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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Line große Soziale unter den Malaien

Westküste von Sumatra heute ein Gebiet von weit über tausend geographischen
Ouadratmeilen bewohne:?, in kurzen Zügen zu schildern suchen.

Die braunen Menschen, welche die hier zu beschreibende große Kommune
bilden, sind Malaien im engeren Sinne des Wortes, welche das eigentliche,
gute Malaiisch, von den Holländern mit Rücksicht auf die höher ausgebildete
Schriftsprache auch das Niedermalaiisch (Laagmalaisch) genannt, sprechen. Heute
in dem Gouvernement "Sumatras Westkust", waren sie vordem in dem lange
Zeit großen und mächtigen Königreiche Minang Kabau, das sich früher bis zur
Ostküste der Rieseninsel erstreckte, vereinigt, und es kann kein Zweifel darüber
bestehen, daß sowohl arische Hindus als auch von ihnen stark beeinflußte
Drawidas schon recht früh und lange auf die materielle und geistige Entwicklung
dieses gut beanlagten Volksstammes eingewirkt haben. Was mir dabei sehr
auffällt, ist der Umstand, daß die Malaien von Minang Kabau, welche übrigens
viel mehr Charakter und Selbstbewußtsein als die unglaublich nachgiebig und
hündisch servil gewordenen Javanen besitzen, trotz dieses fremden Kultureinflusses
durch all die Jahre hindurch ihre gesellschaftlichen Institutionen viel treuer
bewahrt haben als ihre übrigen Rassengenossen, welche, wie besonders die
Javanen, mit der Kultur der Hindus in längere und innigere Berührung
gekommen sind.

Man kann wohl sagen, daß aus der Gesellschaftsordnung der Malaien
von Minang Kabau eine so weitgehende Ursprünglichkeit, um nicht zu sagen
Urtümlichkeit, hervorleuchtet, wie sie wohl kaum noch bei einem anderen Volks¬
stamme in der Welt, der auf einer Kulturstufe wie diese Malaien steht, zu
finden ist. Bildet doch bei ihnen nicht nur, wie das ja wohl bei dem ersten
Aufkommen der Kultur überall der Fall war, heute noch der Familienverband
die Grundlage der Gesellschaft, sondern es leitet sich bei ihnen auch noch die
Blutsverwandtschaft allein von Mutters Seite ab, oder es herrscht bei ihnen,
um mich eines gebräuchlichen ethnographischen Ausdruckes zu bedienen, heute
noch das Matriarchat -- die entschieden älteste und natürlichste Verwandtschafts¬
ableitung bei allen Völkern.

Wenn der alte Vater Homer in der Odyssee und Ilias der darin so oft
vorkommenden Frage: "Wer bist du; wessen Sohn rubust du dich zu sein?"
immer den uns so überaus naiv erscheinenden Zusatz: "Denn wer wüßte, wer
sein lieber Vater gewesen sei" folgen läßt, so liegt dem leider nur zu viel
Berechtigung zugrunde. Ist doch die Abkunft von väterlicher Seite eine weit
unsicherere als die aus Mutterschoß. Darum muß denn auch die Ableitung
der Verwandtschaft von mütterlicher Seite der von väterlicher Seite voraus¬
gegangen sein. Wohl mit Recht sucht der treffliche niederländische Ethnograph
Professor Willen neben anderem in der Germania des Tacitus für unsere Alt¬
vorderen und in der Bibel für das alte Volk Israels noch erkennbare Spuren
eines ehedem bestehenden Matriarchates nachzuweisen, wie dieses ja auch heute
bei verschiedenen malaiischen, aber auch bei anderen Volksstämmen auf niedrigerer


Line große Soziale unter den Malaien

Westküste von Sumatra heute ein Gebiet von weit über tausend geographischen
Ouadratmeilen bewohne:?, in kurzen Zügen zu schildern suchen.

Die braunen Menschen, welche die hier zu beschreibende große Kommune
bilden, sind Malaien im engeren Sinne des Wortes, welche das eigentliche,
gute Malaiisch, von den Holländern mit Rücksicht auf die höher ausgebildete
Schriftsprache auch das Niedermalaiisch (Laagmalaisch) genannt, sprechen. Heute
in dem Gouvernement „Sumatras Westkust", waren sie vordem in dem lange
Zeit großen und mächtigen Königreiche Minang Kabau, das sich früher bis zur
Ostküste der Rieseninsel erstreckte, vereinigt, und es kann kein Zweifel darüber
bestehen, daß sowohl arische Hindus als auch von ihnen stark beeinflußte
Drawidas schon recht früh und lange auf die materielle und geistige Entwicklung
dieses gut beanlagten Volksstammes eingewirkt haben. Was mir dabei sehr
auffällt, ist der Umstand, daß die Malaien von Minang Kabau, welche übrigens
viel mehr Charakter und Selbstbewußtsein als die unglaublich nachgiebig und
hündisch servil gewordenen Javanen besitzen, trotz dieses fremden Kultureinflusses
durch all die Jahre hindurch ihre gesellschaftlichen Institutionen viel treuer
bewahrt haben als ihre übrigen Rassengenossen, welche, wie besonders die
Javanen, mit der Kultur der Hindus in längere und innigere Berührung
gekommen sind.

