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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

Deswegen wird ein Rückblick über die Aufnahme, die der Gesetzentwurf bei
den verschiedenen Parteien, in der Presse und im Reichstag gefunden hat, nicht
allein für den Historiker von Interesse sein, sondern mehr noch für den Politiker
der Gegenwart, der berufen ist, zur Lösung der Frage mitzuwirken. Innerhalb
der Regierung waren die treibenden Kräfte der Reform der damalige preußische
Finanzminister, Frhr. v. Nheinbaben, und der Chef der Reichskanzlei, Unter¬
staatssekretär v. Löbell, beide erklärte Anhänger des Neichserbrechts, beide auch
darin einig, daß die Erbrechtsgrenze hinter den Geschwistern zu errichten sei.
Ihr Verdienst ist es in erster Linie, wenn bereits im März 1908 alle Regierungs¬
stellen sich für die Reform erklärt hatten, so daß die Ausarbeitung eines Gesetz¬
entwurfes vor sich gehen konnte. -- Von konservativer Seite wurden dem
Projekte die Wege geebnet. Die "Kreuzzeitung" äußerte sich schon in ihrer
Wochenübersicht vom 26. Januar 1903 beifällig. Sie sagte: "In den meisten
Familien besteht zwischen entfernten Blutsverwandten keine persönliche Beziehung
mehr. Solche "lachenden Erben" auszuschalten, verstößt nicht gegen die Rechts-
auffassung des Volkes. Ist mit der Blutsverwandtschaft noch ein freundschaft¬
liches Verhältnis verbunden oder ist der Familienverband irgendwie aufrecht
erhalten worden, so wird die Errichtung eines Testaments jede unliebsame
Wirkung der vorgeschlagenen Erbrechtsbeschränkung abwenden." Wenn das
Erbrecht der Geschwisterkinder noch erhalten bliebe, so würden bei den konservativen
Abgeordneten keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine gewisse Beschränkung des
Verwandtenerbrechts zugunsten des Reiches obwalten. Kurze Zeit später, am
21. Februar 1908, folgte eine eingehende, aus sachkundiger Feder stammende
Besprechung der Frage unter dem Titel: "Erbrechtsreform" in derselben Zeitung.
Unter Darlegung der geschichtlichen Entwickelung, der rechtlichen, sozial- und
finanzpolitischen Seite der Sache hält der Verfasser zwar mit Bedenken wegen
der richtigen Absteckung der Grenze und wegen der besonderen Verhältnisse des
ländlichen Grundbesitzes nicht zurück, erklärt sich aber im übrigen unumwunden
für die Reform, indem er sagt: "Der letzte Grund des gesetzlichen Erbrechts
der Verwandten liegt nicht in der Blutsverwandtschaft allein, sondern in der
durch diese bedingten näheren Famlienzusammengehörigkeit, und wo diese im
allgemeinen nicht mehr lebendig ist, stehen wohl auch vom konservativen Stand¬
punkt aus genügende prinzipielle Gründe einer Neuregelung nicht entgegen, die
den Verwandten ein Erbrecht nur dann noch zugesteht, wenn der Erblasser dies
in letztwilliger Verfügung ausdrücklich angeordnet hat." Auch der "Reichsbote"
widmet dem Plane in der Nummer vom 12. Februar 1908 eine wohlwollende
Erörterung und kommt zu dem Ergebnis, der Reformgedanke sei so gesund, daß
man dringend wünschen müsse, ihn sobald als möglich in die Tat umgesetzt zu
sehen. Mit derselben Entschiedenheit fordert die "Deutsche Tageszeitung" die
Reform. Sie schreibt am 14. September 1908: "In dem neuesten Heft der
"Neuen Revue" beschäftigt sich Justizrat Bamberger wieder mit seinem Gedanken,
das Reich bei Jntestaterbschaften, die an entferntere Verwandte fallen würden,


