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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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"Faust" in Frankreich

Tone, alles Deutsche zu verdammen, und der schauerlichste Blödsinn wurde
gedruckt, wenn er nur seine Spitze gegen etwas Deutsches richtete. In diesen
ersten Jahren nach dem Kriege rechnete auch der jüngere Dumas mit dem
>>polis8on ohn6l-sble" ab, der "mehr als irgendein anderer unfähig war, die
antike Legende Fausts würdig zu behandeln". Und mit vollen Backen stößt er
in die Trompete: "Im Namen der lateinischen Rasse, zu der ich gehöre," --
seine Urgroßmutter war Negerin, seine Mutter Jüdin, ^ "greife ich denjenigen
an, der in der Literatur am vollkommensten die andere Rasse vertritt. Er
vertritt sie in ihrem kalten, abwägenden, aus Bruchstücken zusammengesetzten,
obskuren, aus hartnäckiger Arbeit, langsam Schritt vor Schritt in lichtscheuer
Mühe geborenen Genie, diesem Genie ohne eigene Inspiration, ohne Ideal,
ohne Redlichkeit." Andere sittlich entrüstete Patrioten waren noch grimmiger als
der Verfasser der "Kameliendame", der uns Gott sei Dank seinen "Faust" schuldig
geblieben ist, indessen fehlte es auch nicht an Vertretern der andern Seite.
Meziöres meinte in einem 1872 erschienenen, vor dem Kriege schon verfaßten
Buche entschuldigend: "Goethe lieben heißt nicht Deutschland lieben, und erst
recht nicht Preußen lieben!" Flaubert schreibt grimmig über die Invektiven des
jüngern Dumas: "Da muß man doch mit Voltaire sagen: niemals wird es
genug Eselsmützen, niemals genug Tadel für derartige Lümmel geben!" Und
Emeste Renan erklärte in der Akademie: "Wir haben nichts zurückzunehmen von
dem. was wir gesagt haben; unsern Lobsprüchen folgt keine Reue. Was wir
geliebt haben, war wirklich liebenswert. Was wir bewunderten, war wunderbar.
Wir haben unser Urteil über Goethe und Herder nicht geändert."

Während aber die Elite des geistigen Frankreichs sich allmählich von der
blinden Torheit der Revanchestimmung abkehrte, blieb die Gesinnung des weitern
Publikums so, daß von einer neuen Bearbeitung eines Goethescher Stückes für
die französische Bühne dreißig Jahre lang nicht die Rede sein konnte. Der
große Haufe des französischen Volkes dachte mit Bezug auf Goethe und alles
Deutsche so, wie Madame Adam das einem deutschen Journalisten gegenüber
aussprach, der eine Umfrage über den Einfluß Schillers auf Frankreich veran¬
staltete. Die sehr gebildete und geistreiche Dame erwiderte nämlich: "Zwischen
den Ideen Schillers und den meinigen liegt Elsaß-Lothringen!"

Sarah Bernhardt, die zwar dereinst auch erklärt hat, sie werde nimmermehr
in Deutschland auftreten. war die erste, die Goethe wieder auf die französische
Bühne zu bringen wagte. Sie ließ sich vor sechs oder sieben Jahren einen
"Werther" schreiben, der sich ein paar Monate in ihrem Theater behauptete.
Sie will nun auch einen neuen "Faust" herausbringen, den zuerst Heurn Bataille
schreiben sollte und auch geschrieben hat. Die Göttliche entzweite sich aber mit
ihrem Autor und gab ihm sein Stück zurück, um sich an Edmond Rostand zu
wenden. Dieser Name bürgt dafür, daß der neue französische "Faust" im
besten Falle ein Seitenstück zu Gounods Oper werden kann. Das NeimgeMngel
Rostands wird ganz ebenso tief und ideenreich werden wie die Melodien Gounods,


„Faust" in Frankreich

Tone, alles Deutsche zu verdammen, und der schauerlichste Blödsinn wurde
gedruckt, wenn er nur seine Spitze gegen etwas Deutsches richtete. In diesen
ersten Jahren nach dem Kriege rechnete auch der jüngere Dumas mit dem
>>polis8on ohn6l-sble" ab, der „mehr als irgendein anderer unfähig war, die
antike Legende Fausts würdig zu behandeln". Und mit vollen Backen stößt er
in die Trompete: „Im Namen der lateinischen Rasse, zu der ich gehöre," —
seine Urgroßmutter war Negerin, seine Mutter Jüdin, ^ „greife ich denjenigen
an, der in der Literatur am vollkommensten die andere Rasse vertritt. Er
vertritt sie in ihrem kalten, abwägenden, aus Bruchstücken zusammengesetzten,
obskuren, aus hartnäckiger Arbeit, langsam Schritt vor Schritt in lichtscheuer
Mühe geborenen Genie, diesem Genie ohne eigene Inspiration, ohne Ideal,
ohne Redlichkeit." Andere sittlich entrüstete Patrioten waren noch grimmiger als
der Verfasser der „Kameliendame", der uns Gott sei Dank seinen „Faust" schuldig
geblieben ist, indessen fehlte es auch nicht an Vertretern der andern Seite.
Meziöres meinte in einem 1872 erschienenen, vor dem Kriege schon verfaßten
Buche entschuldigend: „Goethe lieben heißt nicht Deutschland lieben, und erst
recht nicht Preußen lieben!" Flaubert schreibt grimmig über die Invektiven des
jüngern Dumas: „Da muß man doch mit Voltaire sagen: niemals wird es
genug Eselsmützen, niemals genug Tadel für derartige Lümmel geben!" Und
Emeste Renan erklärte in der Akademie: „Wir haben nichts zurückzunehmen von
dem. was wir gesagt haben; unsern Lobsprüchen folgt keine Reue. Was wir
geliebt haben, war wirklich liebenswert. Was wir bewunderten, war wunderbar.
Wir haben unser Urteil über Goethe und Herder nicht geändert."

Während aber die Elite des geistigen Frankreichs sich allmählich von der
blinden Torheit der Revanchestimmung abkehrte, blieb die Gesinnung des weitern
Publikums so, daß von einer neuen Bearbeitung eines Goethescher Stückes für
die französische Bühne dreißig Jahre lang nicht die Rede sein konnte. Der
große Haufe des französischen Volkes dachte mit Bezug auf Goethe und alles
Deutsche so, wie Madame Adam das einem deutschen Journalisten gegenüber
aussprach, der eine Umfrage über den Einfluß Schillers auf Frankreich veran¬
staltete. Die sehr gebildete und geistreiche Dame erwiderte nämlich: „Zwischen
den Ideen Schillers und den meinigen liegt Elsaß-Lothringen!"

Sarah Bernhardt, die zwar dereinst auch erklärt hat, sie werde nimmermehr
in Deutschland auftreten. war die erste, die Goethe wieder auf die französische
Bühne zu bringen wagte. Sie ließ sich vor sechs oder sieben Jahren einen
„Werther" schreiben, der sich ein paar Monate in ihrem Theater behauptete.
Sie will nun auch einen neuen „Faust" herausbringen, den zuerst Heurn Bataille
schreiben sollte und auch geschrieben hat. Die Göttliche entzweite sich aber mit
ihrem Autor und gab ihm sein Stück zurück, um sich an Edmond Rostand zu
wenden. Dieser Name bürgt dafür, daß der neue französische „Faust" im
besten Falle ein Seitenstück zu Gounods Oper werden kann. Das NeimgeMngel
Rostands wird ganz ebenso tief und ideenreich werden wie die Melodien Gounods,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/89>, abgerufen am 23.07.2024.