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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Payor und Naumann als Historiker

"Frankfurter Zeitung" von heute ungefähr verhält wie das Kind zu dem
gereiften Mann. Naumann aber will davon gar nichts wissen. Nach ihm
haben Sonnemann und die "Frankfurter Zeitung" im Kampf gegen Bismarck
"in allen großen Fragen recht gehabt"! Was sind denn diese großen Fragen?
Welchen Widerstand die Volkspartei (und die "Frankfurter Zeitung" mit ihr)
der Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs, die doch nur nach Bismarcks Ideen
zustande kommen konnte, geleistet hat, das hat uns ja Paper deutlich dargelegt.
Und wie die gute Frankfurterin sich zu Heeres-, Flotten- und kolonialen Fragen
stellte, das haben wir ja soeben berührt. Naumann führt den Widerspruch der
"Frankfurter Zeitung" gegen den Kulturkampf ins Feld. Wir wollen davon
absehen, daß sie darin nicht allein stand (ein Teil der Konservativen verurteilte
ihn ja auch), auch davou, daß gerade für den Bismarckschen Kulturkampf eine
gewisse Notwendigkeit vorlag. Wir wollen nnr die praktischen Folgen jenes
Widerspruchs etwas beleuchten. Die Frankfurterin fand damals in ultramontanen
Kreisen weite Verbreitung und erfreute sich bei ihnen großer Beliebtheit.
Und das Organ, das damit den Zentrumsleuten so sehr willkommen wurde,
suchte seinen Schwerpunkt in dem Kampf gegen Preußen und gegen die Anforde¬
rungen eines starken Nationalstaates. Wenn dann die Ultramontanen sich gegen
nationale und staatliche Forderungen ablehnend verhielten, so konnten sie sich
berufen auf die gleiche Auffassung in ganz "freisinnigen" Kreisen. Der Ultra¬
montanismus empfing so die Märtyrerkrone des Kampfes für "Freiheit" und
"Volksrechte". Man spricht gern von dein Mangel an staatlichem und nationalem
Gefühl beim Zentrum. Man sollte aber berücksichtigen, daß dieser Mangel zu
einem sehr erheblichen Teil zurückgeht auf Anschauungen, die den Zentrums-
leuten eben damals von Organen wie der "Frankfurter Zeitung" suggeriert
wurden. Im übrigen weiß jedermann, daß, wenn die kirchenpolitischenAnschauungen
der Volkspartei in einem Staat zur Herrschaft gebracht werden sollen, es einen
"Kulturkampf" gibt, dem gegenüber der Bismarcksche ein Waisenkind bleibt.
Naumann führt ferner zum Beweis dafür, daß Sonnemann "in allen großen
Fragen recht gehabt" habe, seine "Auffassung vom internationalen Friedens¬
bedürfnis" an. So wie er sich die Sache dachte, bedeutete sie die Negation
einer starken Armee des Deutschen Reichs. Hat er damit recht gehabt? Jene
Äußerung Naumanns ist mir insoweit von Interesse, als sie eine Andeutung
darüber gibt, wo er vielleicht noch einmal landen wird. Zum Lob darf man
es der "Frankfurter Zeitung" anrechnen, daß sie frühzeitig für die soziale
Gesetzgebung eingetreten ist, während andere freisinnige Gruppen ihr lange
widerstrebten und ein freisinniger Führer wie Bamberger ihr dauernd abgeneigt
blieb. Indessen hier hat die Frankfurterin keineswegs im Gegensatz zu Bismarck
recht gehabt, sondern sich ihm einfach anschließen müssen.

Hören wir aber die weiteren Urteile unseres Historikers. Er faßt Südwest-
deutschland als eine Einheit auf, dessen normales Organ stets die "Frankfurter
Zeitung" gewesen sei. Sonnemann und die Frankfurterin vertraten "den


Payor und Naumann als Historiker

„Frankfurter Zeitung" von heute ungefähr verhält wie das Kind zu dem
gereiften Mann. Naumann aber will davon gar nichts wissen. Nach ihm
haben Sonnemann und die „Frankfurter Zeitung" im Kampf gegen Bismarck
„in allen großen Fragen recht gehabt"! Was sind denn diese großen Fragen?
Welchen Widerstand die Volkspartei (und die „Frankfurter Zeitung" mit ihr)
der Wiederaufrichtung des Deutschen Reichs, die doch nur nach Bismarcks Ideen
zustande kommen konnte, geleistet hat, das hat uns ja Paper deutlich dargelegt.
Und wie die gute Frankfurterin sich zu Heeres-, Flotten- und kolonialen Fragen
stellte, das haben wir ja soeben berührt. Naumann führt den Widerspruch der
„Frankfurter Zeitung" gegen den Kulturkampf ins Feld. Wir wollen davon
absehen, daß sie darin nicht allein stand (ein Teil der Konservativen verurteilte
ihn ja auch), auch davou, daß gerade für den Bismarckschen Kulturkampf eine
gewisse Notwendigkeit vorlag. Wir wollen nnr die praktischen Folgen jenes
Widerspruchs etwas beleuchten. Die Frankfurterin fand damals in ultramontanen
Kreisen weite Verbreitung und erfreute sich bei ihnen großer Beliebtheit.
Und das Organ, das damit den Zentrumsleuten so sehr willkommen wurde,
suchte seinen Schwerpunkt in dem Kampf gegen Preußen und gegen die Anforde¬
rungen eines starken Nationalstaates. Wenn dann die Ultramontanen sich gegen
nationale und staatliche Forderungen ablehnend verhielten, so konnten sie sich
berufen auf die gleiche Auffassung in ganz „freisinnigen" Kreisen. Der Ultra¬
montanismus empfing so die Märtyrerkrone des Kampfes für „Freiheit" und
„Volksrechte". Man spricht gern von dein Mangel an staatlichem und nationalem
Gefühl beim Zentrum. Man sollte aber berücksichtigen, daß dieser Mangel zu
einem sehr erheblichen Teil zurückgeht auf Anschauungen, die den Zentrums-
leuten eben damals von Organen wie der „Frankfurter Zeitung" suggeriert
wurden. Im übrigen weiß jedermann, daß, wenn die kirchenpolitischenAnschauungen
der Volkspartei in einem Staat zur Herrschaft gebracht werden sollen, es einen
„Kulturkampf" gibt, dem gegenüber der Bismarcksche ein Waisenkind bleibt.
Naumann führt ferner zum Beweis dafür, daß Sonnemann „in allen großen
Fragen recht gehabt" habe, seine „Auffassung vom internationalen Friedens¬
bedürfnis" an. So wie er sich die Sache dachte, bedeutete sie die Negation
einer starken Armee des Deutschen Reichs. Hat er damit recht gehabt? Jene
Äußerung Naumanns ist mir insoweit von Interesse, als sie eine Andeutung
darüber gibt, wo er vielleicht noch einmal landen wird. Zum Lob darf man
es der „Frankfurter Zeitung" anrechnen, daß sie frühzeitig für die soziale
Gesetzgebung eingetreten ist, während andere freisinnige Gruppen ihr lange
widerstrebten und ein freisinniger Führer wie Bamberger ihr dauernd abgeneigt
blieb. Indessen hier hat die Frankfurterin keineswegs im Gegensatz zu Bismarck
recht gehabt, sondern sich ihm einfach anschließen müssen.

Hören wir aber die weiteren Urteile unseres Historikers. Er faßt Südwest-
deutschland als eine Einheit auf, dessen normales Organ stets die „Frankfurter
Zeitung" gewesen sei. Sonnemann und die Frankfurterin vertraten „den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/74>, abgerufen am 23.07.2024.