist. Ich kann es nicht leugnen, Papa
hält wirklich viel darauf, daß er Edelmann ist, aber er. . ."

"Darum dünkt er sich unendlich erhaben so ordinären Geschöpfen gegen¬
über wie..."

"Maschenka, werde nicht bitter. Auch dem Papa ist stolz, sogar eingebildet.
Er fühlt sich über alle erhaben. So sagen wenigstens die Leute des Fleckens."

"Ach ja, ich will Papa gar nicht verteidigen. Er pocht auf sein Geld wie
dein Vater auf seinen Adel. Dabei ist aber weiter nichts. Mögen sie doch pochen,
worauf sie wollen. Hole sie der Kuckuck, die beiden Alten! Was kann uns das
hindern? Papa wird gewiß nicht ungastlich sein, wenn du mich besuchst, und ich
hoffe, der deinige wird mir auch nicht die Tür weisen."

"Wie kannst du nur so etwas denken!"

"Was kümmern uns die Alten! Wir beide wollen unzertrennlich sein, täglich
zusammenkommen, spazieren .. ."

"Ja, das geht. Zusammen lesen und ..."

"Ja, das heißt später. Aufrichtig, Liebchen, fürs erste fühle ich leises Grauen,
wenn ich an Bücher denke."

Olga blickte zu diesem Geständnis etwas spöttisch, wenn nicht gar mitleidig.

"Und was brauchen wir in der ersten Zeit die Bücher!" fuhr Marja fort.
"Wir sind dem Flecken so entfremdet, daß wir genug zu tun haben werden, uns
wieder mit ihm und der Umgegend bekannt zu machen. Jedenfalls aber soll uns
nichts und niemand trennen."

"Selbst ein Bräutigam nicht," witzelte Olga.

"Ach, Liebchen," lachte Marja, "woher sollte der kommen! Es gibt ja keinen
Mann im Flecken, der für uus passen dürfte."

"Und zudem haben wir uns vorgenommen, uns nicht voreilig zu verlieben/'

"Verlieben! Dummheit!" sagte Marja und zog die Brauen empor. "Ich
denke mich nie zu verlieben."

"Nie zu heiraten?"

"Das hat mit dem Verlieben nichts zu tun. Über kurz oder lang nehme ich
ja wohl einen Mann, aber -- sieh, Olga, ich kann das an den Fingern abzählen.
Erstens, er muß leidlich aussehen, damit ich mich nicht schäme, mich mit ihm
sehen zu lassen. Zweitens, er muß gebildet sein, damit ich mich nicht im stillen
vor mir selbst schäme. Drittens -- und das ist fast der Hauptpunkt -- er nutz
reich sein."

"Stellst du den Reichtum wirklich so hoch, Mahada?"


Im Flecken

„Ach, was meint er gutt Er meint gar nichts. Er hält die Rede, weil
es so Mode ist. Und da er zu faul ist, jährlich eine neue Rede auszuarbeiten,
so wiederholt er die alte. Es war wirklich zum Übelwerden. Ich trank hinterher
stets einige Gläser kalten Wassers, um den Geschmack niederzuwürgen."

„Weißt du, Mahada," meinte Olga, „unserem festen Zusammenhalten im
Flecken wird sich manches Hindernis bieten, da unsere Väter nicht miteinander
verkehren, ja, wenn ich nicht irre, sich nicht sehr gern sehen."

Marja nickte zustimmend.

„Das kommt," sagte sie, „weil mein Vater derb, ich will sogar zugeben,
grob ist und dein Vater — wie soll ich es nennen? nun, auf seinen Adel stolz—"

„Sprich es aus, Herzchen, eingebildet ist. Ich kann es nicht leugnen, Papa
hält wirklich viel darauf, daß er Edelmann ist, aber er. . ."

„Darum dünkt er sich unendlich erhaben so ordinären Geschöpfen gegen¬
über wie..."

„Maschenka, werde nicht bitter. Auch dem Papa ist stolz, sogar eingebildet.
Er fühlt sich über alle erhaben. So sagen wenigstens die Leute des Fleckens."

„Ach ja, ich will Papa gar nicht verteidigen. Er pocht auf sein Geld wie
dein Vater auf seinen Adel. Dabei ist aber weiter nichts. Mögen sie doch pochen,
worauf sie wollen. Hole sie der Kuckuck, die beiden Alten! Was kann uns das
hindern? Papa wird gewiß nicht ungastlich sein, wenn du mich besuchst, und ich
hoffe, der deinige wird mir auch nicht die Tür weisen."

„Wie kannst du nur so etwas denken!"

„Was kümmern uns die Alten! Wir beide wollen unzertrennlich sein, täglich
zusammenkommen, spazieren .. ."

„Ja, das geht. Zusammen lesen und ..."

„Ja, das heißt später. Aufrichtig, Liebchen, fürs erste fühle ich leises Grauen,
wenn ich an Bücher denke."

Olga blickte zu diesem Geständnis etwas spöttisch, wenn nicht gar mitleidig.

