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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Marwitz

oder ein altes Weib mit ihrer Kiepe auf, argwöhnisch nach dem feindlichen Militär
hinüberlugend und schleunigst auf Rückzug bedacht. Zwei junge Burschen, mit
der zertretenen Wintersaat beschäftigt, richteten sich von der Scholle auf, rückten an
ihren Mützen und riefen halblaut mit tückischem Ausdruck: "H, das I'empereurl
Vive le ron"

Ohne sie einer Antwort zu würdigen, ritten die beiden Offiziere vorüber.

"Dieses Gesindel! Diese UndankbarenI" sagte Marwitz angeekelt. "Sie verraten
ihren Kaiser um einen Morgengruß seiner FeindeI"

"Sie vergelten ihm doch nur gleiches mit gleichem; denn er verriet sein eignes
Volk wie alle anderen Nationen."

"Sie gehören zu seinen Hassern? Aber ich verstehe: zehn Jahre jünger als
ich haben Sie nur den Tyrannen erlebt, nicht den Helden von Lodi und Jaffa,
der mir meine Knabenjahre mit Glanz erfüllte und den ich trotz allem, was folgte,
nie vergessen kann."

"Ist es möglich, ihn nicht zu hassen nach all der Schande, die er uns an¬
getan?" Wie ein >Schrei nagender, unheilbarer Erbitterung riß sich das los aus
einem tief verwundeten jungen Herzen.

Geflissentlich überhörte Marwitz den Ton mädchenhaften Überschwanges:

" Mir wenigstens ist es unmöglich, irgendwer! zu hassen, zu dem ich nur ein
einziges Mal im Leben bewundernd aufgeblickt."

"Daran erkenne ich Sie ganz, Kamerad von der Marwitz!" Die Leidenschaft
des jungen Veit nahm unvermittelt einen Ausdruck glühender Freundschaft an.
"Sie suchen eines Menschen Größe und finden sie nirgends außer beim obersten
aller Teufel!"

"Das gerade ist nun mein Schicksal," bemerkte Marwitz unter melancholischen
Lächeln. "Sollte es am Ende auch das Ihre sein?"
"Nein! denn ich glaube an Sie!"

"Oho, mein Freund, welch starkes Kompliment! Was bin ich denn wert,
daß Sie mich mit dem Gewaltigen vergleichen?"

"Sie tragen in sich das Gewicht der deutschen Seele!"

"Es stimmt nicht ganz. Mit der Seele des deutschen Volkes, das sich so
naiv und selbstbewußt gegen seinen Unterdrücker erhob, habe ich wenig genug
gemein. Dennoch scheint es so, als ob Sie mich kennten -- nicht erst von heute
morgen her?"

"Ich habe viel von Ihnen gehört," erwiderte Veit, neuerdings befangen,
und fügte dann wie entschuldigend hinzu: "Man nennt Sie doch in einem Atem
mit Friesen und Rüste, mit Körner und Kleist."

"Zwei Dichter! Tot und fast schon vergessen! Das klingt wie eine Mahnung."

"Ist ihr Los nicht das höchste, auch sür uns? Fühlen, was die Menge fühlen
sollte! Uns und die Brüder mit unsrem Blute rein waschen von der Schmach der
Zeit! Fallen, damit sie leben!"

"Wie Sie das fordern, so ganz aus Ihrer heißen Jugend heraus, ist es edel
und recht und fürchterlich zugleich. Ich aber stelle den Sieg höher noch als
den Tod."

"Glauben Sie wirklich an einen schönen, würdigen, dauernden Sieg?"

Marwitz schwieg betroffen. Dann sprach er still und schwer wie zu sich selbst:


Marwitz

oder ein altes Weib mit ihrer Kiepe auf, argwöhnisch nach dem feindlichen Militär
hinüberlugend und schleunigst auf Rückzug bedacht. Zwei junge Burschen, mit
der zertretenen Wintersaat beschäftigt, richteten sich von der Scholle auf, rückten an
ihren Mützen und riefen halblaut mit tückischem Ausdruck: „H, das I'empereurl
Vive le ron"

Ohne sie einer Antwort zu würdigen, ritten die beiden Offiziere vorüber.

„Dieses Gesindel! Diese UndankbarenI" sagte Marwitz angeekelt. „Sie verraten
ihren Kaiser um einen Morgengruß seiner FeindeI"

„Sie vergelten ihm doch nur gleiches mit gleichem; denn er verriet sein eignes
Volk wie alle anderen Nationen."

„Sie gehören zu seinen Hassern? Aber ich verstehe: zehn Jahre jünger als
ich haben Sie nur den Tyrannen erlebt, nicht den Helden von Lodi und Jaffa,
der mir meine Knabenjahre mit Glanz erfüllte und den ich trotz allem, was folgte,
nie vergessen kann."

„Ist es möglich, ihn nicht zu hassen nach all der Schande, die er uns an¬
getan?" Wie ein >Schrei nagender, unheilbarer Erbitterung riß sich das los aus
einem tief verwundeten jungen Herzen.

Geflissentlich überhörte Marwitz den Ton mädchenhaften Überschwanges:

„ Mir wenigstens ist es unmöglich, irgendwer! zu hassen, zu dem ich nur ein
einziges Mal im Leben bewundernd aufgeblickt."

