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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Das Eigenheim des Mittelstandes

Was hat sich nun aber daraus entwickelt! Die Bevölkerung befindet sich
in ständiger Zunahme; die Behörden waren schließlich gezwungen, für die
Vororte eine Bauordnung zu erlassen, die eine intensivere Bebauung der
Grundstücke zuläßt. Die meisten Eigenhäuser sind von der Bildfläche ver¬
schwunden und dank der großen Grundstückstiefen steht nun das Mietskasernen¬
system mit seinen hygienisch bedenklichen Seitenflügeln und Hintergebäuden in
den Vororten in voller Blüte. Dieser Entwickelung sind alle in der Nähe
großer Städte belegenen Orte, soweit sie gute Verbindungen nach diesen haben,
unrettbar verfallen, wenn es hier und da nicht noch gelingen sollte, die
großen Grnndstückstiefen zu kürzen oder der Ausnutzung der Grundstücke bis
zur äußersten baupolizeilich jetzt zulässigen Grenze durch Einführung einer rück¬
wärtigen Bauflucht einen Riegel vorzuschieben. Selbstverständlich lassen sich beide
Maßregeln nicht mehr in solchen Orten durchführen, deren bauliche Entwickelung
nach dem Mietskasernensystem schon zu weit vorgeschritten ist. Würde man hier
für die noch freien Grundstücke oder für eine Stadterweiterung geringeren
Umfanges die vorerwähnten Baubeschränkungen einführen, so würde die
unausbleibliche Folge eine weitere Steigerung der Miethpreise sein. Schon
jetzt haben die Miethpreise in den meisten Vororten eine Höhe erreicht,
die viele Familien, ebenso wie in Berlin selbst, zwingt, mit einer kleineren
Wohnung vorlieb nehmen zu müssen, als es aus gesundheitlichen, sozialen und oft
auch sittlichen Gründen wünschenswert ist. Die häufig gehörte Annahme, daß
Baubeschränkungen die Grundstückspreise Herabdrücken, ist, wie die Erfahrung
zeigt, nicht zutreffend.

Unter dem Wohnungselend leiden hauptsächlich zwei Bevölkerungsschichten,
der Arbeiterstand und der Mittelstand. Die aber machen fast die ganze Bewohner¬
schaft der Großstädte aus. Zum Mittelstand sind aber nicht nur Handwerker und
sonstige Gewerbetreibende zu rechnen, sondern auch Gelehrte, Künstler, Lehrer,
höhere und mittlere Beamte, kleine Rentner und bessere Angestellte aller Art, soweit
sie nicht im Besitz eines größeren Vermögens sind.

Eine zweckmäßige Lösung der Eigenheimfrage, die gerade für das Wohl¬
befinden des minderbemittelten Mittelstandes von großer Wichtigkeit und für
das Staatsinteresse von allergrößter Bedeutung ist, muß also ausschließlich eine
Lösung der Wohnungsfrage für diese beiden Stände sein. Für den wohlhabenden
Mann, der etliche tausend Mark Wohnungsmiete oder Zinsen zahlen kann, findet
sich immer in der Umgegend der Großstadt ein hübsch und zur Stadt bequem
belegener Ort, in dem er sich ansiedeln kann. Die Bedürfnisse für diese Kreise
scheiden denn auch bei den nachfolgenden Betrachtungen aus. Weiter bietet die
Lösung der Eigenheimfrage für solche Menschen wenig oder gar keine Schwierig¬
keiten, die, von der Stadt unabhängig, sich ihren Wohnsitz nach Belieben wählen
können. Beide Kategorien bilden aber im Verhältnis zur Bevölkerungszahl eine
so verschwindende Minderheit, daß durch sie der Grundstücksmarkt gar nicht oder
durch die wohlhabenden Kreise nur in sehr geringem Maße beeinflußt wird.


Das Eigenheim des Mittelstandes

Was hat sich nun aber daraus entwickelt! Die Bevölkerung befindet sich
in ständiger Zunahme; die Behörden waren schließlich gezwungen, für die
Vororte eine Bauordnung zu erlassen, die eine intensivere Bebauung der
Grundstücke zuläßt. Die meisten Eigenhäuser sind von der Bildfläche ver¬
schwunden und dank der großen Grundstückstiefen steht nun das Mietskasernen¬
system mit seinen hygienisch bedenklichen Seitenflügeln und Hintergebäuden in
den Vororten in voller Blüte. Dieser Entwickelung sind alle in der Nähe
großer Städte belegenen Orte, soweit sie gute Verbindungen nach diesen haben,
unrettbar verfallen, wenn es hier und da nicht noch gelingen sollte, die
großen Grnndstückstiefen zu kürzen oder der Ausnutzung der Grundstücke bis
zur äußersten baupolizeilich jetzt zulässigen Grenze durch Einführung einer rück¬
wärtigen Bauflucht einen Riegel vorzuschieben. Selbstverständlich lassen sich beide
Maßregeln nicht mehr in solchen Orten durchführen, deren bauliche Entwickelung
nach dem Mietskasernensystem schon zu weit vorgeschritten ist. Würde man hier
für die noch freien Grundstücke oder für eine Stadterweiterung geringeren
Umfanges die vorerwähnten Baubeschränkungen einführen, so würde die
unausbleibliche Folge eine weitere Steigerung der Miethpreise sein. Schon
jetzt haben die Miethpreise in den meisten Vororten eine Höhe erreicht,
die viele Familien, ebenso wie in Berlin selbst, zwingt, mit einer kleineren
Wohnung vorlieb nehmen zu müssen, als es aus gesundheitlichen, sozialen und oft
auch sittlichen Gründen wünschenswert ist. Die häufig gehörte Annahme, daß
Baubeschränkungen die Grundstückspreise Herabdrücken, ist, wie die Erfahrung
zeigt, nicht zutreffend.

