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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Payer und Naumann als Historiker

folgende Sätze hervor: "Auf den einen oder anderen von uns, der späterhin
persönlich mit Bismarck in Berührung kam, hat er merkwürdigerweise bis¬
weilen einen geradezu faszinierenden Eindruck gemacht. Der Reiz seiner Persön¬
lichkeit muß im Umgang ein ganz außergewöhnlicher gewesen sein. Ich ent¬
sinne mich eines sehr entschiedenen jungen denrokratisch-fortschrittlichen Berliners,
der erst nach Tagen seine Objektivität zur Not wiederfand." Man sieht: nach
der damaligen Auffassung der Volksparteiler war es das denkbar Entsetzlichste,
sich von Bismarck beeinflussen zu lassen.

Payer wirft endlich ganz allgemein die Frage auf, ob die alte volks¬
parteiliche Politik die richtige gewesen sei. Man beobachtet, wie schwer es ihm
wird, die Bejahung der Frage zu vermeiden. Aber er ist viel zu ehrlich, um
sie leicht zu nehmen, und er räumt mehreres ein. was wir als bemerkens¬
wertes und erfreuliches Eingeständnis verzeichnen. "Unsere damaligen Führer
haben die Machtfaktoren nicht richtig eingeschätzt." "Sicherlich haben bei Auf¬
stellung unseres nationalen Programms eine hoffnungsfreudige Phantasie, eine
gewisse Schwärmerei mehr angesprochen, als unsere höchst nüchtern und berechnend
gewordenen Nachkommen zu verstehen vermögen." Wir werden wohl sachlich
richtiger urteilen, wenn wir das alte volksparteiliche Programm mit seiner
Ablehnung aller kräftigen Machtentfaltung des Reichs in erster Linie als ein
Produkt der Engherzigkeit auffassen, was ja nicht ausschließt, daß eine "hofsnungs-
fteudige Phantasie" und "eine gewisse Schwärmerei" mitgewirkt haben. Indessen
lassen wir den Volksparteilern das Vergnügen, ihren Rückzug möglichst günstig
zu motivieren; die Hauptsache ist, daß sie -- wie Payer es tut -- die alte
Politik als uicht richtig erkennen.

Während Payer, der den alten Standpunkt der Volkspartei noch selbst als
Politiker vertreten hat, jetzt deren Irrtümer offen anerkennt, macht sich Naumann,
der von Haus aus nichts mit ihr zu tun hat, heute zu ihrem unbedingten Lob¬
redner. Dein kühnsten Entwicklungsfanatiker muß die Großartigkeit imponieren,
mit der sich der ehemalige Anhänger Stöckers und Verehrer Bismarcks zum
kritiklosen Anbeter der Volkspartei und vor allem Sonnemanns und seiner
"Frankfurter Zeitung" umgebildet hat. Für Naumann, der uns so eindringlich
M predigen wußte, wir sollten national werden, der immer von neuem von der
Notwendigkeit eines starken Heeres, einer starken Flotte, eines kräftigen Aufbaus
unseres kolonialen Besitzes sprach, ist heute der wahre und einzige Prophet
Sonnemann, der tatsächlich alle diese schönen Dinge für Unsinn gehalten hat.
Wir wissen wohl, daß gegenwärtig von der "Frankfurter Zeitung" so kindliche
Anschauungen nicht mehr geteilt werden. Es hat sich in ihrer Redaktion eine
bedeutungsvolle Wandlung vollzogen, von der die Redakteure auch gar kein
Hehl machen, wie denn einer von ihnen sich zu dem Schreiber dieser Zeilen
offen darüber ausgesprochen hat. Obwohl eine weitere Fortbildung des politischen
Urteils der Redaktion noch durchaus wünschenswert bleibt, so erkennen wir doch
bereitwillig an, daß die "Frankfurter Zeitung" der Zeit Bismarcks sich zu der


Payer und Naumann als Historiker

folgende Sätze hervor: „Auf den einen oder anderen von uns, der späterhin
persönlich mit Bismarck in Berührung kam, hat er merkwürdigerweise bis¬
weilen einen geradezu faszinierenden Eindruck gemacht. Der Reiz seiner Persön¬
lichkeit muß im Umgang ein ganz außergewöhnlicher gewesen sein. Ich ent¬
sinne mich eines sehr entschiedenen jungen denrokratisch-fortschrittlichen Berliners,
der erst nach Tagen seine Objektivität zur Not wiederfand." Man sieht: nach
der damaligen Auffassung der Volksparteiler war es das denkbar Entsetzlichste,
sich von Bismarck beeinflussen zu lassen.

Payer wirft endlich ganz allgemein die Frage auf, ob die alte volks¬
parteiliche Politik die richtige gewesen sei. Man beobachtet, wie schwer es ihm
wird, die Bejahung der Frage zu vermeiden. Aber er ist viel zu ehrlich, um
sie leicht zu nehmen, und er räumt mehreres ein. was wir als bemerkens¬
wertes und erfreuliches Eingeständnis verzeichnen. „Unsere damaligen Führer
haben die Machtfaktoren nicht richtig eingeschätzt." „Sicherlich haben bei Auf¬
stellung unseres nationalen Programms eine hoffnungsfreudige Phantasie, eine
gewisse Schwärmerei mehr angesprochen, als unsere höchst nüchtern und berechnend
gewordenen Nachkommen zu verstehen vermögen." Wir werden wohl sachlich
richtiger urteilen, wenn wir das alte volksparteiliche Programm mit seiner
Ablehnung aller kräftigen Machtentfaltung des Reichs in erster Linie als ein
Produkt der Engherzigkeit auffassen, was ja nicht ausschließt, daß eine „hofsnungs-
fteudige Phantasie" und „eine gewisse Schwärmerei" mitgewirkt haben. Indessen
lassen wir den Volksparteilern das Vergnügen, ihren Rückzug möglichst günstig
zu motivieren; die Hauptsache ist, daß sie — wie Payer es tut — die alte
Politik als uicht richtig erkennen.