Man kann wohl sagen, daß aus der Gesellschaftsordnung der Malaien
von Minang Kabau eine so weitgehende Ursprünglichkeit, um nicht zu sagen
Urtümlichkeit, hervorleuchtet, wie sie wohl kaum noch bei einem anderen Volks¬
stamme in der Welt, der auf einer Kulturstufe wie diese Malaien steht, zu
finden ist. Bildet doch bei ihnen nicht nur, wie das ja wohl bei dem ersten
Aufkommen der Kultur überall der Fall war, heute noch der Familienverband
die Grundlage der Gesellschaft, sondern es leitet sich bei ihnen auch noch die
Blutsverwandtschaft allein von Mutters Seite ab, oder es herrscht bei ihnen,
um mich eines gebräuchlichen ethnographischen Ausdruckes zu bedienen, heute
noch das Matriarchat — die entschieden älteste und natürlichste Verwandtschafts¬
ableitung bei allen Völkern.

Wenn der alte Vater Homer in der Odyssee und Ilias der darin so oft
vorkommenden Frage: „Wer bist du; wessen Sohn rubust du dich zu sein?"
immer den uns so überaus naiv erscheinenden Zusatz: „Denn wer wüßte, wer
sein lieber Vater gewesen sei" folgen läßt, so liegt dem leider nur zu viel
Berechtigung zugrunde. Ist doch die Abkunft von väterlicher Seite eine weit
unsicherere als die aus Mutterschoß. Darum muß denn auch die Ableitung
der Verwandtschaft von mütterlicher Seite der von väterlicher Seite voraus¬
gegangen sein. Wohl mit Recht sucht der treffliche niederländische Ethnograph
Professor Willen neben anderem in der Germania des Tacitus für unsere Alt¬
vorderen und in der Bibel für das alte Volk Israels noch erkennbare Spuren
eines ehedem bestehenden Matriarchates nachzuweisen, wie dieses ja auch heute
bei verschiedenen malaiischen, aber auch bei anderen Volksstämmen auf niedrigerer


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[0228] Line große Soziale unter den Malaien Westküste von Sumatra heute ein Gebiet von weit über tausend geographischen Ouadratmeilen bewohne:?, in kurzen Zügen zu schildern suchen. Die braunen Menschen, welche die hier zu beschreibende große Kommune bilden, sind Malaien im engeren Sinne des Wortes, welche das eigentliche, gute Malaiisch, von den Holländern mit Rücksicht auf die höher ausgebildete Schriftsprache auch das Niedermalaiisch (Laagmalaisch) genannt, sprechen. Heute in dem Gouvernement „Sumatras Westkust", waren sie vordem in dem lange Zeit großen und mächtigen Königreiche Minang Kabau, das sich früher bis zur Ostküste der Rieseninsel erstreckte, vereinigt, und es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß sowohl arische Hindus als auch von ihnen stark beeinflußte Drawidas schon recht früh und lange auf die materielle und geistige Entwicklung dieses gut beanlagten Volksstammes eingewirkt haben. Was mir dabei sehr auffällt, ist der Umstand, daß die Malaien von Minang Kabau, welche übrigens viel mehr Charakter und Selbstbewußtsein als die unglaublich nachgiebig und hündisch servil gewordenen Javanen besitzen, trotz dieses fremden Kultureinflusses durch all die Jahre hindurch ihre gesellschaftlichen Institutionen viel treuer bewahrt haben als ihre übrigen Rassengenossen, welche, wie besonders die Javanen, mit der Kultur der Hindus in längere und innigere Berührung gekommen sind. Man kann wohl sagen, daß aus der Gesellschaftsordnung der Malaien von Minang Kabau eine so weitgehende Ursprünglichkeit, um nicht zu sagen Urtümlichkeit, hervorleuchtet, wie sie wohl kaum noch bei einem anderen Volks¬ stamme in der Welt, der auf einer Kulturstufe wie diese Malaien steht, zu finden ist. Bildet doch bei ihnen nicht nur, wie das ja wohl bei dem ersten Aufkommen der Kultur überall der Fall war, heute noch der Familienverband die Grundlage der Gesellschaft, sondern es leitet sich bei ihnen auch noch die Blutsverwandtschaft allein von Mutters Seite ab, oder es herrscht bei ihnen, um mich eines gebräuchlichen ethnographischen Ausdruckes zu bedienen, heute noch das Matriarchat — die entschieden älteste und natürlichste Verwandtschafts¬ ableitung bei allen Völkern. Wenn der alte Vater Homer in der Odyssee und Ilias der darin so oft vorkommenden Frage: „Wer bist du; wessen Sohn rubust du dich zu sein?" immer den uns so überaus naiv erscheinenden Zusatz: „Denn wer wüßte, wer sein lieber Vater gewesen sei" folgen läßt, so liegt dem leider nur zu viel Berechtigung zugrunde. Ist doch die Abkunft von väterlicher Seite eine weit unsicherere als die aus Mutterschoß. Darum muß denn auch die Ableitung der Verwandtschaft von mütterlicher Seite der von väterlicher Seite voraus¬ gegangen sein. Wohl mit Recht sucht der treffliche niederländische Ethnograph Professor Willen neben anderem in der Germania des Tacitus für unsere Alt¬ vorderen und in der Bibel für das alte Volk Israels noch erkennbare Spuren eines ehedem bestehenden Matriarchates nachzuweisen, wie dieses ja auch heute bei verschiedenen malaiischen, aber auch bei anderen Volksstämmen auf niedrigerer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/228>, abgerufen am 22.07.2024.