Für das Erbrecht des Reiches

Deswegen wird ein Rückblick über die Aufnahme, die der Gesetzentwurf bei
den verschiedenen Parteien, in der Presse und im Reichstag gefunden hat, nicht
allein für den Historiker von Interesse sein, sondern mehr noch für den Politiker
der Gegenwart, der berufen ist, zur Lösung der Frage mitzuwirken. Innerhalb
der Regierung waren die treibenden Kräfte der Reform der damalige preußische
Finanzminister, Frhr. v. Nheinbaben, und der Chef der Reichskanzlei, Unter¬
staatssekretär v. Löbell, beide erklärte Anhänger des Neichserbrechts, beide auch
darin einig, daß die Erbrechtsgrenze hinter den Geschwistern zu errichten sei.
Ihr Verdienst ist es in erster Linie, wenn bereits im März 1908 alle Regierungs¬
stellen sich für die Reform erklärt hatten, so daß die Ausarbeitung eines Gesetz¬
entwurfes vor sich gehen konnte. — Von konservativer Seite wurden dem
Projekte die Wege geebnet. Die „Kreuzzeitung" äußerte sich schon in ihrer
Wochenübersicht vom 26. Januar 1903 beifällig. Sie sagte: „In den meisten
Familien besteht zwischen entfernten Blutsverwandten keine persönliche Beziehung
mehr. Solche „lachenden Erben" auszuschalten, verstößt nicht gegen die Rechts-
auffassung des Volkes. Ist mit der Blutsverwandtschaft noch ein freundschaft¬
liches Verhältnis verbunden oder ist der Familienverband irgendwie aufrecht
erhalten worden, so wird die Errichtung eines Testaments jede unliebsame
Wirkung der vorgeschlagenen Erbrechtsbeschränkung abwenden." Wenn das
Erbrecht der Geschwisterkinder noch erhalten bliebe, so würden bei den konservativen
Abgeordneten keine grundsätzlichen Bedenken gegen eine gewisse Beschränkung des
Verwandtenerbrechts zugunsten des Reiches obwalten. Kurze Zeit später, am
21. Februar 1908, folgte eine eingehende, aus sachkundiger Feder stammende
Besprechung der Frage unter dem Titel: „Erbrechtsreform" in derselben Zeitung.
Unter Darlegung der geschichtlichen Entwickelung, der rechtlichen, sozial- und
finanzpolitischen Seite der Sache hält der Verfasser zwar mit Bedenken wegen
der richtigen Absteckung der Grenze und wegen der besonderen Verhältnisse des
ländlichen Grundbesitzes nicht zurück, erklärt sich aber im übrigen unumwunden
für die Reform, indem er sagt: „Der letzte Grund des gesetzlichen Erbrechts
der Verwandten liegt nicht in der Blutsverwandtschaft allein, sondern in der
durch diese bedingten näheren Famlienzusammengehörigkeit, und wo diese im
allgemeinen nicht mehr lebendig ist, stehen wohl auch vom konservativen Stand¬
punkt aus genügende prinzipielle Gründe einer Neuregelung nicht entgegen, die
den Verwandten ein Erbrecht nur dann noch zugesteht, wenn der Erblasser dies
in letztwilliger Verfügung ausdrücklich angeordnet hat." Auch der „Reichsbote"
widmet dem Plane in der Nummer vom 12. Februar 1908 eine wohlwollende
Erörterung und kommt zu dem Ergebnis, der Reformgedanke sei so gesund, daß
man dringend wünschen müsse, ihn sobald als möglich in die Tat umgesetzt zu
sehen. Mit derselben Entschiedenheit fordert die „Deutsche Tageszeitung" die
Reform. Sie schreibt am 14. September 1908: „In dem neuesten Heft der
„Neuen Revue" beschäftigt sich Justizrat Bamberger wieder mit seinem Gedanken,
das Reich bei Jntestaterbschaften, die an entferntere Verwandte fallen würden,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/214>, abgerufen am 22.07.2024.