Während Payer, der den alten Standpunkt der Volkspartei noch selbst als
Politiker vertreten hat, jetzt deren Irrtümer offen anerkennt, macht sich Naumann,
der von Haus aus nichts mit ihr zu tun hat, heute zu ihrem unbedingten Lob¬
redner. Dein kühnsten Entwicklungsfanatiker muß die Großartigkeit imponieren,
mit der sich der ehemalige Anhänger Stöckers und Verehrer Bismarcks zum
kritiklosen Anbeter der Volkspartei und vor allem Sonnemanns und seiner
„Frankfurter Zeitung" umgebildet hat. Für Naumann, der uns so eindringlich
M predigen wußte, wir sollten national werden, der immer von neuem von der
Notwendigkeit eines starken Heeres, einer starken Flotte, eines kräftigen Aufbaus
unseres kolonialen Besitzes sprach, ist heute der wahre und einzige Prophet
Sonnemann, der tatsächlich alle diese schönen Dinge für Unsinn gehalten hat.
Wir wissen wohl, daß gegenwärtig von der „Frankfurter Zeitung" so kindliche
Anschauungen nicht mehr geteilt werden. Es hat sich in ihrer Redaktion eine
bedeutungsvolle Wandlung vollzogen, von der die Redakteure auch gar kein
Hehl machen, wie denn einer von ihnen sich zu dem Schreiber dieser Zeilen
offen darüber ausgesprochen hat. Obwohl eine weitere Fortbildung des politischen
Urteils der Redaktion noch durchaus wünschenswert bleibt, so erkennen wir doch
bereitwillig an, daß die „Frankfurter Zeitung" der Zeit Bismarcks sich zu der


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[0073] Payer und Naumann als Historiker folgende Sätze hervor: „Auf den einen oder anderen von uns, der späterhin persönlich mit Bismarck in Berührung kam, hat er merkwürdigerweise bis¬ weilen einen geradezu faszinierenden Eindruck gemacht. Der Reiz seiner Persön¬ lichkeit muß im Umgang ein ganz außergewöhnlicher gewesen sein. Ich ent¬ sinne mich eines sehr entschiedenen jungen denrokratisch-fortschrittlichen Berliners, der erst nach Tagen seine Objektivität zur Not wiederfand." Man sieht: nach der damaligen Auffassung der Volksparteiler war es das denkbar Entsetzlichste, sich von Bismarck beeinflussen zu lassen. Payer wirft endlich ganz allgemein die Frage auf, ob die alte volks¬ parteiliche Politik die richtige gewesen sei. Man beobachtet, wie schwer es ihm wird, die Bejahung der Frage zu vermeiden. Aber er ist viel zu ehrlich, um sie leicht zu nehmen, und er räumt mehreres ein. was wir als bemerkens¬ wertes und erfreuliches Eingeständnis verzeichnen. „Unsere damaligen Führer haben die Machtfaktoren nicht richtig eingeschätzt." „Sicherlich haben bei Auf¬ stellung unseres nationalen Programms eine hoffnungsfreudige Phantasie, eine gewisse Schwärmerei mehr angesprochen, als unsere höchst nüchtern und berechnend gewordenen Nachkommen zu verstehen vermögen." Wir werden wohl sachlich richtiger urteilen, wenn wir das alte volksparteiliche Programm mit seiner Ablehnung aller kräftigen Machtentfaltung des Reichs in erster Linie als ein Produkt der Engherzigkeit auffassen, was ja nicht ausschließt, daß eine „hofsnungs- fteudige Phantasie" und „eine gewisse Schwärmerei" mitgewirkt haben. Indessen lassen wir den Volksparteilern das Vergnügen, ihren Rückzug möglichst günstig zu motivieren; die Hauptsache ist, daß sie — wie Payer es tut — die alte Politik als uicht richtig erkennen. Während Payer, der den alten Standpunkt der Volkspartei noch selbst als Politiker vertreten hat, jetzt deren Irrtümer offen anerkennt, macht sich Naumann, der von Haus aus nichts mit ihr zu tun hat, heute zu ihrem unbedingten Lob¬ redner. Dein kühnsten Entwicklungsfanatiker muß die Großartigkeit imponieren, mit der sich der ehemalige Anhänger Stöckers und Verehrer Bismarcks zum kritiklosen Anbeter der Volkspartei und vor allem Sonnemanns und seiner „Frankfurter Zeitung" umgebildet hat. Für Naumann, der uns so eindringlich M predigen wußte, wir sollten national werden, der immer von neuem von der Notwendigkeit eines starken Heeres, einer starken Flotte, eines kräftigen Aufbaus unseres kolonialen Besitzes sprach, ist heute der wahre und einzige Prophet Sonnemann, der tatsächlich alle diese schönen Dinge für Unsinn gehalten hat. Wir wissen wohl, daß gegenwärtig von der „Frankfurter Zeitung" so kindliche Anschauungen nicht mehr geteilt werden. Es hat sich in ihrer Redaktion eine bedeutungsvolle Wandlung vollzogen, von der die Redakteure auch gar kein Hehl machen, wie denn einer von ihnen sich zu dem Schreiber dieser Zeilen offen darüber ausgesprochen hat. Obwohl eine weitere Fortbildung des politischen Urteils der Redaktion noch durchaus wünschenswert bleibt, so erkennen wir doch bereitwillig an, daß die „Frankfurter Zeitung" der Zeit Bismarcks sich zu der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/73>, abgerufen am 23.07.2024.