Unter dem Wohnungselend leiden hauptsächlich zwei Bevölkerungsschichten,
der Arbeiterstand und der Mittelstand. Die aber machen fast die ganze Bewohner¬
schaft der Großstädte aus. Zum Mittelstand sind aber nicht nur Handwerker und
sonstige Gewerbetreibende zu rechnen, sondern auch Gelehrte, Künstler, Lehrer,
höhere und mittlere Beamte, kleine Rentner und bessere Angestellte aller Art, soweit
sie nicht im Besitz eines größeren Vermögens sind.

Eine zweckmäßige Lösung der Eigenheimfrage, die gerade für das Wohl¬
befinden des minderbemittelten Mittelstandes von großer Wichtigkeit und für
das Staatsinteresse von allergrößter Bedeutung ist, muß also ausschließlich eine
Lösung der Wohnungsfrage für diese beiden Stände sein. Für den wohlhabenden
Mann, der etliche tausend Mark Wohnungsmiete oder Zinsen zahlen kann, findet
sich immer in der Umgegend der Großstadt ein hübsch und zur Stadt bequem
belegener Ort, in dem er sich ansiedeln kann. Die Bedürfnisse für diese Kreise
scheiden denn auch bei den nachfolgenden Betrachtungen aus. Weiter bietet die
Lösung der Eigenheimfrage für solche Menschen wenig oder gar keine Schwierig¬
keiten, die, von der Stadt unabhängig, sich ihren Wohnsitz nach Belieben wählen
können. Beide Kategorien bilden aber im Verhältnis zur Bevölkerungszahl eine
so verschwindende Minderheit, daß durch sie der Grundstücksmarkt gar nicht oder
durch die wohlhabenden Kreise nur in sehr geringem Maße beeinflußt wird.


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[0158] Das Eigenheim des Mittelstandes Was hat sich nun aber daraus entwickelt! Die Bevölkerung befindet sich in ständiger Zunahme; die Behörden waren schließlich gezwungen, für die Vororte eine Bauordnung zu erlassen, die eine intensivere Bebauung der Grundstücke zuläßt. Die meisten Eigenhäuser sind von der Bildfläche ver¬ schwunden und dank der großen Grundstückstiefen steht nun das Mietskasernen¬ system mit seinen hygienisch bedenklichen Seitenflügeln und Hintergebäuden in den Vororten in voller Blüte. Dieser Entwickelung sind alle in der Nähe großer Städte belegenen Orte, soweit sie gute Verbindungen nach diesen haben, unrettbar verfallen, wenn es hier und da nicht noch gelingen sollte, die großen Grnndstückstiefen zu kürzen oder der Ausnutzung der Grundstücke bis zur äußersten baupolizeilich jetzt zulässigen Grenze durch Einführung einer rück¬ wärtigen Bauflucht einen Riegel vorzuschieben. Selbstverständlich lassen sich beide Maßregeln nicht mehr in solchen Orten durchführen, deren bauliche Entwickelung nach dem Mietskasernensystem schon zu weit vorgeschritten ist. Würde man hier für die noch freien Grundstücke oder für eine Stadterweiterung geringeren Umfanges die vorerwähnten Baubeschränkungen einführen, so würde die unausbleibliche Folge eine weitere Steigerung der Miethpreise sein. Schon jetzt haben die Miethpreise in den meisten Vororten eine Höhe erreicht, die viele Familien, ebenso wie in Berlin selbst, zwingt, mit einer kleineren Wohnung vorlieb nehmen zu müssen, als es aus gesundheitlichen, sozialen und oft auch sittlichen Gründen wünschenswert ist. Die häufig gehörte Annahme, daß Baubeschränkungen die Grundstückspreise Herabdrücken, ist, wie die Erfahrung zeigt, nicht zutreffend. Unter dem Wohnungselend leiden hauptsächlich zwei Bevölkerungsschichten, der Arbeiterstand und der Mittelstand. Die aber machen fast die ganze Bewohner¬ schaft der Großstädte aus. Zum Mittelstand sind aber nicht nur Handwerker und sonstige Gewerbetreibende zu rechnen, sondern auch Gelehrte, Künstler, Lehrer, höhere und mittlere Beamte, kleine Rentner und bessere Angestellte aller Art, soweit sie nicht im Besitz eines größeren Vermögens sind. Eine zweckmäßige Lösung der Eigenheimfrage, die gerade für das Wohl¬ befinden des minderbemittelten Mittelstandes von großer Wichtigkeit und für das Staatsinteresse von allergrößter Bedeutung ist, muß also ausschließlich eine Lösung der Wohnungsfrage für diese beiden Stände sein. Für den wohlhabenden Mann, der etliche tausend Mark Wohnungsmiete oder Zinsen zahlen kann, findet sich immer in der Umgegend der Großstadt ein hübsch und zur Stadt bequem belegener Ort, in dem er sich ansiedeln kann. Die Bedürfnisse für diese Kreise scheiden denn auch bei den nachfolgenden Betrachtungen aus. Weiter bietet die Lösung der Eigenheimfrage für solche Menschen wenig oder gar keine Schwierig¬ keiten, die, von der Stadt unabhängig, sich ihren Wohnsitz nach Belieben wählen können. Beide Kategorien bilden aber im Verhältnis zur Bevölkerungszahl eine so verschwindende Minderheit, daß durch sie der Grundstücksmarkt gar nicht oder durch die wohlhabenden Kreise nur in sehr geringem Maße beeinflußt wird.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/158>, abgerufen am 22.07.2024.