„Daran erkenne ich Sie ganz, Kamerad von der Marwitz!" Die Leidenschaft
des jungen Veit nahm unvermittelt einen Ausdruck glühender Freundschaft an.
„Sie suchen eines Menschen Größe und finden sie nirgends außer beim obersten
aller Teufel!"

„Das gerade ist nun mein Schicksal," bemerkte Marwitz unter melancholischen
Lächeln. „Sollte es am Ende auch das Ihre sein?"
„Nein! denn ich glaube an Sie!"

„Oho, mein Freund, welch starkes Kompliment! Was bin ich denn wert,
daß Sie mich mit dem Gewaltigen vergleichen?"

„Sie tragen in sich das Gewicht der deutschen Seele!"

„Es stimmt nicht ganz. Mit der Seele des deutschen Volkes, das sich so
naiv und selbstbewußt gegen seinen Unterdrücker erhob, habe ich wenig genug
gemein. Dennoch scheint es so, als ob Sie mich kennten — nicht erst von heute
morgen her?"

„Ich habe viel von Ihnen gehört," erwiderte Veit, neuerdings befangen,
und fügte dann wie entschuldigend hinzu: „Man nennt Sie doch in einem Atem
mit Friesen und Rüste, mit Körner und Kleist."

„Zwei Dichter! Tot und fast schon vergessen! Das klingt wie eine Mahnung."

„Ist ihr Los nicht das höchste, auch sür uns? Fühlen, was die Menge fühlen
sollte! Uns und die Brüder mit unsrem Blute rein waschen von der Schmach der
Zeit! Fallen, damit sie leben!"

„Wie Sie das fordern, so ganz aus Ihrer heißen Jugend heraus, ist es edel
und recht und fürchterlich zugleich. Ich aber stelle den Sieg höher noch als
den Tod."

„Glauben Sie wirklich an einen schönen, würdigen, dauernden Sieg?"

Marwitz schwieg betroffen. Dann sprach er still und schwer wie zu sich selbst:


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[0640] Marwitz oder ein altes Weib mit ihrer Kiepe auf, argwöhnisch nach dem feindlichen Militär hinüberlugend und schleunigst auf Rückzug bedacht. Zwei junge Burschen, mit der zertretenen Wintersaat beschäftigt, richteten sich von der Scholle auf, rückten an ihren Mützen und riefen halblaut mit tückischem Ausdruck: „H, das I'empereurl Vive le ron" Ohne sie einer Antwort zu würdigen, ritten die beiden Offiziere vorüber. „Dieses Gesindel! Diese UndankbarenI" sagte Marwitz angeekelt. „Sie verraten ihren Kaiser um einen Morgengruß seiner FeindeI" „Sie vergelten ihm doch nur gleiches mit gleichem; denn er verriet sein eignes Volk wie alle anderen Nationen." „Sie gehören zu seinen Hassern? Aber ich verstehe: zehn Jahre jünger als ich haben Sie nur den Tyrannen erlebt, nicht den Helden von Lodi und Jaffa, der mir meine Knabenjahre mit Glanz erfüllte und den ich trotz allem, was folgte, nie vergessen kann." „Ist es möglich, ihn nicht zu hassen nach all der Schande, die er uns an¬ getan?" Wie ein >Schrei nagender, unheilbarer Erbitterung riß sich das los aus einem tief verwundeten jungen Herzen. Geflissentlich überhörte Marwitz den Ton mädchenhaften Überschwanges: „ Mir wenigstens ist es unmöglich, irgendwer! zu hassen, zu dem ich nur ein einziges Mal im Leben bewundernd aufgeblickt." „Daran erkenne ich Sie ganz, Kamerad von der Marwitz!" Die Leidenschaft des jungen Veit nahm unvermittelt einen Ausdruck glühender Freundschaft an. „Sie suchen eines Menschen Größe und finden sie nirgends außer beim obersten aller Teufel!" „Das gerade ist nun mein Schicksal," bemerkte Marwitz unter melancholischen Lächeln. „Sollte es am Ende auch das Ihre sein?" „Nein! denn ich glaube an Sie!" „Oho, mein Freund, welch starkes Kompliment! Was bin ich denn wert, daß Sie mich mit dem Gewaltigen vergleichen?" „Sie tragen in sich das Gewicht der deutschen Seele!" „Es stimmt nicht ganz. Mit der Seele des deutschen Volkes, das sich so naiv und selbstbewußt gegen seinen Unterdrücker erhob, habe ich wenig genug gemein. Dennoch scheint es so, als ob Sie mich kennten — nicht erst von heute morgen her?" „Ich habe viel von Ihnen gehört," erwiderte Veit, neuerdings befangen, und fügte dann wie entschuldigend hinzu: „Man nennt Sie doch in einem Atem mit Friesen und Rüste, mit Körner und Kleist." „Zwei Dichter! Tot und fast schon vergessen! Das klingt wie eine Mahnung." „Ist ihr Los nicht das höchste, auch sür uns? Fühlen, was die Menge fühlen sollte! Uns und die Brüder mit unsrem Blute rein waschen von der Schmach der Zeit! Fallen, damit sie leben!" „Wie Sie das fordern, so ganz aus Ihrer heißen Jugend heraus, ist es edel und recht und fürchterlich zugleich. Ich aber stelle den Sieg höher noch als den Tod." „Glauben Sie wirklich an einen schönen, würdigen, dauernden Sieg?" Marwitz schwieg betroffen. Dann sprach er still und schwer wie zu sich selbst:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/640>, abgerufen am 23.07.2024.