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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

mitzuteilen, welcher Kirche Taft angehöre, nämlich einer Richtung, welche das
Trinitätsdogma ablehnt, also auch von dem Gottmenschentum des Stifters der
christlichen Religion abstrahiert."

spielten doch schon die zwei "Cocktails, welche William Tahl bei irgend¬
einer -- öffentlichen! -- Gelegenheit getrunken hatte oder getrunken haben
sollte, während seiner Wählkampagne eine große Rolle, wobei seine Parteifreunde
alle Hände voll zu tun hatten, diese "Affäre" in möglichst mildem Lichte
erscheinen zu lassen. Sehr anzuerkennen ist es schon, daß Herr Taft diese
beiden Saratoga-Cocktails überhaupt nicht gänzlich abgeleugnet hat. Denn im
allgemeinen bemüht sich auch er -- trotz seines persönlich sehr freisinnigen
Standpunktes -- aufs eifrigste "mitzumachen", wie er es denn auch ganz
speziell stets vermeidet, sich am Sonntag öffentlich bei irgendeiner "weltlichen"
Verrichtung zu zeigen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

Der Rücktritt des Erbprinzen von Hohenlohe-Langenlmrg vom Neichstags-
präsidium -- Zu Nheiubabcns Rücktritt -- Das russisch-japanische Abkommen
-- Kreta.

Ein neuer Anlaß zur allgemeinen Erörterung unsrer innerpolitischen Lage ist
durch eine Überraschung, die uns ein hochgestellter Mann bereitet hat, gegeben.
Der Erbprinz von Hohenlohe-Langenburg ist von seiner Stellung im Reichstags¬
präsidium -- er war bekanntlich zweiter Vizepräsident -- zurückgetreten und hat
diesen Schritt in einer längeren öffentlichen Erklärung begründet. Von Anfang an
ist niemand im Zweifel gewesen, daß die Annahme des Postens, den der Erbprinz
bisher im Reichstagspräsidium bekleidet hat, für ihn ein schweres patriotisches
Opfer war. Nur mit starker Selbstverleugnung konnte er sich dazu verstehen; das
war einleuchtend, und dafür schuldete man ihm Dank. Seitdem haben sich die
Dinge weiter entwickelt, gewiß nicht zur Freude der meisten Patrioten und am
allerwenigsten derer, die ungefähr von den gleichen Gesinnungen und Anschauungen
ausgehen wie der Erbprinz. Es ist also wohl zu verstehen, daß Prinz Hohenlohe
den Widerspruch zwischen der wirklichen Lage und der, die er bei Übernahme der
zweiten Vizepräsidentschaft des Reichstags angestrebt oder wenigstens zu retten
gehofft hatte, von Tag zu Tag stärker und allmählich bis zum Unerträglichen
empfand. Wenn er eines Tages daraus die Konsequenz zog, die in dem jetzt
vollzognen Schritt ausgedrückt wird, so kennzeichnet das nur aufs neue die vor¬
nehme, hochgesinnte Denkweise, die der Prinz von jeher in allen Lebenslagen
betätigt hat.

Allein der Politiker kann sich mit dem Zeugnis persönlicher Hochachtung
nicht begnügen. Er nutz kühl und nüchtern fragen, welche Folgen ein politischer
Schritt nach sich zieht, und ebensowenig wie uns die persönlich achtungswerte Tat
eines politischen Gegners bei voller Anerkennung ihrer Motive veranlassen kann,
in daS Lager der Gegenpartei überzugehen, so kann auch ein aus Charakter und


Maßgebliches und Unmaßgebliches

mitzuteilen, welcher Kirche Taft angehöre, nämlich einer Richtung, welche das
Trinitätsdogma ablehnt, also auch von dem Gottmenschentum des Stifters der
christlichen Religion abstrahiert."

spielten doch schon die zwei „Cocktails, welche William Tahl bei irgend¬
einer — öffentlichen! — Gelegenheit getrunken hatte oder getrunken haben
sollte, während seiner Wählkampagne eine große Rolle, wobei seine Parteifreunde
alle Hände voll zu tun hatten, diese „Affäre" in möglichst mildem Lichte
erscheinen zu lassen. Sehr anzuerkennen ist es schon, daß Herr Taft diese
beiden Saratoga-Cocktails überhaupt nicht gänzlich abgeleugnet hat. Denn im
allgemeinen bemüht sich auch er — trotz seines persönlich sehr freisinnigen
Standpunktes — aufs eifrigste „mitzumachen", wie er es denn auch ganz
speziell stets vermeidet, sich am Sonntag öffentlich bei irgendeiner „weltlichen"
Verrichtung zu zeigen.




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Reichsspiegel

Der Rücktritt des Erbprinzen von Hohenlohe-Langenlmrg vom Neichstags-
präsidium — Zu Nheiubabcns Rücktritt — Das russisch-japanische Abkommen
— Kreta.

Ein neuer Anlaß zur allgemeinen Erörterung unsrer innerpolitischen Lage ist
durch eine Überraschung, die uns ein hochgestellter Mann bereitet hat, gegeben.
Der Erbprinz von Hohenlohe-Langenburg ist von seiner Stellung im Reichstags¬
präsidium — er war bekanntlich zweiter Vizepräsident — zurückgetreten und hat
diesen Schritt in einer längeren öffentlichen Erklärung begründet. Von Anfang an
ist niemand im Zweifel gewesen, daß die Annahme des Postens, den der Erbprinz
bisher im Reichstagspräsidium bekleidet hat, für ihn ein schweres patriotisches
Opfer war. Nur mit starker Selbstverleugnung konnte er sich dazu verstehen; das
war einleuchtend, und dafür schuldete man ihm Dank. Seitdem haben sich die
Dinge weiter entwickelt, gewiß nicht zur Freude der meisten Patrioten und am
allerwenigsten derer, die ungefähr von den gleichen Gesinnungen und Anschauungen
ausgehen wie der Erbprinz. Es ist also wohl zu verstehen, daß Prinz Hohenlohe
den Widerspruch zwischen der wirklichen Lage und der, die er bei Übernahme der
zweiten Vizepräsidentschaft des Reichstags angestrebt oder wenigstens zu retten
gehofft hatte, von Tag zu Tag stärker und allmählich bis zum Unerträglichen
empfand. Wenn er eines Tages daraus die Konsequenz zog, die in dem jetzt
vollzognen Schritt ausgedrückt wird, so kennzeichnet das nur aufs neue die vor¬
nehme, hochgesinnte Denkweise, die der Prinz von jeher in allen Lebenslagen
betätigt hat.

Allein der Politiker kann sich mit dem Zeugnis persönlicher Hochachtung
nicht begnügen. Er nutz kühl und nüchtern fragen, welche Folgen ein politischer
Schritt nach sich zieht, und ebensowenig wie uns die persönlich achtungswerte Tat
eines politischen Gegners bei voller Anerkennung ihrer Motive veranlassen kann,
in daS Lager der Gegenpartei überzugehen, so kann auch ein aus Charakter und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/98>, abgerufen am 23.07.2024.