„Und was brauchen wir in der ersten Zeit die Bücher!" fuhr Marja fort.
„Wir sind dem Flecken so entfremdet, daß wir genug zu tun haben werden, uns
wieder mit ihm und der Umgegend bekannt zu machen. Jedenfalls aber soll uns
nichts und niemand trennen."

„Selbst ein Bräutigam nicht," witzelte Olga.

„Ach, Liebchen," lachte Marja, „woher sollte der kommen! Es gibt ja keinen
Mann im Flecken, der für uus passen dürfte."

„Und zudem haben wir uns vorgenommen, uns nicht voreilig zu verlieben/'

„Verlieben! Dummheit!" sagte Marja und zog die Brauen empor. „Ich
denke mich nie zu verlieben."

„Nie zu heiraten?"

„Das hat mit dem Verlieben nichts zu tun. Über kurz oder lang nehme ich
ja wohl einen Mann, aber — sieh, Olga, ich kann das an den Fingern abzählen.
Erstens, er muß leidlich aussehen, damit ich mich nicht schäme, mich mit ihm
sehen zu lassen. Zweitens, er muß gebildet sein, damit ich mich nicht im stillen
vor mir selbst schäme. Drittens — und das ist fast der Hauptpunkt — er nutz
reich sein."

„Stellst du den Reichtum wirklich so hoch, Mahada?"


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[0236] Im Flecken „Ach, was meint er gutt Er meint gar nichts. Er hält die Rede, weil es so Mode ist. Und da er zu faul ist, jährlich eine neue Rede auszuarbeiten, so wiederholt er die alte. Es war wirklich zum Übelwerden. Ich trank hinterher stets einige Gläser kalten Wassers, um den Geschmack niederzuwürgen." „Weißt du, Mahada," meinte Olga, „unserem festen Zusammenhalten im Flecken wird sich manches Hindernis bieten, da unsere Väter nicht miteinander verkehren, ja, wenn ich nicht irre, sich nicht sehr gern sehen." Marja nickte zustimmend. „Das kommt," sagte sie, „weil mein Vater derb, ich will sogar zugeben, grob ist und dein Vater — wie soll ich es nennen? nun, auf seinen Adel stolz—" „Sprich es aus, Herzchen, eingebildet ist. Ich kann es nicht leugnen, Papa hält wirklich viel darauf, daß er Edelmann ist, aber er. . ." „Darum dünkt er sich unendlich erhaben so ordinären Geschöpfen gegen¬ über wie..." „Maschenka, werde nicht bitter. Auch dem Papa ist stolz, sogar eingebildet. Er fühlt sich über alle erhaben. So sagen wenigstens die Leute des Fleckens." „Ach ja, ich will Papa gar nicht verteidigen. Er pocht auf sein Geld wie dein Vater auf seinen Adel. Dabei ist aber weiter nichts. Mögen sie doch pochen, worauf sie wollen. Hole sie der Kuckuck, die beiden Alten! Was kann uns das hindern? Papa wird gewiß nicht ungastlich sein, wenn du mich besuchst, und ich hoffe, der deinige wird mir auch nicht die Tür weisen." „Wie kannst du nur so etwas denken!" „Was kümmern uns die Alten! Wir beide wollen unzertrennlich sein, täglich zusammenkommen, spazieren .. ." „Ja, das geht. Zusammen lesen und ..." „Ja, das heißt später. Aufrichtig, Liebchen, fürs erste fühle ich leises Grauen, wenn ich an Bücher denke." Olga blickte zu diesem Geständnis etwas spöttisch, wenn nicht gar mitleidig. „Und was brauchen wir in der ersten Zeit die Bücher!" fuhr Marja fort. „Wir sind dem Flecken so entfremdet, daß wir genug zu tun haben werden, uns wieder mit ihm und der Umgegend bekannt zu machen. Jedenfalls aber soll uns nichts und niemand trennen." „Selbst ein Bräutigam nicht," witzelte Olga. „Ach, Liebchen," lachte Marja, „woher sollte der kommen! Es gibt ja keinen Mann im Flecken, der für uus passen dürfte." „Und zudem haben wir uns vorgenommen, uns nicht voreilig zu verlieben/' „Verlieben! Dummheit!" sagte Marja und zog die Brauen empor. „Ich denke mich nie zu verlieben." „Nie zu heiraten?" „Das hat mit dem Verlieben nichts zu tun. Über kurz oder lang nehme ich ja wohl einen Mann, aber — sieh, Olga, ich kann das an den Fingern abzählen. Erstens, er muß leidlich aussehen, damit ich mich nicht schäme, mich mit ihm sehen zu lassen. Zweitens, er muß gebildet sein, damit ich mich nicht im stillen vor mir selbst schäme. Drittens — und das ist fast der Hauptpunkt — er nutz reich sein." „Stellst du den Reichtum wirklich so hoch, Mahada?"

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/236>, abgerufen am 22.07.2024.